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Wissenschaft
Interdisziplinärer Sammelband zum aktuellen Antisemitismus veröffentlicht
Jena (18.05.10) Dumpfe antisemitische Parolen werden gemeinhin an den rechten Rand der Gesellschaft verortet oder der extremen Linken zugeschrieben. Studienräte oder Professoren, die verbal-antisemitische Texte verfassen und ungeniert mit vollem Namen unterzeichnen, erscheinen uns als obskure Ausnahmeerscheinungen. Weit gefehlt, wie das Buch „Aktueller Antisemitismus – Ein Phänomen der Mitte“ eindrucksvoll belegt. Herausgegeben haben es die Sprach- und Kognitionswissenschaftlerin Monika Schwarz-Friesel von der Universität Jena und der Historiker Evyatar Friesel von der Hebrew University of Jerusalem gemeinsam mit dem Historiker Jehuda Reinharz von der Brandeis University in den USA. Der neue Band versammelt u. a. Beiträge einer Antisemitismus-Konferenz, die im April 2009 in Jena stattgefunden hat.
„Seit gut zehn Jahren finden wir antisemitische Einstellungen in der Mitte der Gesellschaft nicht mehr nur hinter vorgehaltener Hand, sondern auch öffentlich artikuliert“, sagt Monika Schwarz-Friesel. Belege für diese These finden sich in dem neuen, interdisziplinären Buch zur Genüge. Historiker, Sozialwissenschaftler, Psychologen, Medien- und Sprachwissenschaftler legen Umfrageergebnisse und Textanalysen vor. So werden heute Leserbriefe veröffentlicht, die eigentlich sofort in den Papierkorb gehören. Die Jenaer Wissenschaftlerin hat mit ihrer Forschergruppe Zuschriften an die Israelische Botschaft in Deutschland und an den Zentralrat der Juden analysiert. Ihr Befund: Völlig ungeniert bedienen sich sogar Akademiker der plattesten judenfeindlichen Stereotype, werden zudem grobe Gleichsetzungen mit der NS-Zeit bemüht. Motto: „Ihr Israelis benehmt euch gegen die Palästinenser wie die Nazis!“
Die Wissenschaftler aus Deutschland, Österreich und den USA zeigen, dass die antisemitischen Äußerungen in zunehmendem Maße im Tarnkleid einer vermeintlich berechtigten Israel-Kritik daherkommen. Der Tenor der Wortmeldungen gleiche sich auffallend, sagt Schwarz-Friesel. Zunächst werde betont, dass der Autor kein Antisemit sei, doch danach falle die Maske recht schnell. „Wir unterscheiden zwischen berechtigter Kritik an der Politik Israels und Anti-Israelismus“, sagt die Sprachwissenschaftlerin. Dieser unheilvolle Trend habe ungefähr vor einem Jahrzehnt eingesetzt. Markanter Tabubruch: die Rede Martin Walsers im Oktober 1998 in der Frankfurter Paulskirche. Inzwischen seien Positionen mehrheitsfähig, die noch vor vielen Jahren undenkbar schienen. Es dränge sich der Eindruck auf, als seien die zahllosen Bildungskampagnen nach 1945 bei vielen Menschen fruchtlos geblieben, sagt Monika Schwarz-Friesel. Extreme Tabubrüche seien zwar in Deutschland eher selten zu beobachten. Besorgniserregend sei jedoch die Verschiebung radikaler antisemitischer und israelfeindlicher Meinungen in die Mitte der Gesellschaft.
Bibliographische Angaben:
Monika Schwarz-Friesel, Evyatar Friesel, Jehuda Reinharz (Hg.): „Aktueller Antisemitismus – Ein Phänomen der Mitte“, Verlag Walter de Gruyter, Berlin/New York 2010, 254 Seiten, Preis: 49,95 Euro, ISBN 978-3-11-023010-9
Kontakt:
Prof. Dr. Monika Schwarz-Friesel
Institut für Germanistische Sprachwissenschaft der Friedrich-Schiller-Universität Jena
Fürstengraben 30, 07743 Jena
Tel.: 03641 / 944325
E-Mail: monika.schwarz[at]uni-jena.de
Cover der neuen Publikation.
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Merkmale dieser Pressemitteilung:
Geschichte / Archäologie, Sprache / Literatur
überregional
Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch
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