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BR-Interview - Theodor Berchem, Praesident der Universitaet Wuerzburg, zur geplanten Reform: "Nicht der grosse Wurf"
Susanne Kirrner, Leiterin der Redaktion Innenpolitik beim Bayerischen Rundfunk, Bereich Hoerfunk, hat am 23. Oktober 1997 Universitaetspraesident Prof. Dr. Theodor Berchem zur geplanten Hochschulreform in Bayern interviewt. Das Gespraech wurde am 25. Oktober, 18.15 Uhr, im Programm Bayern 2 gesendet. Nachfolgend das Interview im Wortlaut.
Frage: Mehr Wettbewerb, mehr Autonomie, moderne Managementstrukturen. Diese Stichworte setzt das Bayerische Kabinett quasi als UEberschrift ueber seine Reformplaene fuer die Hochschulen im Freistaat. Dass sich etwas aendern muss, dass sich etwas aendern soll, darueber wird ja seit Jahren diskutiert, aber die Frage an Sie Herr Praesident Berchem, die Frage an den Praktiker, also trifft das eigentlich die Punkte, an denen Sie der Schuh drueckt?
Prof. Berchem: Nein, das sind mit Sicherheit nicht die Punkte, die angesichts der heutigen Situation von Notwendigkeit waeren. Ich will auch gleich eingangs sagen, wir brauchen mehr Geld, wir brauchen mehr Personal, wir brauchen mehr Mittel, wir brauchen mehr Raeume. Dieses wird ganz ausgespart, aber wenn man dieses nicht voranstellt, dann machen wir eine grosse Mystifikation fuer diejenigen, die die Uni nicht so genau kennen, wie ich sie kenne. Das heisst nicht, dass es nicht andere Probleme zu loesen gibt, aber ohne das, was ich vorhin gerade sagte, ist nichts zu loesen. Wir haben doppelt so viele Studenten, wie wir haben duerften, wir sind in einer wirtschaftlichen Krise, in der staendig Mittel abgebaut werden, Personal abgebaut wird, und wir wissen, dass in den naechsten 15 Jahren etwa 25 Prozent mehr Studenten kommen sollen. So, das ist das eigentliche Problem; das andere haengt damit natuerlich zusammen, ist aber nicht das Zentrale. Und wenn man uns sozusagen jetzt suggerieren moechte, in einem Gewaltakt durch die ganze Republik und auch in Bayern, wir wuessten nicht, was Wettbewerb ist oder was Qualitaet ist oder was Effizienz ist, dann brauche ich mit solchen Leuten gar nicht mehr zu reden. Das praktizieren wir seit Jahrzehnten. Glaubt man denn wirklich, wir haetten darauf gewartet, auf eine solche laecherliche Reform, um nach dem Krieg - in den letzten 50 Jahren - unser Hochschulwesen wieder auf ein internationales Niveau zu bringen, und dies angesichts der Belastungen der letzten 25 - 30 Jahre, wo es materiell immer bergab gegangen ist.
Frage: Herr Praesident, wenn wir zu den einzelnen Punkten kommen, Stichwort: neue Leitungsstruktur. Statt einem Rektor soll kuenftig ein Leitungsgremium die Arbeit tun. Von Verschlankung kann ja da keine Rede sein.
Prof. Berchem: UEberhaupt nicht, das ist die sehr viel schwierigere Leitungsform. Und da wird es sehr darauf ankommen, wer sozusagen die Moderationuebernimmt. Hier [in Wuerzburg] glueckt das, weil wir es immer schaffen, irgendwie freundschaftlich verbunden zu sein, kollegial zusammenzustehen; das ist aber ueberhaupt nicht garantiert in der Zukunft, vor allen Dingen, wenn der Wahlmodus geaendert wird und wenn man kleinere Wahlgremien hat, in denen vor allen Dingen Interessenvertreter sein werden, etwa die Dekane. Da jetzt naemlich die Hochschulleitung das Geld verteilen soll, werden die vorher ausmachen: "Ich waehle Dich meinetwegen als Praesidenten, wenn Du aus unserer Fakultaet einen Vizepraesidenten nimmst." Es wird einen ungeheuren Druck geben auf die zu Waehlenden und ein Hauen und Stechen. Und man wird sehen, dass dies wahrhaftig nicht die beste Form ist zu regieren. Der Ministerpraesident hat auch kein Kollektiv.
Frage: Bei der Stellen- und bei der Mittelvergabe werden ja dann mehr Menschen mitreden. Ist das praktikabel?
Prof. Berchem: Ja gut, es werden also diese Fuenf [hier in Wuerzburg: 1 Praesident, 3 Vizepraesidenten, 1 Kanzler] dann im wesentlichen sein, die sich allerdings die Zustimmung des neueinzufuehrenden Hochschulrates einholen muessen, selbstverstaendlich auch die Zustimmung des Ministeriums und im Endeffekt dann auch noch den Senat informieren muessen, d.h. statt einer Deregulierung und einer Entbuerokratisierung wird alles noch sehr viel komplizierter werden.
Frage: Sie haben das Stichwort Hochschulrat erwaehnt. Hochschulrat, ist das vergleichbar mit einer Art Aufsichtsrat?
Prof. Berchem: Ja, das soll es wohl sein nach den Vorstellungen des Kabinetts. Ich halte davon gar nichts, im Gegenteil, ich halte dafuer, dass das der schwerste Eingriff in die Universitaetsstrukturen ist, soweit ich denken kann. Ich wuesste nicht, wo in der 900-jaehrigen Geschichte der Universitaet aehnliches passiert waere. Ich will es mir versagen, hier von einer Gleichschaltung zu reden, denn das Wort ist sehr anruechig nach dem Zweiten Weltkrieg geworden, aber es ist sozusagen der Versuch, die Universitaet total zu verwirtschaften und aus ihr eine Art GmbH zu machen.
Frage: Hochschulrat und Hochschulleitung sollen ja personell getrennt sein. Empfinden Sie das so als eine Art UEberwachung?
Prof. Berchem: Ja, das muss man wohl so empfinden und auch dies ist eine schallende Ohrfeige fuer alle amtierenden Hochschulrektoren und Praesidenten. Denn dass die genuegend kontrolliert werden, das braucht ja nicht bewiesen zu werden. Sie brauchen sich ja nur einmal umzuschauen, wem man alles Rechenschaft schuldig ist; und sie muessen auch sehen, wie in einer Universitaet regiert wird. Sie koennen praktisch nur durch Konsensfindung regieren, niemals par ordre de mufti. Das kann man in einem Ministerium, aber nicht in einer Universitaet.
Frage: Mit einer sog. Experimentierklausel soll Ihnen ja die Moeglichkeit gegeben werden, verschiedene Organisationsmodelle auszuprobieren. Werden Sie denn diese Klausel nuetzen?
Prof. Berchem: Ja, wenn es gestattet ist, diese Klausel zu nuetzen, um beim alten zu bleiben, dann werde ich sie gerne nuetzen. Und im uebrigen steht es jedem Praesidenten frei, sie zu nuetzen. Ich kenne einen, der das gerne moechte, soll er doch. Dann werden wir mal vergleichen nach zehn Jahren, wo das meiste rausgekommen ist.
Frage: Die Hochschule als Dienstleistungsbetrieb fuer die Studenten, das ist ja ein Gedanke, den das Kabinett und der Kultusminister bei der Reform immer wieder betont haben, der soll ja verstaerkt zum Tragen kommen. Diese Idee ist aber verbunden mit einer Koppelung, ja des sog. Erfolgs der Universitaet mit der Mittelzuweisung. Wie wuerden Sie denn ueberhaupt sagen, misst man den Erfolg einer Uni?
Prof. Berchem: Der Erfolg einer Uni ist sehr schwer messbar, jedenfalls ist es nicht vergleichbar mit einer Firma, die am Ende des Jahres ihre Bilanz zieht und dann sieht, ob sie Gewinne gemacht hat oder nicht; das laesst sich einfach in DM ausdruecken. Bei uns ist das leider nicht so einfach. Ich kann nicht bilanzieren, was dabei rausgekommen ist, wenn ich einen Studenten oder eine Studentin qualifiziert ausgebildet habe, denn sie verschwinden dann aus unserem Blickfeld. Aber wenn ich mal die Bilanz ziehe aus den 50 Jahren, die wir hinter uns haben, ist es unserem Staat ja so schlecht nicht gegangen und die Fuehrungseliten kamen weitestgehend aus den Universitaeten.
Frage: Und ist nicht diese Koppelung Erfolg-Mittelvergabe auch gefaehrlich fuer die Lehre und die Forschung an einer Universitaet?
Prof. Berchem: Nun gut, ein bisschen koennte man das ja machen. Mir ist es ja selbst ein Dorn im Auge, dass es natuerlich auch in der Universitaet Leute gibt, die ihre Aufgabe nicht so ernst nehmen; wie das ueberall in der Gesellschaft vorkommt. Ich haette gerne die Mittel an der Hand, um dieses zu aendern und sei es auch nur durch ein Belohnungssystem fuer die Guten. Also darueber liesse sich nachdenken. Aber insgesamt ist das ein schwieriges Unterfangen.
Frage: Spezielles Thema: die Uni-Kliniken, Herr Praesident Berchem. Mehr wirtschaftliche Selbstaendigkeit will ja die Reform den Uni-Kliniken bescheren, d.h. so eine Art Privatisierung, dann werden die vermehrt noch den Druck der leeren Kassen spueren. Ist das zu verantworten?
Prof. Berchem: Das ist eigentlich nicht zu verantworten. Es ist auch nicht zu verantworten, die Medizinischen Fakultaeten zu weit von der uebrigen Universitaet anzusiedeln. Eine gewisse Tendenz ist spuerbar, - es wird zwar das Gegenteil behauptet - aber ich haette nichts dagegen, dass es eine eigene Klinikregie, eine eigene Klinikverwaltung gibt, das gibt es ja schon, soll man ruhig machen, aber auch da muss man sehen, dass wir uns nur teilweise auf dem freien Wettbewerbsmarkt befinden koennen. Denn wenn sie private Kliniken ansehen, dann suchen sie sich die Felder aus, wo sie Geld verdienen koennen, und dort machen sie auch Geld und all das, was da nicht hineinpasst, lehnen sie ab zu behandeln; und wir sind sozusagen die letzte Instanz und selbstverstaendlich kommen alle die zu uns, die anderswo nicht genommen werden. Insofern koennen wir niemals wirtschaftlich arbeiten, wie das eine Privatklinik macht. Es sei denn, man wuerde uns gestatten zu sagen: Schickt sie nach Hause. Dann wuerde ich mal gerne sehen, wie dieser Staat bald ausschaut. Aber was soll's eigentlich? Es geht wider den Geist, der eigentlich der unsere sein muesste.
Frage: Um den Geist und um das Personalprofil geht's auch in meiner naechsten Frage, Herr Praesident Berchem. Idee ist auch in diesen Reformplaenen, Hochschullehrer ohne Habilitation moeglich zu machen bzw. sie sogar zu institutionalisieren. Wuerden Sie denn solche Quereinsteiger gern z.B. an Ihrer Universitaet haben?
Prof. Berchem: Wenn sie qualifiziert sind, selbstverstaendlich. Es ist ja nicht so, als waere unbedingt mit einer Urkunde ueber eine Habilitation die Genialitaet verbunden. So ist es ja nicht. Also, wenn man solche Perlen irgendwo entdeckt, dann soll man sie holen. Das ist aber bisher auch immer schon moeglich gewesen. Also, soll das der grosse Wurf sein, dass man uns einschwaetzt, jetzt haette man etwas Neues entdeckt, das Rad zum ersten Mal erfunden, obwohl wir schon seit Jahrtausenden damit fahren? Es ist nicht so. Ich muss z.B. auch sehen, dass bisher natuerlich die Habilitation eine formale Voraussetzung ist, bei der UEberanzahl von Bewerbungen schon formal auszusondern. Das mag im Einzelfall dann auch schon einmal gegen Qualitaet sprechen, also gegen jemanden, der sich ohne Habilitation beworben hat und vielleicht qualifizierter ist, aber wenn Sie 60 - 80 - 100 Bewerbungen haben, dann suchen Sie natuerlich krampfhaft, diese zunaechst einmal zu reduzieren, eh Sie dann in die Tiefe der Beurteilung gehen. Also, da liesse sich viel drueber sagen, aber dann soll man sich bitte mit den richtigen Experten zusammensetzen und die Folgen ueberdenken und dann etwas Vernuenftiges auf die Beine stellen. Das, was jetzt verkuendet wird, haben wir immer schon tun koennen.
Frage: Wenn wir einen Blick auf Ihre Kundschaft, auf die Studenten werfen, da will ja nun die Staatsregierung Ihnen mehr Mitspracherecht bei der Auswahl zugestehen. Was halten Sie denn davon?
Prof. Berchem: Nun, Studenten sind selbstverstaendlich immer betroffen von dem, was die Lehrenden ihnen bieten, und die Lehrenden heissen in dem Falle natuerlich Akademische Raete, heissen Assistenten, auch Professorinnen und Professoren. Ich haette nichts dagegen, dass sie also bei Berufungsverfahren mitstimmen, wie die anderen. Man muss wissen, weshalb sie ausgeschlossen worden sind aus der internen Beratung, also aus der eigentlichen Kommissionsarbeit. Das sind die Nachwirkungen von 68 und vor allen Dingen natuerlich die Geheimhaltungspflicht. Das ist nun mal bei Leuten, die die Uni beliebig wechseln koennen, die nicht in einem Beamtenverhaeltnis stehen, wo man sie auch zur Rechenschaft ziehen kann, eine sehr heikle Angelegenheit. Das ist ja nicht nur einmal vorgekommen, sondern x-mal und das war der Grund, weshalb man das seinerzeit so gemacht hat. Vielleicht sind heute die Verhaeltnisse anders.
Frage: Herr Praesident Berchem, eine Frage, die ja immer wieder diskutiert wird: Wie koennen wir die Bayerischen Hochschulen international attraktiver machen? Ein Vorschlag nun in den Reformplaenen ist ja eine Internationalisierung der Grade, die man an den Hochschulen erwerben kann. Ist es genug aus Ihrer Sicht?
Prof. Berchem: Nein, das ist mit Sicherheit nicht genug, aber das ist ein wichtiger Schritt. Wir haben in der Tat ausserordentlich grosse Schwierigkeiten, unser System in der Welt zu verkaufen, weil Sie davon ausgehen koennen, dass 95 Prozent aller Universitaetssysteme in der Welt entweder das franzoesische System praktizieren oder das angelsaechsische - bzw. amerikanische - und d. h. immer eine Zweiteilung, also Licence und Maitrise oder Bachelor und Master; das betrifft unsere Studenten, die rausgehen, genauso wie auch die Auslaender, die zu uns kommen. Das faengt schon an bei der Anerkennung der Vorleistungen und endet dann damit, dass ein Aus-laender mit einem ordentlichen Diplom - meinetwegen der TU Muenchen oder Aachen - nach Hause geht, in ein Land der Dritten Welt, und dann die groessten Schwierigkeiten hat, dieses nun wirklich vorzuegliche Diplom anerkannt zu bekommen, als ein Master's Degree, weil dort in diesen Laendern nicht ueberall Experten sitzen, die die Hochschulsysteme kennen, sondern auch Buerokraten. Und die sagen dann eben: "Nein, das ist hoechstens ein Bachelor." So, wenn wir das wirklich besser machen wollen, dann muessen wir uns angleichen, wir muessen deswegen nicht saemtliche Inhalte aendern. Es ist allerdings auch zu sagen, dass es ein Betrug der OEffentlichkeit waere, der sehr schnell ins Auge geht, wenn man nur hinginge und sagte: Die Zwischenpruefung ist gleich einem Bachelor. Also, da muss man sich schon ein bisschen mehr Gedanken machen. Man muss schon etwas umstrukturieren.
Frage: Zum Schluss, Herr Praesident Berchem, noch mal zurueck zur Gesamtschau der Dinge. Ihr Fazit, wenn Sie nun diese Reformplaene am Stueck, im Ganzen beurteilen muessten?
Prof. Berchem: Also ich glaube nicht, dass es der grosse Wurf ist, und ich weiss nicht, ob die Bayerische Staatsregierung Grund hat, nun stolz darauf zu sein, es besser oder weitreichender zu machen als die anderen Laender. Eine gewisse Geduld und Behutsamkeit waere mir lieber gewesen, und ich wiederhole es: Fuer mich haette es keine Novelle gegeben. Ich kann in meiner Universitaet gut regieren und das, was rausgekommen ist, ist sehr wohl vorzeigbar, in Bayern und anderswo.
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Politik, Recht
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