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Am 30. Juni 1970 führte Prof. Hans-Eberhard Hoffmeister die erste Operation am offenen Herzen am Universitätsklinikum Tübingen durch. Ein sechsjähriger Junge mit einem Vorhof-Scheidewand-Defekt war der erste Patient, der unter diesen Bedingungen in Tübingen operiert wurde. Die damals neue Operationsmethode ist auch heute noch für viele Patienten lebensrettend. Modernste Herz-Lungen-Maschinen, die ohne Fremdblutübertragung arbeiten können, machen die Operationen in der Herzchirurgie des Tübinger Uniklinikums heute deutlich schonender und sicherer als früher.
40 Jahre nach der ersten Tübinger Operation am offenen Herzen ist die Komplexität der Eingriffe deutlich gestiegen. Operiert werden zunehmend Patienten, bei denen z.B. eine parallele Operation an den Herzkranzgefäßen, den Herzklappen und an der Halsschlagader erforderlich ist oder weitere schwere Begleiterkrankungen zu behandeln sind.
Prof. Ulrich Stock, kommissarischer Ärztlicher Direktor der Universitätsklinik für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie: „Im Gegensatz zu Operationen an den Herzkranzgefäßen, wie beispielsweise Bypass-Operationen, wird bei Eingriffen am offenen Herzen entweder ein Vorhof oder eine Kammer des Herzens eröffnet. Dies war zu den Anfängen der Herzchirurgie nicht allein ein medizinisches, sondern durchaus auch ein emotional besetztes Thema.“ Der Mythos vom Herzen als Sitz der Seele sorgte für ernsthafte Debatten um die Statthaftigkeit solcher Eingriffe.
Die Voraussetzung dafür, dass überhaupt am offenen Herzen operiert werden konnte, war die Erfindung der Herz-Lungen-Maschine. Sie übernimmt während des Eingriffs die Pumpfunktion für den Blutkreislauf und reichert das Blut mit dem benötigten Sauerstoff an, während das Herz für die Dauer der Operation stillgelegt wird. In Marburg wurde bereits 1958 die erste Herzoperation in Deutschland unter Einsatz einer Herz-Lungen-Maschine durchgeführt. Doch die Technik und die Operationsmethoden bargen ein hohes Risiko: So verstarben viele der ersten Patienten schon während oder unmittelbar nach der Operation.
Als die Methode zwölf Jahre später in Tübingen erstmals angewandt wurde, waren die Erfolgsaussichten bereits wesentlich besser, allerdings lag die Todesfallrate während und unmittelbar nach solchen Eingriffen immer noch bei gut 50 Prozent. „Es war damals üblich, dass Patienten vor der Operation die letzte Ölung erhielten“, so Prof. Ulrich Stock. Lediglich Röntgen- oder Kontrastmitteluntersuchungen standen den damaligen Herzchirurgen zur Verfügung, um vor der Operation Informationen über die Erkrankung des Patienten zu gewinnen. Ultraschall oder gar Kernspintomografie, Grundlagen der heutigen Medizin, waren längst noch nicht verfügbar.
Auch sonst lässt sich die moderne Herzchirurgie kaum noch mit den Anfängen vergleichen. Während früher eine Herz-Lungen-Maschine mit bis zu zehn Litern Fremdblut vorbefüllt werden musste, finden in Tübingen heute 80 Prozent aller Operationen am offenen Herzen ohne jeglichen Einsatz von Fremdblut statt. Für den Patienten bedeutet die Vermeidung des Fremdblutkontaktes eine reduzierte Immunschwächung mit weniger Infektionen, schnellerer Mobilisierung und kürzerem Krankenhausaufenthalt.
An der Weiterentwicklung der Herz-Lungen-Maschinen, die dies ermöglichen – wie beispielsweise Geräte der Firma Maquet aus Hechingen – hat das UKT maßgeblich mitgearbeitet. „Die Herz-Lungen-Maschine in ihrer früheren Form war ein Koloss (Bild 1) und barg erhebliche Nebenwirkungen wie Blutungskomplikationen und Stoffwechselveränderungen. So verzichteten einige Herzchirurgen auf den Einsatz der Herz-Lungen-Maschine und führten Operationen wie Herzkranzgefäßoperationen am schlagenden Herzen durch“, berichtet Prof. Ulrich Stock. Dank des technischen Fortschritts und aufgrund der Schwierigkeiten, feinste Eingriffe an einem pulsierenden Organ durchführen zu müssen, kehrt man heute zu den Verfahren mit deutlich weiterentwickelten Herz-Lungen-Maschinen (Bild 2) zurück.
Auch die Operationstechniken haben sich enorm verbessert: Während früher bei Operationen am offenen Herzen das Brustbein der Patienten durchtrennt werden musste und große Operationsnarben zurück blieben (Bild 3), finden die Eingriffe heute minimal-invasiv statt. Wenige Zentimeter große Schnitte unterhalb der Brustwarze (Bild 4) genügen für den Einsatz der Präzisionsinstrumente.
Ebenfalls stark gewandelt hat sich das Alter der Patienten. Ursprünglich wurden Operationen am offenen Herzen vorwiegend bei kleinen Kindern, die mit Defekten an der Vorhof- oder Kammerscheidewand zur Welt gekommen waren, vorgenommen. Sehr bald schon wurden auch Säuglinge operiert. Während die kleinen Patienten und deren Eltern zuvor an die wenigen Zentren für Herzchirurgie nach Marburg, Göttingen oder München geschickt werden mussten, konnten sie ab den 1970er-Jahren endlich in der Region versorgt werden. Heute werden in Tübingen vom Neugeborenen bis zum 90-Jährigen alle Patienten operiert. Auch im hohen Alter kann eine Operation am Herzen noch viele zusätzliche Jahre bei hoher Lebensqualität schenken, wenn die Patienten ansonsten eine gute gesundheitliche Konstitution mitbringen.
40 Jahre nach der ersten Operation am offenen Herzen in Tübingen ist die Komplexität der Eingriffe – gerade an einem Universitätsklinikum wie Tübingen – deutlich gestiegen. „Wir haben zunehmend Patienten, bei denen zum Beispiel eine parallele Operation an den Herzkranzgefäßen, den Herzklappen und an der Halsschlagader erforderlich ist oder bei denen weitere schwere Begleiterkrankungen zu behandeln sind“, berichtet Prof. Ulrich Stock. Dennoch überleben 97 Prozent der Patienten den Eingriff. „Operationen am offenen Herzen sind heute zwar noch immer keine Routine, aber die Risiken sind beherrschbar und einschätzbar“, erläutert Prof. Ulrich Stock. Auch die Verweildauer der Patienten im Krankenhaus ist erheblich kürzer geworden. Die Pionierleistung von Prof. Hans-Eberhard Hoffmeister, der heute 82-jährig seinen Ruhestand in Tübingen genießt, war übrigens ebenfalls von Erfolg gekrönt: Die Operation am offenen Herzen des kleinen Jungen rettete dessen Leben.
Ansprechpartner für nähere Informationen
Universitätsklinikum Tübingen
Klinik für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie
Prof. Ulrich Stock, komm. Ärztlicher Direktor
Hoppe-Seyler-Str. 3 ,72076 Tübingen
Tel. 07071/29-8 66 38, Fax 07071/29-4047
Ulrich.Stock@med.uni-tuebingen.de
Bild 1
Herz-Lungen-Maschine aus dem Jahre 1970. Zur Vorfüllung des Systems und der Schläuche waren bis zu 15 Liter Fremdblut notwendig.
Bild 2
Moderne Herz-Lungen-Maschine der neusten Generation
Bild 3
Große Operationsnarbe nach Durchtrennung des Brustbeins
Bild 4
Kleine Operationsnarbe nach minimal-invasivem Eingriff
Bild 5
Operationsteam bei einer Operation am offenen Herzen am Uniklinikum Tübingen. Vorne rechts der Kardiotechniker, der die Herz-Lungen-Maschine überwacht.
Die Pressebilder 1 bis 5 (Copyright Uniklinikum Tübingen) können im Internet-Presseportal des UKT aus der Pressemeldung in druckfähiger Qualität heruntergeladen werden unter:
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