idw – Informationsdienst Wissenschaft

Nachrichten, Termine, Experten

Grafik: idw-Logo
Grafik: idw-Logo

idw - Informationsdienst
Wissenschaft

Science Video Project
idw-Abo

idw-News App:

AppStore

Google Play Store



Instanz:
Teilen: 
28.08.2001 19:21

Angewandte Mathematik in unserer sich rasch wandelnden Welt

Henry Thieme Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Konrad-Zuse-Zentrum für Informationstechnik Berlin

    Am 2.-6. September 2001: Internationaler Kongress in Berlin

    Applied Mathematics in our Changing World
    (Angewandte Mathematik in unserer sich rasch wandelnden Welt)

    web: http://www.zib.de/amcw01/

    Angewandte Mathematik hat sich in den letzten Jahren, von der Öffentlichkeit nahezu unbemerkt, zur Schlüsselwissenschaft unserer Informationsgesellschaft entwickelt - sie ist die Spinne im Netz. Dies zeigt die Vielfalt der Vorträge des am 2.-6. Sept. 2001 in Berlin stattfindenden internationalen Kongresses "Applied Mathematics in our Changing World". Die Tagung wird geleitet von Peter Deuflhard (ZIB und FU Berlin), Rolf Jeltsch (ETH Zürich) und Gilbert Strang (MIT Cambridge/USA). Kaum zu glauben, wie weit das Spektrum der Tagung reicht: die zehn international herausragenden Hauptvortragenden und über 600 Autoren insgesamt überstreichen Anwendungsgebiete von Medizin, Biotechnologie, Klima- und Umweltwissenschaften über Materialwissenschaften und Nanotechnologie, Kommunikation und Verkehr bis hin zur Sprach- und Bilderkennung und schließlich sogar zum Risikomanagement in der Finanzwirtschaft. Wer hätte gedacht, dass hinter all diesen Forschungs- und Technologiefeldern Mathematik steckt?

    Der Grund für das Eindringen der Mathematik in immer mehr Lebensbereiche ist einfach: Mathematik ist die beste Sprache, um komplizierte quantitative Probleme sauber zu formulieren und sie dann auf dem Computer zu simulieren und zu lösen. Längst wird die von der Öffentlichkeit deutlich wahrgenommene rasante Entwicklung immer schnellerer Rechner durch die von der Öffentlichkeit nahezu unbemerkte noch stürmischere Entwicklung der Rechenverfahren (Algorithmen) überflügelt -- ein Aspekt, der gerade für ein Land wie Deutschland wichtig ist; schließlich haben wir keine international ernst zu nehmende Computerindustrie, aber international hervorragende angewandte Mathematiker.

    Zusammenfassung

    Bei Durchsicht des umfangreichen Programms (siehe anhängendes Dossier) springt ins Auge, dass die weltweit wichtigsten Zentren für Angewandte Mathematik -- u.a. das Courant Institute New York, die Universitäten MIT und Yale, das Caltech Pasadena, das OCIAM Oxford, die ETH Zürich sowie das Zuse Institut Berlin (ZIB) bei dieser Entwicklung international die Vorreiter sind.

    Eine weitere Besonderheit zeichnet die Tagung aus: die weltweit größte Vereinigung für Angewandte Mathematik, die amerikanische Gesellschaft SIAM (Society for Industrial and Applied Mathematics) mit über 10 000 Mitgliedern, überschreitet damit zum ersten Mal die Grenzen der USA. Mit von der Partie ist die eher junge europäische Gesellschaft EMS (European Mathematical Society) mit etwa 2 700 Mitgliedern. Die Wahl des Tagungsortes Berlin, Campus Dahlem, für diesen Kongress ist ein Beleg für die internationale Hochschätzung der Angewandten Mathematik in Berlin und, nicht zuletzt, des Zuse Instituts Berlin, das seit nunmehr 15 Jahren auf
    diesem Gebiet international sichtbar ist.

    Rückfragen bitte an:

    Prof. Dr. Dr. h. c. Peter Deuflhard
    Präsident des ZIB
    Program Committee Chair

    Takustrasse 7
    14195 Berlin
    Tel. 030-84185-101, Fax -107
    E-mail: deuflhard@zib.de

    --------------------------------------------------------------------------------

    ANHANG: DOSSIER ZU HAUPTVORTRÄGEN UND
    WICHTIGEN TEILSYMPOSIEN

    Medizin

    Genaue Simulationen der Vorgänge im menschlichen Körper führen zu effektiveren Diagnose- und Therapieverfahren. Der Hauptvortragende Alfio Qarteroni von der Ecole Polytechnique Fédérale de Lausanne (EPFL), international führender Forscher in der Simulation des Blutkreislaufs, berichtet über Simulationen des Blutkreislaufs und dessen krankhafte Veränderungen. Blut, das durch die Adern fließt, tritt mechanisch und chemisch mit den Gefäßwänden in Wechselwirkung. Das resultierende mathematische Modell ist jedoch viel zu komplex: es muss für heutige (und auch zukünftige) Computer noch drastisch vereinfacht werden, eine typische Aufgabe der Angewandten Mathematik. Quarteroni zeigt, wie man durch Kopplung von unterschiedlich genauen Modellen den Blutkreislauf grob simulieren und dennoch wichtige lokale Details erfassen kann, wie etwa Stents zur Adererweiterung. Die Rechenmethoden, die er dabei anwendet, sind Variationen von Methoden, die auch im Entwurf von Flugzeugen verwendet werden -- ein für Laien kaum fassbarer Zusammenhang.

    Ein spannendes und aktuelles Thema ist die Hirnforschung. Im Fokus der Tagung steht das Sehen. In der Tat erbringen natürliche Sehsysteme Leistungen, die künstliche Sehsysteme weit in den Schatten stellen. Die Verarbeitung von einfachen visuellen Informationen im Gehirn geschieht bei Säugetieren im primären visuellen Cortex. Mathematisch stellt das Netzwerk ein sehr komplexes nichtlineares rückgekoppeltes System dar, bestehend aus einer großen Zahl von (exzitatorischen und inhibitorischen) Neuronen. Moderne Experimente und Rechenmethoden beginnen heute allmählich zu enthüllen, wie solche Netzwerke elementare Eigenschaften einer visuellen Szene entdecken und repräsentieren. David McLaughlin, der Direktor des Courant Instituts New York, organisiert dazu ein Teilsymposium mit internationaler Spitzenbesetzung.

    In einem Teilsymposium zur computergestützten Chirurgie werden neuartige Verfahren zur Simulation von Knochen- und Weichgewebe demonstriert, etwa zur Planung von beanspruchungsgerechten Knochenumstellungen oder gar von komplexen Operationen im Mund-Kiefer-Gesichtsbereich. Neben der funktionellen Rehabilitation spiegeln hier auch ästhetische Aspekte eine Rolle. Wissenschaftler des ZIB können neuerdings sogar die durch eine Operation veränderte Gesichtsmimik vorhersagen -- mit dem Computer kann also selbst das Lächeln eines Patienten vorherberechnet werden, das nach erfolgreicher Operation zu erwarten ist.

    Biotechnologie

    Die Entzifferung des Humangenoms wäre ohne moderne Verfahren der Mathematik und Informatik nicht denkbar gewesen. Hierbei wird der gesamte DNA-Strang aus sehr vielen kurzen, zufällig gebildeten DNA-Schnipseln rekonstruiert. Besondere Probleme bereiten den existierenden Verfahren allerdings Wiederholungen im DNA-Strang. Der Hauptvortragende Michael Waterman, einer der internationalen Pioniere der Bioinformatik, zeigt, wie dieses schwierige Problem auf eine Variante eines klassischen mathematischen Problems zurückgeführt werden kann. Hier schöpft die Mathematik aus dem reichen Fundus schon gelöster Probleme, die zum Teil weitab von der
    konkreten Anwendung liegen.

    Auch am ZIB und der FU Berlin wird derzeit mit völlig neuen Ideen an bioinformatischen Fragen gearbeitet, etwa am Entwurf von Medikamenten im Rechner. Hier hat sich wissenschaftliches Neuland aufgetan, auf dem die Berliner Forscher P. Deuflhard und C. Schütte international die
    Vorreiterrolle haben.

    Materialwissenschaften

    Das Design neuer Materialien und die Optimierung der zugehörigen Herstellungsprozesse verlangen ausgefeilte mathematische Verfahren. Anwendung finden die neuen Materialien in der Kommunikations- und Informationsindustrie, der Sensor- und Lasertechnologie, sowie in der noch jungen Nanotechnologie. Wesentliche Elemente sind speziell konstruierte dünne Schichten, hochkomplexe Mikrostrukturen, und supraleitende Materialien. Der Hauptvortragende Jon Chapman (eigentlich Oxford, angereist aber vom Caltech/USA) zeigt, wie sich supraleitende dünne Schichten mit mathematischen Modellen beschreiben lassen.

    Nanotechnologie

    In der Nanotechnologie sind sogenannte Kohlenstoff-Nanoröhren von besonderem Interesse. Das sind wenige Mikrometer lange Röhren aus aufgerollten Graphitlagen mit einem Durchmesser von wenigen Nanometern. Die Röhren weisen einzigartige Eigenschaften auf: einerseits sind sie mechanisch extrem stabil - sie vertragen 200-fach höhere Zugspannungen als Stahl - andererseits aber sind sie wesentlich leichter und, je nach Struktur, mal leitend, mal nur halbleitend. Weltweit versuchen zahlreiche Forschungslabors, hieraus makroskopische Materialien herzustellen, ohne die bemerkenswerten Eigenschaften des Ausgangsmaterials zu verlieren. Der Hauptvortragende Michael Griebel (Universität Bonn) stellt dazu international konkurrenzlose Resultate vor, die er mit mathematischen Simulationen, u.a. in Kooperation mit der NASA, auf großen Parallelrechnern gewonnen hat. Insbesondere kann er die Fähigkeit von Nanoröhren analysieren, Wasserstoff zu speichern, was für die Speicherung von Solarenergie in Zukunft entscheidend sein wird. Im Rechner stellt er quasi neue Materialien her, die so hart wie Diamant sind.

    Klima- und Umweltforschung

    Die Klimaforschung befasst sich mit extrem komplizierten Zusammenhängen. In hochkomplexen Modellen versucht man die Vielfalt der Einflussfaktoren, das Verhalten der verschiedenen Teilsysteme und deren Wechselwirkungen untereinander quantitativ zu erfassen. Verläßliche Prognosen können nur durch massive Unterstützung der Mathematik entstehen. Der Hauptvortragende Andrew Majda (Courant Institute, New York) erläutert aktuelle, für die kurzfristige Entwicklung des Klimas relevante Probleme der Atmosphärenforschung und Ozeanographie und zeigt, wie moderne angewandte Mathematik zu deren Lösung beitragen kann, ja sogar unverzichtbar ist.

    Kommunikation

    Für den Entwurf und optimalen Betrieb heutiger Kommunikationsnetzwerke werden in vielfältiger Weise modernste Verfahren der diskreten Mathematik und mathematischen Optimierung eingesetzt. In einem Überblicksvortrag zeigt der Hauptvortragende Martin Grötschel (ZIB und TU Berlin), welche mathematischen Techniken für den Entwurf von Chips, Boards und Netzwerkkomponenten, die Wahl der Aufstellungsorte, die Planung der Netzwerke und die Auslegung des Equipments benötigt werden. Zugleich diskutiert er fehlerverzeihende Algorithmen für die Verschlüsselung, die schnelle Datenverarbeitung und das Routing bei wechselnden Anforderungen. Anhand von praktischen Beispielen aus der Kooperation des ZIB mit bekannten Telekommunikationsanbietern erläutert er, wie modernste Algorithmen der mathematischen Optimierung beim Entwurf von kostengünstigen, verlässlichen und gütegarantierenden Telekommunikationsnetzwerken eingesetzt werden.

    Verkehr

    Für die Planung und Steuerung von Verkehrssystemen, insbesondere in Ballungsräumen, sollen zunehmend Simulationen eingesetzt werden. Der Hauptvortragende Kai Nagel (ETH Zürich) stellt neue Simulationsmethoden vor, bei denen jeder einzelne Reisende durch ein Teilchen repräsentiert wird; und das bis zu Millionen von Teilchen! Im Unterschied zu Physik oder Chemie sind diese Teilchen mit einer "Intelligenz" ausgestattet und zeigen ein spezifisches Verhalten: sie schlafen, essen, arbeiten, kaufen ein usw. - oft an unterschiedlichen Orten. Daraus resultieren Transportwünsche und -pläne, die aber auch beeinflusst werden durch - zunächst noch unbekannte - Verkehrsstaus.

    Finanzmärkte

    Zum optimalen Verhalten an den Finanzmärkten setzen Banken heute weltweitmathematische Methoden ein. Vor wenigen Jahren gab es zur sogenannten Black-Scholz-Formel sogar einen Nobelpreis. (Der Nobelpreis war natürlich nicht in Mathematik, sondern in den Wirtschaftswissenschaften angesiedelt.) Allerdings wurde er zu einer Zeit vergeben, als eine Reihe von Mathematikern bereits an dem preisgekrönten Theoriegebäude zu zweifeln begonnen hatten. Einer der Hauptkritiker ist der Hauptvortragende Benoit Mandelbrot (Yale University und IBM Yorktown Heights), der Öffentlichkeit weithin bekannt als der Erfinder der Fraktale. In seinem provokanten Vortrag hinterfragt er die etablierten mathematischen Verfahren und schlägt stattdessen ein eigenes Modell der Finanzpreis-Variation vor. Die Effektivität seines Modells liegt daran, dass fundamentale Grenzwertsätze der Wahrscheinlichkeitstheorie in diesem Kontext nicht angewendet werden müssen. Die Charakterisierung der zufälligen Schwankungen und starken Fluktuationen an den Finanzmärkten erfordert vielmehr nach seiner Ansicht völlig neue mathematische Methoden.

    Bilderkennung

    Die Erkennung von Objekten in Bildern ist eine der wichtigsten Funktionen unseres visuellen Systems. Wir erkennen nicht nur den Eiffelturm oder das Gesicht unserer Großmutter, sondern auch Klassen von Objekten, wie etwa Schuhe, Autos und Frösche. Der Hauptvortragende Pietro Perona (Caltech/USA), ein international anerkannter Pionier der mathematischen Bildanalyse, schlägt eine neue Klasse von Modellen vor, die das visuelle Erkennen erklären könnten. Des weiteren behandelt er das Problem, wie diese Modelle unter realistischen Bedingungen automatisch trainiert werden können. Kann ein Kind, oder etwa sogar eine Maschine, nur durch Hinsehen lernen, Gesichter und Autos zu erkennen ? Ein schwieriges Problem, da alltägliche Bilder verwirrend sein können und keine explizite Information über die Anwesenheit, den Ort und die Struktur neuer Objekte enthalten müssen.

    Ingenieurwissenschaften

    Ein zentrales Thema der Ingenieurwissenschaften ist die Berücksichtigung von Luft- und Wasserströmungen. Besonders schwierig und bis heute nicht vollständig verstanden ist das Problem der Turbulenz. Der Hauptvortragende Tom Hou (ebenfalls Caltech/USA) zeigt, wie das in zwei Raumdimensionen gut verstandene Problem der sogenannten Kelvin-Helmholtz-Instabilität in drei Dimensionen mit neuen mathematischen Verfahren numerisch analysiert werden kann und welche Folgerungen sich daraus für Strömungsrechnungen ergeben.

    WAS IST NEU ?

    - die schier unglaubliche Komplexität der Phänomene, die heute mathematisch erfassbar sind und
    die im Computer erfolgreich simuliert werden können

    - die Realitätsnähe der Simulationen und die daraus resultierende vielfältige praktische
    Nutzbarkeit

    - das Eindringen der Mathematik nicht nur in die Technologiefelder, sondern auch in die
    Lebenswissenschaften

    -------------------------------------------------------------------------

    First SIAM/EMS Conference

    APPLIED MATHEMATICS IN OUR CHANGING WORLD

    Berlin, Sept. 2-6, 2001.

    Web: http://www.zib.de/amcw01


    Weitere Informationen:

    http://www.zib.de/amcw01/


    Bilder

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Biologie, Ernährung / Gesundheit / Pflege, Informationstechnik, Mathematik, Medien- und Kommunikationswissenschaften, Medizin, Physik / Astronomie, Verkehr / Transport
    überregional
    Buntes aus der Wissenschaft, Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Tagungen
    Deutsch


     

    Hilfe

    Die Suche / Erweiterte Suche im idw-Archiv
    Verknüpfungen

    Sie können Suchbegriffe mit und, oder und / oder nicht verknüpfen, z. B. Philo nicht logie.

    Klammern

    Verknüpfungen können Sie mit Klammern voneinander trennen, z. B. (Philo nicht logie) oder (Psycho und logie).

    Wortgruppen

    Zusammenhängende Worte werden als Wortgruppe gesucht, wenn Sie sie in Anführungsstriche setzen, z. B. „Bundesrepublik Deutschland“.

    Auswahlkriterien

    Die Erweiterte Suche können Sie auch nutzen, ohne Suchbegriffe einzugeben. Sie orientiert sich dann an den Kriterien, die Sie ausgewählt haben (z. B. nach dem Land oder dem Sachgebiet).

    Haben Sie in einer Kategorie kein Kriterium ausgewählt, wird die gesamte Kategorie durchsucht (z.B. alle Sachgebiete oder alle Länder).