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05.02.1998 00:00

Neuen Therapien der Multiplen Sklerose

Dr. Josef König Dezernat Hochschulkommunikation
Ruhr-Universität Bochum

    Bochum, 05.02.1998 Nr. 31

    Zum Wohle der Patienten Pharmaindustrie und Wissenschaft an einem Tisch RUB-Workshop zu ,Neuen Therapien der Multiplen Sklerose"

    Eine Heilung der Multiplen Sklerose ist noch immer nicht in Sicht, doch moderne Diagnostik und spezifisch wirkende Therapien sorgen für eine bessere Lebensqualität. Dennoch hat nicht jedes neue Präparat die Nagelprobe schon bestanden, und hohe Behandlungskosten werfen Fragen auf: z.B. nach der Kosten-Nutzen-Relation, der Medikament-Budgetierung in den Arztpraxen und nicht zuletzt, welchem Patienten welche Therapie zu verordnen ist. Zum Thema ,Neue Therapien der Multiplen Sklerose - Aktuelle Fragen und Kontroversen" diskutierten Ende vergangenen Jahres an der RUB Wissenschaftler mit Vertretern von fünf führenden Pharmaherstellern aus den USA, der Schweiz, Israel und Deutschland. Der Workshop wurde organisiert von der interdisziplinären Forschungsgruppe Multiple Sklerose der Ruhr-Universität Bochum. Nun liegt die Zusammenfassung dieser Diskussion vor.

    Therapie im Umbruch

    Multiple Sklerose (MS) ist eine der häufigsten neurologischen Erkrankungen des jungen Erwachsenen- in Deutschland sind schätzungsweise 100 000 bis 120 000 Menschen betroffen. Angesichts des Krankheitsauftretens, des Erkrankungsbeginns in der Phase der Familien- und Berufsetablierung zwischen 20. und 40. Lebensjahr, und im Einzelfall jahrelang ungewissen Verläufen bis hin zur Invalidität und multiplen Handicaps ist in den letzten Jahren die Entwicklung neuer Therapieverfahren mit großem Enthusiasmus vorangetrieben worden.

    Drie neue Präparate, die spezifisch wirken

    Während herkömmliche Medikamente zur Behandlung der MS eine allgemein immunsuppressive Wirkung haben (z.B. Azathioprin) und somit das gesamte Immunsystem schwächen, beheben die neuen immunmodulierenden Substanzen spezifische Fehlregulationen des Immunsystems bei MS. Drei neue Substanzen mit unterschiedlichen Wirkprinzipien stehen derzeit zur Verfügung: Interferone (körpereigene Abwehrstoffe, gentechnisch hergestellt), Copolymer-1 (Gemisch verschiedener synthetisch hergestellter Eiweißbausteine) und Immunglobuline (körpereigene Abwehrstoffe von gesunden Spendern).

    Die Nagelprobe steht noch aus

    Trotz erheblicher Erfolge der neuen Medikamente in der Reduktion der klinischen Schubrate und des Fortschreitens der Behinderung bestehen offene Fragen und praktische Probleme in der Anwendung. Für die Beta-Interferon-Präparate bestätigten alle Industrievertreter eine relevante, positive Veränderung des MS-Krankheitsverlaufs; entsprechende Ergebnisse für Copolymer- und Immunglobulin-Therapien konnten von den anwesenden Referenten noch nicht präsentiert werden. Für diese Präparate fehlen im Gegensatz zu den Beta-Interferonen noch kernspintomographische Wirksamkeitsnachweise. Dr. Lensch, Wiesbaden, und Dr. Sailer, Magdeburg, stellten für Copolymer-1 (,Copaxoneâ,'', TEVA-HMR) und iv-Immunglobuline(z. B. Novartis, Schweiz) entsprechende Studienbefunde vor. Als Vorteile gegenüber den Interferonpräparaten wurde das unterschiedliche Nebenwirkungsspektrum und die Anwendbarkeit bei Interferon-Kontraindikationen (etwa bei Epilepsie, Depressionen, Symptomprovokation unter induzierten Fieberanstiegen) herausgestellt. Damit sind diese Arzneigruppen wichtige Behandlungsalternativen für die MS-Therapie.

    Antikörper schmälern Therapieerfolg

    Bei Therapie mit Beta-Interferonen schwindet die Erfolgschance möglicherweise bei Auftreten von körpereigenen, die Wirkung neutralisierenden Antikörpern. Auf die bislang unter den verschiedenen Präparaten und Herstellern kaum vergleichbare Methodik zur Bestimmung der Antikörper wies Privatdozent Dr. v. Wussow, Hannover, hin. Möglicherweise kann ein Indikatortest für die biologische Wirkung der Moleküle (Mx-Protein-Test) Abhilfe schaffen. Das Auftreten von Hautreaktionen gibt keine Hinweise auf das Vorliegen von Interferon-Antikörpern. Dies bestätigten auch die Daten der deutschen Anwendungsbeobachtung mit Beta-Interferon lb ,Betaferonâ", vorgestellt durch Frau Dr. Schröder, Berlin (Schering AG). Die in den Zulassungsstudien für diese Substanz vorliegenden Effekte auf die Erkrankung (30 % der Patienten haben keine Schubaktivität mehr) blieben über die volle Dauer der Therapie nachweisbar. Entsprechende Daten über 5jährige Therapiekontrollen wurden vorgestellt.

    Wie was wo wirkt

    Dr. Summerfield, Paris (Biogen, USA)ging u.a. auf die Besonderheiten der intramuskulären Anwendung des Beta-Interferon-Präparates ,Avonex â" ein. Die gemessenen Wirkspiegel im Körper sind Firmendaten zufolge besser als bei gleichhohen subcutanen Gaben; allerdings können nur etwa 60% der Patienten diese etwas schwierigere Anwendung selbständig durchführen. Dr. Goedkoop, Genf (Serono, Schweiz), stellte neue Studienergebnisse für das Beta-Interferon la ,Re- bifâ" vor, das bei subcutaner Anwendung alle 2 Tage deutliche Erfolgsraten bezüglich Erkrankungsschüben, neurologischer Behinderung und neuer Schädigungen des Zentralnervensystems im Kernspintomogramm gezeigt hat. Auch höhere Dosierungen von 3 x 12 MIU (Million International Units) pro Woche wurden ohne wesentlich vermehrte Nebenwirkungen vertragen.

    Laborstandard: "Jeder kocht sein eigenes Süppchen"

    Zwischen den Interferonpräparaten besteht nur eine eingeschränkte Vergleichbarkeit der Dosierungsangaben, da die zugrundeliegenden Laborstandards der Hersteller differieren. Bezogen auf den jeweilige Labortest stellen Millionen Internationaler Units (MIU) die biologischen Einheiten dar, die bestimmte Zell- oder Virussysteme beeinflussen. Daraus ergibt sich, daß 6 MIU im Biogen-Präparat nicht 6 MIU im Schering-Präparat entsprechen müssen. In jüngster Zeit setzt sich die Mengen-Angabe in Mikrogramm durch, wonach z.B. 8 MIU Beta-Interferon lb 230 mg, 12 MIU Beta-Interferon la 44 mg entsprechen. Konsens bestand darin, die Laborbewertungskriterien vergleichbar zu machen; wenngleich gegenwärtig keine direkte Wirkungs-Vergleichsstudie der unterschiedlichen Dosierungsschemata und Präparate in Sicht ist.

    Sind kostengünstigere Therapien Alternativen?

    Ob auch andere, insbesondere niedrigere als die vorgestellten Dosierungen effektiv gegeben werden können, wurde von den anwesenden Firmenexperten nicht bestätigt. Entsprechende Wirksamkeitsbelege stehen derzeit aus. Die Anwendung von Azathioprin als möglicherweise effektives und kostengünstigeres Präparat im Vergleich mit den neuen Medikamenten wurde aufgrund der vorliegenden methodisch nicht mehr befriedigenden Arzneiprüfungen und der Gefahr von Nebenwirkungen bei langfristiger Therapie nicht als Alternative erster Wahl angesehen. Für den Behandlungseinstieg wurde ein Medikament mit einem günstigen Neben- wirkungsspektrum, z.B. Copolymer, empfohlen. Konsens bestand bei allen Beteiligten darin, Patienten mit einem schubförmigen Krankheitsverlauf frühzeitig einer entsprechenden Therapie zuzuführen, um ein ,Abrutschen" in den progredienten, in der Mehrzahl der MS-Fälle ungünstigen Langzeitverlauf zu vermeiden.

    MS-Forschung an der RUB

    Beiträge aus der MS-Forschungsgruppe der RUB: Dr. Sindern stellte den Gedanken eines differentialtherapeutischen Einsatzes der neuen Medikamente in den verschiedenen Erkrankungsphasen vor. Für die therapeutische Zukunft postulierte Dr. Pöhlau, relevante Subgruppen der MS-Erkrankung zu differenzieren und für gezielte Therapieansätze nutzbar zu machen. Auf den unbefriedigend hohen Arzneikostenaufwand für die neuen Medikamente (ca. 30 000 Mark pro Patient im Jahr) wies Dr. Haupts hin. Dieses Problem werde derzeit im wesentlichen dem finanziellen Budget-Risiko des behandelnden Arztes aufgebürdet.

    Aus der Sicht der Gesundheitsökonomie

    Die Beantwortung der Frage nach dem therapeutischen Nutzen ist Voraussetzung für eine ,ökonomische Kosten-Nutzen-Analyse", wie Prof. Dr. Dr. Rychlik aus der Sicht der Gesundheitsökonomie aufzeigte. Die von ihm präsentierte Liste zur therapeutischen Erfolgsbeurteilung schloß auch behandlungsbedürftige Sekundärkomplikationen der Therapie, ggf. erforderliche Begleittherapien, Berufsfähigkeit und Lebensqualität der Betroffenen ein. Nicht nur Ärzte und Industrie, sondern speziell auch die Kostenträger im Gesundheitswesen sind zur Gewinnung entsprechender Daten aufgerufen, die bislang nur ansatzweise aus dem europäischen Ausland verfügbar sind und für Deutschland weitgehend fehlen.

    Weitere Information

    Dr. med. Michael Haupts, Neurologische Universitätsklinik, Knappschaftskrankenhaus Langendreer, Tel.: (0234)299-3703/-3701, Fax: (0234)299-3709/-3724, E-Mail: Michael.R.Haupts@rz.ruhr-uni-bochum.de


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Biologie, Chemie, Ernährung / Gesundheit / Pflege, Medizin
    überregional
    Es wurden keine Arten angegeben
    Deutsch


     

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