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(Berlin) Auf dem Deutschen Schmerzkongress in Berlin haben Experten eine angemessene Schmerztherapie für Säuglinge und Kinder gefordert. Sie geben Empfehlungen für die kindgerechte Behandlung und räumen mit einem folgenschweren Irrtum auf: Die Kleinen hätten noch kein Schmerzempfinden.
"Es ist ein Mythos, dass Früh- und Neugeborene keine Schmerzen haben oder sich nicht mehr an die Schmerzen erinnern können", sagt Professor Franz-Josef Kretz, Anästhesist am Klinikum Stuttgart. "Diese Märchen sind schuld daran, dass die Schmerztherapie in der Kinderheilkunde noch immer ein Stiefkind ist", klagt der Intensivmediziner.
Stattdessen ist bewiesen, dass Kinder bereits ab der 22. Schwangerschaftswoche im Mutterleib - also dann auch Frühchen - Schmerzen empfinden. Erfahrungen von Kinderärzten zeigen, dass Babys bei einer schmerzhaften Behandlung mit Schreien, Abwehr und Blaufärbung (Zyanose) reagieren. Studien belegen außerdem, dass Kinder ein Schmerzgedächtnis haben. Denn wer in den ersten Lebenswochen Schmerzen ausgesetzt war, zeigt später eine größere Schmerzempfindlichkeit.
Die noch weit verbreitete Unwissenheit über schmerzphysiologische Prozesse bei Säuglingen paart sich oft mit der zu großen Angst vieler Mediziner vor dem Einsatz von Analgetika. "Die Risiken einer Opioidgabe an Frühgeborene und Säugline sind tatsächlich hoch", räumt Kretz ein. Als Nebenwirkungen können Atemstillstand und Krampfanfälle mit lebensbedrohlichen Folgen eintreten. Diese können jedoch vermieden werden, so der Mediziner, wenn die Verabreichung von Schmerzmitteln auf den kindlichen Organismus abgestimmt wird.
Dazu gehört, dass die Medikamente zuerst in minimalen Dosen verabreicht und bei Bedarf gesteigert werden, bis Schmerzfreiheit eintritt. Außerdem müssen die kleinen Patienten lückenlos überwacht werden und Fachkräfte für den Notfall gerüstet sein. Allerdings warnt Kretz vor allzu großer Vorsicht: "Unter der Angst von Pädiatern, Anästhesisten und Kinderchirurgen vor der unerwünschten Wirkung der Opioide bei Kindern haben schon mehr Kinder gelitten als unter den unerwünschten Wirkungen selbst."
Das Hauptproblem bei der Schmerztherapie von Säuglingen und Kindern ist, dass der kleine Organismus empfindlicher auf die Medikamente reagiert und sie schlechter abbauen kann. "Viele Organe wie Gehirn, Leber und Nieren sind bei Früh- und Neugeborenen noch unreif und deshalb in ihrer Funktion eingeschränkt", erklärt Kretz. Zu beachten ist auch, dass das Neugeborene zu 80 Prozent aus Wasser besteht, der Erwachsene nur zu 60 Prozent. Außerdem enthält das Blut noch weniger Eiweißkörper, die für Transport und Wirkung der schmerzlindernden Substanzen zuständig sind.
Um den gleichen schmerzlindernden Effekt zu erreichen, benötigen Neugeborene weniger Schmerzmittel als Erwachsene.
Besondere Vorsicht gilt auch bei der Anwendung von lokalen Schmerzmitteln. Durch die geringere Transportkapazität und die geringere Bindung der Wirkstoffe an Proteine erhöht sich das nicht gebundene Lokalanästhetikum im Blut und kann toxische Reaktionen hervorrufen. "Auch bei der Lokalanästhesie ist streng darauf zu achten, dass beim Spritzen das Mittel nicht in die Gefäße gelangt", erklärt der Anästhesist.
In der Behandlung der jüngsten Patienten, vor allem in der Intensiv- und Notfallmedizin, werden dieselben Medikamente wie für Erwachsene eingesetzt. Die Palette reicht von leichten Schmerzmitteln (Paracetamol) bis zu den stark wirksamen Opioiden (Piritramid). Außerdem sind auch Beruhigungsmittel (Diazepam) von Bedeutung. Das am häufigsten eingesetzte Mittel, zum Beispiel nach Operationen, ist Piritramid wegen seiner geringen Nebenwirkungen. Welche Behandlung im Einzelnen sinnvoll ist, richtet sich genauso wie beim Erwachsenen nach Stärke und Sitz der Pein.
"Die Schmerztherapie erfolgt im Kindes- und Jugendalter ähnlich differenziert wie beim Erwachsenen", erklärt Kretz. Ihre Ziel sind, die Kinder aus der Stress-Situation, die die Schmerzen verursachen, zu befreien und auch schmerzhafte Untersuchungen oder die Beatmung erträglich zu machen. In der Langzeittherapie stellt sich wie für ältere Patienten das Problem der Gewöhnung an Schmerzmittel. "Dennoch hat in der akuten Phase die Schmerzbehandlung wirklich Vorrang vor der Angst um Abhängigkeit. Das wichtigste ist, dass sich die kleinen Patienten beruhigen und gesund werden können", unterstreicht Kretz.
Rückfragen an:
Prof. Dr. med. Franz-Josef Kretz
Ärztlicher Direktor der Klinik für
Anästhesiologie und Operative Intensivmedizin
Klinikum Stuttgart - Olgahospital
Pädiatrisches Zentrum der Landeshauptstadt Stuttgart
Bismarckstraße 8
70176 Stuttgart
Tel.: 0711-992-3330
Fax: 0711-992-3350
e-mail: kretz.anaesthesie@olgahospital.de
Pressestelle
Barbara Ritzert, ProScientia GmbH, Andechser Weg 17, 82343 Pöcking
Telefon (08157) 9397-0, Telefax (08157) 9397-97, E-Mail: presse@schmerz-kongress.de
Während der Tagung: Saal 8, Hauptgebäude der Technischen Universität
Straße des 17. Juni 35, Berlin, Tel. 030/314-22800; Fax: 030/314-25300
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Ernährung / Gesundheit / Pflege, Medizin
überregional
Buntes aus der Wissenschaft, Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Tagungen
Deutsch
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