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Wissenschaft
Der umstrittene Gesetzentwurf zur AEnderung des Bayerischen Hochschulgesetzes hat kurz vor Weihnachten auch die Dekane von zehn Fakultaeten der Universitaet Wuerzburg zu kritischen Stellungnahmen veranlasst.
In einem "Offenen Brief" an Staatsminister Hans Zehetmair, unterzeichnet von den Dekanen der Wirtschaftswissenschaftlichen, der Katholisch-Theologischen und der Philosophischen Fakultaeten I und II sowie der Fakultaeten fuer Mathematik und Informatik, fuer Chemie und Pharmazie, fuer Physik und Astronomie und fuer Geowissenschaften, heisst es u.a.:
"Wir sind nicht der Ansicht, dass es mit den Hochschulen zum Besten bestellt und keine Reform noetig sei. Doch einige der im Gesetzentwurf beabsichtigten AEnderungen der Hochschulstrukturen erscheinen uns nicht geeignet, eine Staerkung der Leistungsfaehigkeit der Hochschulen zu erreichen. Sie werden die Situation sogar noch verschlimmern. Wir moechten hier auf die zwei wichtigsten Punkte eingehen.
Die beabsichtigte Einrichtung eines Hochschulrates bedeutet nicht mehr und nicht weniger als die Zerstoerung der demokratischen Selbstverwaltung der Hochschulen. Deren Eigenverantwortung und Selbstaendigkeit wird hierdurch nicht (wie im Entwurf deklariert) erweitert, sondern wesentlich eingeschraenkt. In allen lebenswichtigen Fragen der Hochschulen soll ein Gremium das letzte Wort haben, das nicht demokratisch legitimiert ist, dessen Interessenlage einseitig oekonomisch gepraegt ist und das auch gar nicht die Zeit und Erfahrung haben wird, sich effektiv mit den komplexen Problemen einer Hochschule auseinanderzusetzen. Wir wehren uns hiermit entschieden gegen die Einrichtung eines Hochschulrates an der Julius-Maximilians-Universitaet Wuerzburg.
Die Einfuehrung von Studiendekanen, so wie im Entwurf beabsichtigt, wird die Qualitaet der Lehre nicht verbessern, sondern die fuer die Lehre dringend benoetigten Kapazitaeten fuer andere Aufgaben binden. Ein Studiendekan hat eventuell die Moeglichkeit, Maengel festzustellen, im Gesetzentwurf werden ihm aber keine Mittel an die Hand gegeben, diese Maengel auch abzustellen. Wir wenden uns entschieden gegen die Etablierung von zusaetzlichen formalen AEmtern, die nicht die Effizienz unserer Taetigkeit, sehr wohl aber den buerokratischen Aufwand steigern."
In einem "Wuerzburger Manifest" der Philosophischen Fakultaeten I und II sowie der Theologischen Fakultaet befassen sich die Dekane neben dem Gesetzentwurf auch mit Sparmassnahmen der Staatsregierung:
"... Die erneut ins Haus stehenden Sparmassnahmen des bayerischen Staatsministeriums fuer Unterricht, Kultus, Wissenschaft und Kunst sowie die in Kuerze zur Verabschiedung anstehende Novelle des bayerischen Hochschulgesetzes veranlassen uns, Stellung zu beziehen, nachdem wir jahrelang stillschweigend Kuerzungen hingenommen und unter hohem persoenlichen Einsatz versucht haben, mit immer weniger Mitteln und immer weniger Personal immer mehr Studierenden eine akzeptable Ausbildung zu ermoeglichen. ...
Geisteswissenschaftliche Fakultaeten sind, wie die Bundeswehr, wie Bundes- und Landesregierungen oder wie die Gerichte, Non-Profit-Organisationen, deren Erfolg nicht an den materiellen Ertraegen gemessen werden kann, die sie oder ihre Absolventen unmittelbar erwirtschaften. Wie diese Institutionen unsere materiellen Lebensgrundlagen garantieren, sichern die Geisteswissenschaften in einem rohstoffarmen Land wie der Bundesrepublik Deutschland die Zukunftsfaehigkeit der Nation. Diese Zukunftsfaehigkeit haengt in hoechstem Masse von der Qualitaet der Ausbildung zum Beispiel der Lehrer ab, die ja das Fundament aller Wissensvermittlung im Lande legen muessen. ...
Um eine weitere Gefaehrdung der Geisteswissenschaften zu verhindern, stellen wir folgende Forderungen an das bayerische Staatsministerium fuer Unterricht, Kultus, Wissenschaft und Kunst:
1. Ruecknahme des Stellenstreichungsbeschlusses, nach welchem die Universitaet Wuerzburg achtzig Stellen abzugeben hat. Keine Verstuemmelung der theologischen Fakultaet.
Derartige Streichungen, von denen ja vor allem zufaellig frei werdende Stellen betroffen sind, zerstoeren sachlich begruendete Strukturen voellig willkuerlich und machen eine fachgerechte und von der Sache gebotene Forschungs- und Lehrplanung unmoeglich. Sie bedrohen darueber hinaus die Attraktivitaet Wuerzburgs fuer auslaendische Studierende, die in grosser Zahl die Studienangebote der Wuerzburger Universitaet wahrnehmen. Und sie gefaehrden die internationale Vernetzung der Forschung in den Geisteswissenschaften. Schon jetzt gehoert die Bundesrepublik zu den Staaten, die, gemessen am Bruttosozialprodukt, Jahr fuer Jahr weniger fuer die Bildung ihrer Buerger ausgeben. Auf lange Sicht wuerde dies den oekonomischen Riesen Bundesrepublik Deutschland zu einem kulturellen Zwerg verkuemmern lassen.
2. Keine weitere Verschlechterung der Betreuungsrelation.
Waehrend an den Elite-Universitaeten der USA, an deren Standards die Effektivitaet deutscher Hochschulen so gerne gemessen wird, ein Hochschullehrer zwischen 10 und maximal 15 Studierende zu betreuen hat, kommen in Deutschland gut 110 Studierende auf einen Hochschullehrer; eine weitere Verschlechterung dieser Situation etwa durch erneuten Stellenabbau und weitere Stellenumschichtungen zu Lasten der Geisteswissenschaften fuehrt nur zu schlechterer Betreuung der Studierenden und damit zu weiterer Verlaengerung der Studienzeiten.
3. Sofortige Bereitstellung eines hoeheren Bibliotheksetats.
Wissenschaftliche Literatur muss im erforderlichen Umfang wieder angeschafft werden koennen, denn 'eine Hochschule ohne Buecher ist wie ein Mensch ohne Gehirn' (Kurt Reumann, FAZ, 21.11.97).
4. Keine willkuerlichen Eingriffe von aussen in die Faecherplanung und die Lehrplangestaltung.
Eine stromlinienfoermige Kurzausbildung der Studierenden wuerde nur zu deren noch fruehzeitigerem Eintreten in den ohnehin saturierten Arbeitsmarkt beitragen, und das bei verschlechterten Chancen. Ein Studium, in dem nur ein begrenztes Wissen angeeignet werden soll, hilft in der gegenwaertigen Situation nicht weiter. Wir wuerden gerade die Vorteile eines soliden und vielseitigen, auch auf das flexible und eigenstaendige Finden von Problemloesungen hin orientierten Studiums aufgeben, fuer das deutsche Absolventen im Ausland gelobt und um das sie beneidet werden und das deutsche Universitaeten trotz ihrer Vermassung auch fuer auslaendische Studierende nach wie vor attraktiv macht. Eine willkuerliche Schliessung von Faechern oder ganzen Fakultaeten droht gerade diese Qualitaeten der deutschen Hochschulen zu zerstoeren. Dadurch wuerde die flexible Einsatzfaehigkeit ihrer Absolventen verloren gehen. Wohin die Reduktion fachlicher Allgemeinbildung auf ein Minimalniveau und die Ausrichtung der Ausbildung auf wissenschaftsfremde Ziele fuehrt, konnte in den letzten vierzig Jahren in naechster Nachbarschaft beobachtet werden. Die Vermittlung kultureller Kompetenzen aber, worunter sowohl die Kenntnis von Fremdsprachen wie auch die Kenntnis eigener und fremder Kultur und Geschichte zu verstehen sind, traegt im Zeitalter zunehmender Globalisierung und Vernetzung der OEkonomien wesentlich zu Verstaendigung und Konfliktminimierung bei.
5. Verzicht auf die Einrichtung von Hochschulraeten, soweit ihnen ueber eine sinnvolle und notwendige Beratung der Hochschulgremien hinaus eigenstaendige Pruefungs-, Kontroll- und Entscheidungsrechte gegeben werden sollen. Eine Einsetzung derartiger aus hochschulfremden Laien bestehender Hochschulraete kann kaum mit der Selbstverwaltungsgarantie des Grundgesetzes in Art. 5, III, vereinbar sein. Darueber hinaus steht zu befuerchten, dass derartige Gremien die ohnehin zu weit vorangeschrittene Buerokratisierung der Hochschulen noch weiter vorantreiben und durch eine Gaengelung die Wissenschaften, insbesondere die Geisteswissenschaften, mit sachfremden Zielsetzungen in ihren akademischen Entscheidungen beeinflussen werden. Welch katastrophale Auswirkungen solche boards gerade fuer die Geisteswissenschaften haben, kann man in den USA beobachten, wo ganze Fachbereiche mit dem Argument geschlossen wurden, sie seien nicht profitabel. Die Einrichtung derartiger Hochschulraete lehnen wir daher ab."
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Politik, Recht
überregional
Es wurden keine Arten angegeben
Deutsch
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