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29.10.2009 08:37

Mit Seifenstoffen statt Macho-Hormonen: Neues Forschungsprojekt soll Ernährungssituation der Palästinenser verbessern

Florian Klebs Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Universität Hohenheim

    Die Tilapia, ein Warmwasserfisch in Afrika und Vorderasien, könnte ein wichtiger Eiweißlieferant in der Westbank, dem palästinensischen Teil des Jordantals, sein. Das Problem: Die Fische vermehren sich so stark, dass sie aufgrund der großen Konkurrenz im Teich sehr klein bleiben und nur schlecht verkauft werden können.

    Ein neuer Forschungsansatz der Universität Hohenheim und Partnern in Israel und Palästina will nun eine natürliche Fortpflanzungskontrolle entwickeln - und so die bislang verwendeten Hormonkeulen verdrängen. Die 300-Gramm-Tilapia der Zukunft wäre ein relativ preiswertes und leicht verfügbares Lebensmittel für die Bevölkerung vor Ort; und ein Plus an lebenswichtigem Eiweiß. Die deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) fördert das trilaterale Projekt mit 1,55 Millionen Euro. Der Anteil für die Universität Hohenheim beträgt 700.000 Euro.

    Ohne Regelung lässt sich nie Ruhe in den Teich bringen: Fast ganzjährig brüten die Tilapia-Weibchen in ihrem Maul Tausende von winzigen Fischen heran. "Setzt man im Frühjahr fünf Tilapia-Paare aus und überlässt sie sich selbst, sind es im Herbst schon 200.000 Tiere", verdeutlicht Prof. Dr. Klaus Becker, Experte für Aquakultur der Universität Hohenheim und Leiter des Forschungsprojekts.

    Die herkömmliche Maßnahme gegen die übermäßige Vermehrung ist die Anwendung von künstlichem Testosteron: wenn Jungfische im ersten Monat über das Futter 17alpha-Methyltestosteron verabreicht bekommen, werden alle Fische zu funktionalen Männchen. Wenn im Teich nur männliche Fische sind, dann gibt es auch keine Fortpflanzung.

    "In der EU ist diese Methode längst verboten. Es besteht der Verdacht, dass das synthetische Testosteron für den Menschen karzinogen ist. Zudem ist das Umweltrisiko durch sehr langsam abbaubare Reste des Hormons hoch", erklärt Co-Leiter PD Dr. Ulfert Focken.

    Geburtenkontrolle mit natürlichen Inhaltsstoffen

    Statt künstlicher Männlichkeitshormone setzen die Forscher um Prof. Dr. Becker auf natürliche Saponine. Der Name dieser Stoffgruppe leitet sich von Seife ab. Saponine sind daran zu erkennen, dass sie im Wasser zu Schaumbildung führen können. Sie sind zum Beispiel in Kastanien vorhanden und wurden früher auch in Deutschland als Seifenersatz benutzt. Aus den Samen des Bockshornklees, der im Westjordanland wächst und Bestandteil vieler orientalischer Süßspeisen ist, extrahieren Prof. Dr. Beckers palästinensische Kooperationspartner das Wundermittel. "Der Bockshornklee ist um ein Vielfaches billiger zu bekommen als künstlich hergestellte und importierte Hormone", so PD Dr. Focken.

    Bestimmte Saponine beeinflussen das Hormonsystem der Fische dahingehend, dass sich die weiblichen Fischlarven nicht zu voll funktionsfähigen Weibchen entwickeln können. "Auf völlig natürlichem Wege kann damit die Menge der abgelegten Eier stark reduziert werden", so PD Dr. Focken.

    Die molekularen Strukturen der Saponine und die Mechanismen mit denen sie in das Hormonsystem eingreifen sind noch nicht geklärt. Diese Forschungsfragen des Projektes sind wissenschaftliches Neuland. Wenn die Mechanismen geklärt sind, können vielleicht noch viel wirksamere Substanzen identifiziert und/oder extrahiert werden. Die Ergebnisse sind für die weltweite Produktion von Tilapien in der Aquakultur (derzeit 2.1 Mio Tonnen pro Jahr) von Bedeutung.

    Ziel des Forschungsprojektes ist es, mit den Naturstoffen eine ähnlich hohe Wirkung zu erreichen wie mit synthetischemTestosteron. "Die wilde Vermehrung der Fische mittels natürlicher Substanzen in den Griff zu bekommen, das ist unser langfristiges Ziel", stellt Prof. Dr. Becker heraus.

    Dickere Fische für den Wochenmarkt

    Saponine sind nicht nur eine Anti-Baby-Pille, sondern beschleunigen auch das Wachstum. "Saponinzusatz zum Futter sorgt dafür, dass der einzelne Fisch um mehr als 200 Gramm größer wird und damit ein großes Plus an Eiweiß bietet". Diesen Zusammenhang hatten die Wissenschaftler durch Zufall entdeckt. "Damit haben wir eine natürliche Alternative zu Antibiotika gefunden, welches noch bis zum Verbot im Jahr 2005 als Wachstumsförderer bei vielen Masttieren eingesetzt wurde", beschreibt PD Dr. Focken.

    Prof. Dr. Becker und sein Team leisten damit einen entscheidenden Beitrag zur Ernährungssicherung in Palästina und anderen Entwicklungsländern. Eiweißmangel ist ein weit verbreitetes Problem in der Region, denn der Bedarf an tierischem Eiweiß kann durch Fleischimporte und Schafzüchtung nur unzureichend gedeckt werden. "In der Westbank Fische produzieren, die sich die palästinensische Bevölkerung auch leisten kann", das ist der Anspruch der Hohenheimer Agrarwissenschaftler um Prof. Dr. Klaus Becker.

    Zusammenarbeit über die Grenzen hinweg

    Wissenschaftler aus drei Ländern arbeiten an dem Forschungsvorhaben. Die Experten der palästinensischen Al Quds Universität in Ost-Jerusalem extrahieren Saponine aus den Samen des Bockshornklees. Ausserdem entwickeln sie ein Fischfutter aus vor Ort verfügbaren Grundstoffen, dem später dann Saponine beigefügt werden sollen.

    An der Hebrew Universität in Rehovot, Israel, erforschen Wissenschaftler, wie Saponine die Bildung von Östrogenen unterdrücken und damit die Entwicklung von funktional weiblichen Fischen verhindern. Außerdem untersuchen die israelischen Forscher die Molekülstrukturen der Saponine und ihre Abbauprodukte, um die Wirkungsweise ableiten zu können.

    Wirkstoff und Futtermittel kommen an der Universität Hohenheim zusammen. Prof. Dr. Klaus Becker und sein Team testen die neuartigen hormonfreien Wirkstoffe. In den Aquarien ihrer Versuchsanlagen experimentieren sie, wie sich eine bestimmte Zusammensetzung von Fischfutter und Saponin-Konzentration auf die Fischlarven auswirkt. Ist das perfekte Mischverhältnis gefunden, soll die neue Mischung unter praxisnahen Bedingungen an Tilapien in einer neu aufgebauten Aquakulturanlage in Jericho, Palästina, getestet werden.

    Trilaterale Projekte der DFG

    Das Projekt "Steigerung der Produktivität und Effizienz der Niltilapiaproduktion durch Einsatz von pflanzlichen Saponinen und die Einführung der Aquakultur in Palästina" wird im Rahmen des Sonderprogramms "Trilaterale Projekte der DFG" gefördert. Damit will die DFG insbesondere die Zusammenarbeit zwischen deutschen, israelischen und palästinensischen Wissenschaftlern fördern. Das Projekt läuft seit 2006, kürzlich hat die DFG die Förderung um weitere zwei Jahre verlängert. Insgesamt sind damit rund 1,3 Mio Euro an die Universität Hohenheim und ihre Partner geflossen. Neben zahlreichen Forschungsaufenthalten einzelner Wissenschaftler bei Projektpartnern treffen sich alle Kooperationspartner regelmäßig in Israel, der Westbank oder in Deutschland zu Workshops um die erzielten Fortschritte zu diskutieren und die kommenden Arbeiten zu planen.

    Hintergrund: Schwergewichte der Forschung

    Rund 26 Millionen Euro an Drittmitteln akquirierten Forscher der Universität Hohenheim allein im vergangenen Jahr - gut 20 % mehr als im Vorjahr. In loser Folge präsentiert ihnen die Reihe "Schwergewichte der Forschung" herausragende Forschungsprojekte mit einem Drittmittelvolumen von mindestens einer Viertelmillion Euro, bzw. 125.000 Euro in den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften.

    Ansprechperson:
    Prof. Dr. Klaus Becker, Fachgebiet Aquakultur-Systeme und Tierernährung in den Tropen und Subtropen
    Tel.: 0711 459-23158, E-Mail: kbecker@uni-hohenheim.de

    Text: Konstantinidis / Klebs


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Biologie, Ernährung / Gesundheit / Pflege, Meer / Klima, Tier / Land / Forst, Umwelt / Ökologie
    überregional
    Forschungsprojekte, Kooperationen
    Deutsch


     

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