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21.04.2011 08:15

Latein – oder über den Vorteil, tot zu sein

Dr. Josef König Pressestelle
Ruhr-Universität Bochum

    Sprache als Mittlerin zwischen den Kulturen
    „Unübersetzbarer“ Koran über einen sprachlichen Umweg vertraut machen

    Das Lateinische gilt gemeinhin als ‚tote‘ Sprache und somit als weitgehend unnütz, allenfalls noch für Inschriften auf Ehrenmedaillen gut. Auf der anderen Seite besitzt das Lateinische aber, gerade weil es nicht mehr in Gebrauch ist, eine unglaubliche Flexibilität des Ausdrucks, die es ermöglicht, jede beliebige andere Sprache sehr exakt ins Lateinische zu übertragen, ohne die sonst unvermeidlichen Verfremdungseffekte und Sinnverluste. So argumentierte jedenfalls Ludovico Marracci (1612-1700), Professor für Arabisch an der Universität „La Sapienza“ in Rom.

    Sein Werk hat der Bochumer Latinist und Religionswissenschaftler Prof. Dr. Reinhold Glei, Mitglied im Research Department CERES, jetzt untersucht. Seine Studie wurde im Jahrbuch für Europäische Wissenschaftskultur veröffentlicht.

    Koran ohne sprachliche „Verrenkung“ übersetzen

    Im Jahr 1698 veröffentlichte Marracci ein monumentales, zweibändiges Werk über den Koran: eine komplette, voll vokalisierte arabische Textausgabe, eine lateinische Übersetzung und eine ausführliche Kommentierung. Der Koran galt und gilt eigentlich als unübersetzbar, wurde er doch von Gott dem Propheten Muhammad in einer Form des Arabischen eingegeben, deren Eleganz und Schönheit unnachahmlich ist. Bei einer Übersetzung, zumal in westliche Fremdsprachen, klingt vieles merkwürdig oder gar lächerlich, weil es dem modernen Sprachgebrauch widerstrebt. Im Lateinischen dagegen, so Marracci, lasse sich der Wortlaut des Korans bis ins Einzelne vollkommen exakt wiedergeben, ohne dass die lateinische Sprache dabei entstellt würde oder ‚Verrenkungen‘ erführe: Als ‚tote‘ europäische Traditionssprache könne das Lateinische eine Mittlerfunktion zwischen der fremden Sprache und Kultur und unserer eigenen wahrnehmen und so den Zusammenprall der Welten abfedern. Indem das Fremde nicht unmittelbar mit dem Vertrauten konfrontiert, sondern über eine vermittelnde Instanz übersetzt wird, werden dem Verständnis neue Zugänge eröffnet.

    Goethe versteht eigene Dichtung erst nach lateinischer Übersetzung

    Die Übersetzung Marraccis war Vorbild für viele moderne Übertragungen des Korans und ist noch heute von großem Wert für die Islamwissenschaft. Darüber hinaus eröffnet Marraccis These von der Verwendbarkeit des Lateinischen als universale Übersetzungssprache eine terra incognita, die weiterer Erforschung bedarf. „Es sei nur daran erinnert, dass Goethe einmal sagte, er habe seine eigene Dichtung ‚Hermann und Dorothea‘ erst durch die lateinische Übersetzung von Benjamin Gottlob Fischer (1822) so richtig verstanden“, erklärt Prof. Glei. „Wenn das kein Grund ist, Latein zu lernen!“

    Titelaufnahme

    Reinhold F. Glei: Arabismus latine personatus. Die Koranübersetzung von Ludovico Marracci (1698) und die Funktion des Lateinischen, in: Jahrbuch für Europäische Wissenschaftskultur Bd. 5 (2009/2010, erschienen April 2011), S. 93-115

    Weitere Informationen

    Prof. Dr. Reinhold Glei, Seminar für Klassische Philologie, Ruhr-Universität Bochum, E-Mail: reinhold.glei@rub.de

    Redaktion: Meike Drießen


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten
    Sprache / Literatur
    überregional
    Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

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