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Wissenschaft
Medienmitteilung der Uni Bayreuth, Nr. 81/97, 1. Dezember 1997
Forschung mit Qualitaetssiegel: DFG Projekt "Gleichungen der Hydrodynamik" erfolgreich abgeschlossen
WARUM STROEMT FLUESSIGKEIT SO, WIE SIE STROEMT?
Mathematiker und Physiker erarbeiten Modelle zum Verstaendnis von Naturerscheinungen
Bayreuth (UBT). Das Ergebnis der jetzt ausgelaufenen Bayreuther Forschergruppe "Gleichungen der Hydrodynamik" kann sich wahrlich sehen lassen: Ueber 100 Fachpublikationen sind entstanden, 14 Nachwuchsforscher(innen) erwarben in den letzten sechs Jahren ihren Doktorhut, zwei weitere konnten sich habilitieren, also ihre Lehrbefaehigung erwerben, und fuenf Hydrodynamiker aus dem unmittelbaren Umfeld der Forschergruppe schafften den Sprung in die Professorenlaufbahn. Ein erfolgreiches Projekt hat also die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) nach ihren strengen Auswahlkriterien vor gut sechs Jahren genehmigt, nach drei Jahren verlaengert und seitdem mit erheblichen Mitteln gefoerdert; damals naemlich hatten der Physiker Friedrich Busse und die Mathematiker Herrmann Sohr (als externes Mitglied aus Paderborn), Michael Wiegner und Wolf von Wahl unter der Federfuehrung von Christian G. Simader auf 50 Seiten offenbar ueberzeugend dargelegt, warum eine solche Forschergruppe existieren und gefoerdert werden sollte.
Was muss man sich unter den Begriffen "Hydrodynamik" und "Gleichungen" vorstellen? Nun, in der "Hydrodynamik" wird die Bewegung von Fluessigkeiten mittels mathematisch-physikalischer Modelle beschrieben, die wiederum selber mit mathematischen und physikalischen Methoden untersucht werden. Dahinter steckt ein einfaches Erkenntnisinteresse: Warum stroemt Fluessigkeit so, wie sie stroemt? Oder anschaulicher: Warum fliesst der Rhein bei Koeln so ruhig und traege, ist dagegen bei Bingen so in Aufruhr? Wie vollzieht sich der Uebergang von laminarer (ruhiger) zu turbulenter Stroemung? Was ist ueberhaupt Turbulenz? Aber auch ganz praktische Fragen fallen ins Gebiet der Hydrodynamik. Wie muss der Schiffsrumpf beschaffen sein, damit der Widerstand minimal wird? Oder: Kann man Stroemungen in Netzwerken wie etwa dem Blutkreislauf exakt beschreiben?
Und mit den Gleichungen sind genauer Differentialgleichungen gemeint, die die Physiker aus Naturgesetzen herleiten und deren "Loesungen" sie in Zusammenarbeit mit den Mathematikern moeglichst genau zu charakterisieren versuchen. Solche "Differentialgleichun- gen" setzen etwa die zeitlichen und raeumlichen Aenderungen der gesuchten Geschwindigkeits- und Druckfelder zueinander ins Verhaeltnis. Allein aus diesen Relationen soll dann die Geschwindigkeitsverteilung, d. h. die "Loesung", in einem zu untersuchenden Fluessigkeitsvolumen wie z. B. den durch Bayreuth fliessenden Roten Main bestimmt werden.
Hat man geeignete Modelle, also Differentialgleichungen und ihre Loesungen, gefunden, so traegt das zu einem tieferen Verstaendnis der Naturerscheinungen bei. Und diese Modelle erlauben auch Vorhersagen ueber Systeme, die experimentellen Messungen nicht zugaenglich sind. Beispielsweise laesst sich so etwa am Computer simulieren, wie sich bestimmte Deichbauten auf das Stroemungsverhalten in den Kuestengewaessern auswirken oder ob Aenderungen im Design von Flugzeugen den gewuenschten Effekt bringen. Manche der Probleme sind aber so schwierig, dass sie einer auch nur ansatzweisen Loesung beharrlich widerstehen.
Aus der Fuelle der Fragestellungen koennen die Wissenschaftler immer nur Teilaspekte bearbeiten, was auch fuer diese Forschergruppe galt. Die versucht naemlich einen eher grundlagenorientierten Teil des grossen Fragenkatalogs zu beleuchten, der am ehesten unter dem Schlagwort "Stabilitaet im weitesten Sinne/Langzeit-verhalten" zu beschreiben ist.
Mit dem Stabilitaetsproblem der Hydrodynamik im klassischen Sinne beschaeftigen sich die Professoren Busse und von Wahl und ihre Mitarbeiter. Ausgangspunkt der Problembeschreibung ist eine stationaere, d. h. zeitunabhaengige Fluessigkeitsstroemung, der sogenannte Grundzustand, etwa die laminare (ruhige) Stroemung in einem Rohr oder die laminare Umstroemung eines Hindernisses. Stoert man diesen Grundzustand, etwa durch Erhoehung der Stroemungsgeschwindigkeit oder des treibenden Drucks, so veraendert er sein Aussehen und schlaegt in eine andere Stroemungsform um. Bei dem Stabilitaetsproblem handelt es sich um die genaue Bestimmung der Grenzen, von denen an eine solche Aenderung bei den Stroemungsformen eintritt und der urspruenglich beobachtete Grundzustand instabil wird. Solche Instabilitaeten sind die Vorlaeufer von Turbulenzerscheinungen, bei denen durch immer weitere Verstaerkung der Stoerung, beispielsweise des treibenden "aeusseren Drucks", die Fluessigkeit schliesslich in einen aeusserlich regellosen Zustand uebergeht. Bei der Angabe von Stabilitaetsgrenzen und vor allem bei der praezisen quantitativen Beschreibung des Uebergangs von Laminaritaet zu Turbulenz gibt es noch viele offene Fragen, die Physiker und Mathematiker seit ueber 100 Jahren beschaeftigen.
Mit einem anderen Aspekt von Stabilitaet befassen sich die Mathematiker Wiegner und Sohr. Hier wird eine stabile Grundstroemung zugrunde gelegt, von der man weiss, dass irgendwelche Anfangsstoerungen - etwa wenn ein Stein in einen Fluss geworfen wird - wieder in die urspruengliche Grundstroemung zurueckkehren. Das Langzeitverhalten wird dabei genauer untersucht: Wie schnell und welchem mathematischen Gesetz gehorchend nimmt die einmal angeregte Stoerung wieder ab?
Neben diesen Stabilitaetsuntersuchungen bei den klassischen Gleichungen fuer zaehe inkompressible Fluessigkeiten, den sogenannten Navier-Stokes-Gleichungen, werden aber auch andere, "exotischere" Modelle untersucht, die etwa durch Anwendungen in der Astrophysik motiviert werden. In diesem Zusammenhang studiert Professor Wiegner, der kuerzlich einem ehrenvollen Ruf an die TH Aachen folgte, "degenerierte" Diffusionsprozesse, bei denen die Bewegungen der Teilchen durch deren Konzentration gesteuert wird. Hier ist man vor allem daran interessiert, ob es zu "Blow-up"- Katastrophen kommen kann, d. h. ob die Teilchenkonzentration zu bestimmten Zeiten und an bestimmten Orten ueber alle Schranken wachsen kann.
Die Professoren Simader und Sohr schliesslich beschaeftigen sich hauptsaechlich mit den stroemungsmechanischen Grundgleichungen in "unbeschraenkten Gebieten" und entwickeln die dafuer erforderlichen mathematischen Grundlagen weiter. Unbeschraenkte Gebiete sind mathematische Idealisierungen von realen Anordnungen mit sehr grossen und sehr unterschiedlichen Ausdehnungen: etwa sehr lange Rohre (unendlich lange Zylinder) oder Rohrsysteme oder ein kleines Hindernis (U-Boot) in einem riesigen Ozean (Aussenraumgebiet).
In der Fachwelt geniesst das Bayreuther Ringen um Erkenntnis einen guten Ruf: Die Fachaufsaetze werden zur Kenntnis genommen und regen andere Gruppen zur Weiterarbeit bei aehnlichen Fragestellungen an. "Globalisierung" war in der Forschergruppe kein wohlklingendes Zukunftsprogramm, sondern alltaegliche Wirklichkeit: Einerseits durch die Anwesenheit staendig anderer auslaendischer Gastforscher und andererseits durch einen Workshop (1992) zu den "Gleichungen der Hydrodynamik", an dem 39 Wissenschaftler aus neun Laendern teilnahmen und der rund um den Globus eine Serie aehnlicher internationaler Konferenzen anstiess.
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Mathematik, Physik / Astronomie
überregional
Es wurden keine Arten angegeben
Deutsch
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