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Eine gemeinsame Expertentagung des Instituts für Transkulturelle Gesundheitswissenschaften (IntraG) und der Karl und Veronica Carstens-Stiftung thematisiert Patientenkompetenz zwischen evidenzbasierter Medizin und Komplementärmedizin. Fazit: Eigensinn und Eigeninitiative der Patienten sollten stärker gefördert werden.
Auf der interdisziplinären Tagung am 13. und 14. November am Collegium Polonicum und der Europauniversität Viadrina diskutierten Patienten mit Vertretern der evidenzbasierten Medizin, der qualitativen Sozialforschung, der Biografieforschung, der Frauengesundheit, der Patientenberatung, der Komplementärmedizin und der Kunst.
"Leider steht dem Idealbild einer Kooperation auf gemeinsamer Wissensbasis die Realität gegenüber: mangelnde Gesundheitsbildung in der Gesellschaft, unter Ärzten, medizinischem Personal und Patienten. Dies hat eine Tagung der Max-Planck-Gesellschaft für Bildungsforschung erst kürzlich ergeben. Besonders eklatant sind die Informationslücken im Bereich derjenigen Verfahren, die nicht zum Kanon der konventionellen Medizin zählen", sagt die Gesundheitswissenschaftlerin Dr. Bettina Berger, Leiterin und Initiatorin der Tagung.
Die zentralen Fragestellungen lauteten daher: Wie kann ein Konzept von Patientenkompetenz aussehen, das die Präferenzen der Patienten stärker berücksichtigt? Und wie lassen sich Patienteninformationen und Entscheidungshilfen so aufbereiten, dass sie einerseits evidenzbasierte Information liefern, dabei gleichzeitig der Forderung von Patienten nach komplementärmedizinischen Behandlungsmethoden und Selbsthilfe gerecht werden? Einigen konnten sich die Vertreter der verschiedenen Fachrichtungen auf eine Sichtweise, die neben der Informationskompetenz, den Eigensinn, die Handlungskompetenz und die Eigeninitiative der Patienten stärker in den Mittelpunkt stellt.
Eigensinn als Kompetenz von Patienten bedeutet demnach, die Deutungshoheit über eine Krankheit nicht abzugeben, sich nicht dominieren zu lassen von den Normzuschreibungen des Gesundheitswesens. Dazu erforderlich sind ein größerer Raum für eigene Deutungen, mehr Zeit für Entscheidungen, die Möglichkeit, eigene Bedürfnisse wahrzunehmen, zu formulieren und geltend zu machen, und Hilfe und Unterstützung einzufordern. "Patienten suchen eigene, manchmal unkonventionelle, unorthodoxe Wege der Krankheitsbewältigung", dies ist ein wichtiges Fazit der Tagung, so Bettina Berger. Bernd Vielhaber, Vertreter von Patienten mit HIV/AIDS, ergänzt: "Patientenkompetenz erfordert auch die Veränderung der Perspektive auf die eigene körperliche Integrität. Dies ist ebenso notwendig und mindestens genauso folgenreich, wie die Thematisierung der gesellschaftlichen Normen hinsichtlich Krankheit und Therapie."
Neben der eigensinnigen Auseinandersetzung mit einer Krankheit, wünschen sich Betroffene vor allem mehr Raum und Unterstützung für ihre Eigeninitiative. Patienten wollen Antworten auf die Frage, was sie selber tun können, damit sie ihr Leiden nicht nur ertragen, sondern es beeinflussen oder sogar überwinden können. Das Recht von Patienten, Selbstregulations- oder Heilungskompetenzen in Anspruch zu nehmen und einzufordern, sei für Ärzte und Therapeuten bislang jedoch noch ein Tabuthema, so lautet ein Ergebnis der Tagung.
Damit Patienten im Sinne dieser Kompetenzen handlungsfähig werden, benötigten sie entsprechende Informationen über ihre Erkrankung, über Nutzen, fehlenden Nutzen und Schaden von Behandlungsmethoden und über mögliche Alternativen. Für eine sichere, informierte Entscheidung mit oder ohne Arzt für oder gegen eine Therapie, sind evidenzbasierte Patienteninformationen wichtig. Fülöp Scheibler vom Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen sagt: "Patienten besitzen bereits ein hohes Maß an Kompetenz", um diese aber wahrnehmbar zu machen und darauf aufbauend, patientengerechte Informationen entwickeln zu können, seien Forschungsmethoden, wie sie zum Beispiel die qualitativen Sozialwissenschaften oder die Biografieforschung bieten, unabdingbar. Als bedenklich wurde gesehen, wenn Patienten zukünftig mit Informationen und Verantwortung überfordert würden und damit kein Raum für deren Leiden und Hilfsbedürftigkeit bliebe.
Die Veranstaltung an der Viadrina ist die Fortsetzung einer Tagung zum Thema "Der Gute Arzt", die im Februar 2009 auf Einladung von Prof. Dr. Claudia Witt, Univ.-Professorin für Komplementärmedizin an der Charité, in Berlin abgehalten wurde. Beide Tagungen wurden finanziert und unterstützt von der Karl und Veronica Carstens-Stiftung.
Ansprechpartnerin:
Dr. phil. Bettina Berger
Gesundheitswissenschaftlerin
Institut für transkulturelle Gesundheitswissenschaften
Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder)
Postfach 1786
15207 Frankfurt (Oder)
E-Mail: berger@euv-frankfurt-o.de,
Tel.: 0335- 553423-80
http://www.carstens-stiftung.de - Webseite der Karl und Veronica Carstens-Stiftung
http://www.euv-frankfurt-o.de/de/forschung/institut/institut_intrag/index.html - Insitut für transkulturelle Gesundheitswissenschaften
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Ernährung / Gesundheit / Pflege, Kulturwissenschaften, Medizin
überregional
Wissenschaftliche Tagungen
Deutsch
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