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25.05.2011 08:35

Schön, aber dem Tod geweiht: Schwindsucht aus der Perspektive von Frauen im 19. Jahrhundert

Dr. Josef König Pressestelle
Ruhr-Universität Bochum

    „Schwindend schreiben“: Neue Bochumer Veröffentlichung

    Im 19. Jahrhundert stand die Medizin angesichts der Schwindsucht vor einem Rätsel. Die Betroffenen hingegen verstanden es, der mysteriösen Krankheit auf unterschiedliche Weise Sinn zu verleihen, wie aus dem neuen Buch „Schwindend schreiben“ von Dr. Susanne Goumegou, Dr. Marie Guthmüller und Annika Nickenig vom Romanischen Seminar der RUB hervorgeht.

    „Die Schwindsucht war die Modekrankheit des 19. Jahrhunderts“, erklärt Guthmüller. „Normalerweise wurde aus der Sicht der Männer über die Frauen berichtet. Wir wollten die Perspektive wechseln und die Kranken selbst zu Wort kommen lassen. Das hat ganz neue Zusammenhänge hervorgebracht.“ Die Bochumer Literaturwissenschaftlerinnen stellen die Briefe und Tagebücher dreier französischer Frauen vor, die der Krankheit im Dialog mit dem Geliebten und in Bezug zu Gott Bedeutung verliehen oder sie zur Selbstinszenierung nutzten.

    Geliebte, Gott und Kunst

    Die Schwindsucht (Tuberkulose) war im 19. Jahrhundert die Krankheit schöner, dem Tod geweihter Frauen, die deren Körpern einen besonderen Reiz verlieh. Die russisch-stämmige Malerin Marie Bashkirtseff, über die Nickenig berichtet, beschreibt in ihren Tagebüchern etwa, wie die auszehrende Krankheit sie selbst zum Kunstwerk werden ließ. Guthmüllers Kapitel beschäftigt sich mit der adligen Salondame Pauline de Beaumont, die in dem „Sich verzehren“ für ihren Geliebten René de Chateaubriand den Sinn ihrer Krankheit sah. Beim Lesen religiöser Tagebücher entdeckte Goumegou die französische Hauslehrerin Joséphine Sazerac de Limagne, die die Schwindsucht als Weg zu Gott betrachtete und damit stellvertretend für viele Frauen der damaligen Zeit steht.

    Ein literaturwissenschaftliches Experiment

    „Marie Guthmüllers Idee, das Buch zu dritt zu schreiben, war ein Experiment“, sagt Goumegou und ihre Kolleginnen bestätigen: „Diese Form der Zusammenarbeit ist in der Literaturwissenschaft sehr unüblich.“ Das gemeinsam verfasste erste Kapitel des Buches gibt eine Einleitung zur Krankheit, Weiblichkeit und zum Schreiben im 19. Jahrhundert; in den drei anschließenden Kapiteln stellen die Autorinnen jeweils ihre eigene Protagonistin vor. „Das Buch ist sehr stark im Dialog entstanden und es geht ja auch um Dialog“, so Guthmüller. „Von der Arbeitsweise her hatten wir letztendlich das Gefühl, dass wir das Gleiche gemacht haben wie die Frauen, über die wir geschrieben haben.“

    Drei Frauen in Paris entdeckt

    Das im Böhlau-Verlag erschienene Werk geht auf das DFG-Projekt „Darstellung des Pathologischen im medizinischen und literarischen Diskurs in Frankreich im 19. Jahrhundert“ zurück. Quellen für das Buch zu finden, war nicht leicht und erforderte eine aufwendige Recherche in der Bibliothèque Nationale in Paris. „Zuerst hatten wir die Idee, mit Autobiographien zu arbeiten, aber Schwindsüchtige sterben, bevor sie Autobiographien schreiben können. Also haben wir Briefe und Tagebücher benutzt“, erzählt Goumegou. Nickenig erinnert sich an die Schwierigkeiten mit den gefundenen Texten: „Das Material war oft nur in Fragmenten oder in zensierter Form vorhanden. Deshalb mussten wir erst einmal einen einheitlichen Weg finden, wie wir mit diesem Problem umgehen.“ Auch wenn die Autorinnen beim gemeinsamen Schreiben Kompromisse eingehen mussten, ziehen sie ein positives Fazit: „Das Buch ist durch die Zusammenarbeit auf jeden Fall besser geworden, als wenn es eine von uns allein geschrieben hätte“, so Goumegou.

    Titelaufnahme

    Goumegou S., Guthmüller M., Nickenig A.: Schwindend schreiben - Briefe und Tagebücher schwindsüchtiger Frauen im Frankreich des 19. Jahrhunderts. Böhlau Verlag, Köln 2011. ISBN 978-3-412-20663-5

    Weitere Informationen

    Romanisches Seminar, Fakultät für Philologie der RUB, 44780 Bochum
    Dr. Marie Guthmüller, Tel.: 0234/32-25039, marie.guthmueller@rub.de
    Dr. Susanne Goumegou, Tel.: 0234/32-22632, susanne.goumegou@rub.de
    Annika Nickenig, Tel.: 0234/32-26935, annika.nickenig@rub.de

    Angeklickt

    Homepage des Verlags: http://www.boehlau-verlag.com/978-3-412-20663-5.html

    Redaktion: Dr. Julia Weiler


    Bilder

    Gemeinsames Literaturprojekt  zur Schwindsucht im 19. Jh.: Dr. Susanne Goumegou, Annika Nickenig und Dr. Marie Guthmüller.
    Gemeinsames Literaturprojekt zur Schwindsucht im 19. Jh.: Dr. Susanne Goumegou, Annika Nickenig und ...
    RUB-Pressestelle/Nelle
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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten
    Sprache / Literatur
    überregional
    Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

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