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09.01.1997 00:00

Publikation zu Max Nettlaus Leben und Wirken

Dr. Josef König Dezernat Hochschulkommunikation
Ruhr-Universität Bochum

    Bochum, 09.01.1997 Nr. 7

    Vorsicht Anarchist - Freiheit, wie sie niemand kennt

    RUB-Diss ueber Max Nettlau - Stoerenfried unter Stoerenfrieden

    Frei sein wollen wohl alle Menschen, aber die wenigsten machen sich klar, was das eigentlich heissen wuerde. Die Anarchisten im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert beschrieben ganz konsequent die Voraussetzungen fuer und die Wege zur Freiheit. Von ihren politischen Gegnern aus Buergertum und marxistischer Arbeiterbewegung wurden sie deshalb aus politischem Kalkuel und Unverstaendnis denunziert und verfolgt. Der Bochumer Historiker Dr. Manfred Burazerovic veroeffentlichte jetzt seine Dissertation, die Leben und Werk Max Nettlaus (1865-1944) zum Thema hat. Diese nicht nur Insider ansprechende biographische Studie ueber den auch in den eigenen Reihen sehr umstrittenen Chronisten der anarchistischen Bewegung ist von Prof. em. Dr. Siegfried Bahne (Neuere Geschichte unter bes. Beruecksichtigung der Geschichte des Sozialismus und der Arbeiterbewegung, Fakultaet fuer Geschichtswissenschaft der RUB) betreut worden.

    Anarchismus = Demokratie konsequent zuende gedacht

    Entgegen der immer wieder gehoerten Assoziation von Anarchismus mit Gewalt, verstehen Anarchisten vom Schlage eines Max Nettlau diese sozialistische Denkrichtung als konsequent zu Ende gedachte Demokratie, zu der unbedingt kultureller und sozialer Pluralismus gehoeren. Der aus der Naehe von Wien stammende Max Nettlau stiess waehrend seiner sprachwissenschaftlichen Studien in den spaeten 1880er Jahren in London auf sozialistische und speziell anarchistische Literatur. Die Faszination, die von den darin beschriebenen Ideen ausging, liess ihn zeit seines Lebens nicht mehr los. Im Laufe vieler Jahre trug er eine enorme Sammlung an Zeitschriften, Broschueren, Buechern und anderen schriftlichen Quellen zusammen, die noch heute einen elementaren Bestandteil des bedeutenden Internationalen Instituts fuer Sozialgeschichte (IISG) in Amsterdam bildet. Aus diesem Reservoir an Texten versuchte er mit seinen akribisch ausgearbeiteten Veroeffentlichungen, die Geschichte der anarchistischen Bewegung zu dokumentieren und zu analysieren. So ist es ihm zu verdanken, dass die Lebensgeschichte des bekannten russischen Anarchisten und Gegenspielers Karl Marx' , Michael Bakunin, bis heute nicht in Vergessenheit geraten ist.

    6000 Seiten des handschriftlichen Nachlasses ausgewertet

    Dr. Burazerovic stellte nicht den anarchistischen Historiker Max Nettlau in den Mittelpunkt seiner Arbeit, sondern Gedanken und Ideen eines Aussenseiters der libertaeren Bewegung. Grundlage hierfuer war die Auswertung des umfangreichen Nachlassmaterials Nettlaus und vor allem die Analyse der mehr als 6.000 handschriftliche Seiten umfassenden Memoirenmanuskripte. Abseits von den gaengigen Formen des politischen Diskurses findet man bei Nettlau ueberraschende Einsichten und UEberzeugungen, die eingefahrene gesellschaftliche Fehlentwicklungen blosslegen. So wurden von Nettlau fruehzeitig wirtschaftliche und soziale Fragen mit Aspekten des Umweltschutzes zusammengefuehrt.

    Nettlaus Kritik an Marx

    Fuer Max Nettlau machte die Differenz zwischen Privatheit und oeffentlichem Leben die Krux im Bemuehen um eine menschlichere Welt aus. Die politischen Fuehrer waeren laengst mit ihren Luegen ueber die von ihnen angestrebte soziale Gerechtigkeit entlarvt. Marx' Klasseneinteilung war fuer Nettlau ein laecherlicher Versuch, die Verantwortung jedes einzelnen Menschen fuer seine eigene Geschichte zu verleugnen und stattdessen eine a priori angenommene Gesetzmaessigkeit gesellschaftlicher Prozesse zu konstatieren.

    Anarchist mit langem Atem

    Als Historiker dachte Nettlau in grossen zeitlichen Massstaeben. Eine von ihm gewuenschte demokratische - im Sinne von Selbstbestimmung der Menschen - und sozialistische Gesellschaft hielt er fuer moeglich, wies aber die Anarchisten seiner Zeit auf den dazu notwendigen langen Atem hin. Am Anfang muesse die Aufklaerung, die UEberzeugungsarbeit stehen, aus der die Individuen dann selbstaendig ein neues Bewusstsein entwickeln muessten. Auf die Frage, wie das funktionieren solle, entgegnete Nettlau, dass jede gesellschaftliche Konstruktion, die nicht aus UEberzeugung von den Menschen akzeptiert wird, sondern durch Druck oder eigene Dummheit, allmaehlich in die ,Barbarei" gleiten muesse. Ohne die Notwendigkeit zu Solidaritaet und Gemeinschaft anzuzweifeln, erteilte er deshalb den Versuchen der organisierten Arbeiterbewegung, soziale Veraenderungen herbeizufuehren, eine Absage.

    Titelaufnahme

    Manfred Burazerovic, Max Nettlau. Der lange Weg zur Freiheit. Oppo-Verlag, Berlin 1996. 220 Seiten, 48 DM. (ISBN-Nr.: 3-926880-10-4)

    Weitere Informationen: Dr. Manfred Burazerovic, Pfalzgraefinstr. 5, 45276 Essen, Tel.: 0201/504077.


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Geschichte / Archäologie, Gesellschaft, Wirtschaft
    überregional
    Forschungsprojekte
    Deutsch


     

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