idw - Informationsdienst
Wissenschaft
Bochum, 05.05.1998 Nr. 92
Erfolgsmeldung trotz erschwerter Bedingungen
Schnecken, Fische, Pflanzen aus dem Weltraum zurück
Zweite Spaceshuttle-Mission mit ,C.E.B.A.S.- MINI-MODUL"
Nach 16tägigem Flug kehrte die Spaceshuttle Columbia pünktlich am 3. Mai 1998 zum Kennedy-Space-Center (Florida) zurück. Mit dabei war wieder das biologische Experimentsystem "C.E.B.A.S.-MINI-MODUL", ein in sich geschlossenes, künstliches Ökosystem mit Süßwasserfischen, Schnecken, Wasserpflanzen und Mikroorganismen in einem Wasservolu- men von nur 8,6 Litern, das unter Leitung des Bochumer Biologen Prof. Dr. Volker Blüm (Vergleichende Endokrinologie, Fakultät für Biologie der RUB) entwickelt worden ist. Mit der NEUROLAB-Mission stand das "C.E.- B.A.S.-MINI-MODUL" zum zweiten Mal und unter härteren Bedingungen im Weltraum-Test. So war die Experimentierzeit diesmal - im Vergleich zum Erstflug - beinahe doppelt so lang und das MIMI-MODUL mußte zeitweilige Temperaturprobleme im Shuttle überstehen. Die Wissenschaftler melden nach einer ersten Inspektion: ausgezeichneter Zustand der erwachsenen Fische, ca. 75 Prozent der Schnecken lebend zurück - alle wissenschaftlichen Folgeuntersuchungen gesichert.
Ab dem 12. Mai ist Prof. Blüm wieder in der RUB erreichbar.
Jeder Forscher bekommt seinen Teil
Die Spaceshuttle Columbia startete am 17. April 1998 mit dem C.E.B.A.S.-MINI-MODUL, in dem sich 4 trächtige Weibchen der Fischart Xiphophorus helleri (Schwertträger), 225 Jungtiere dieser Art, zahlreiche Wasserschnecken, Cerato- phyllum-Pflanzen und ein Bakterienfilter befanden und kehrte nach einem 16-tägigen Flug zum Kennedy-Space-Center zurück. Die zur Erde zurückgekehrten erwachsenen Fische befanden sich nach der ersten Inspektion in einem ausgezeichneten Zustand. Ca. 75 % der eingesetzten Schnecken kamen ebenfalls lebend zurück. Allen mit diesen Tieren befaßten Wissenschaftlern stehen nun ausreichende Mengen von Untersuchungsmaterial zur Verfügung, das in den nächsten Monaten wissenschaftlich aufgearbeitet werden wird. Die Schnecken hatten während der Mission eine große Anzahl von Eipaketen abgelegt, von denen allerdings nur ein Teil überlebte. Auch von den Jungfischen überlebte die Mission ein geringerer Anteil als erwartet. Trotzdem reicht die Anzahl der Überlebenden aus, um mit ihnen die geplanten wissenschaftlichen Untersuchungen ohne gravierende Einschränkungen durchzuführen.
Pflanzenmasse im Weltall mehr als verdoppelt
Eine erste Analyse der kontinuierlich erfaßten physikalischen Systemdaten, die Einsichten in den Stoffhaushalt erleichtern werden, gibt Anlaß zu der Annahme, daß eine extrem hohe Umgebungstemperatur (bis zu 33°C) im Spaceshuttle auch Auswirkungen auf das MINI-MODUL gehabt haben könnte. Die Auswertung der Videoaufnahmen wird eine weitergehende Analyse des Systemverhaltens und eine Situationsanalyse ermöglichen. Die eingesetzten Ceratophyllum-Pflanzen vermehrten ihre Biomasse im Verlauf der Mission um erstaunliche 238 %. Mit der NEURO- LAB-Mission wurde zum zweiten Mal ein künstliches aquatisches Ökosystem im Weltraum getestet, diesmal unter den erschwerten Umständen einer im Vergleich zum Erstflug fast verdoppelten Missionsdauer und den erwähnten Temperaturproblemen.
Simulierte Biosphäre im Weltraum
Das ,Closed Equilibrated Biological Aquatic System" (C.E.B.A.S.) ist ein geschlossenes künstliches aquatisches Ökosystem, in dem wurzellose Wasserpflanzen (Ceratophyllum demersum, Gemeines Hornkraut) im Prozeß der Photosynthese Lichtenergie in chemische Energie umwandeln, indem sie Wasser und Kohlendioxid in Kohlenhydrat und Sauerstoff umwandeln. Letzterer dient Fischen (Xiphophorus helleri, Schwertträger), Wasserschnecken (Biomphalaria glabrata) und Mikroorganismen zur Atmung, wobei diese wiederum Kohlendioxid ausscheiden, welches von den Pflanzen zur Photosynthese benötigt wird. Als Endprodukt des Eiweißstoffwechsels geben die Wassertiere Ammoniumionen ab, die sich im Wasser teilweise in giftiges Ammoniak umwandeln. Dieses wird von speziellen ammoniumoxidierenden Mikroorganismen in einem Bakterienfilter zuerst in Nitrit- und dann in Nitrationen umgewandelt, die dann den Pflanzen als Stickstoffquelle dienen. So etabliert sich das ,Gerüst" eines Stoffkreislaufs, in dem die Pflanzen als ,Produzenten" Lichtenergie in chemische Energie umwandeln, wobei u. a. der hierbei gebildete Sauerstoff von Tieren und Mikroorganismen, den ,Konsumenten", verbraucht wird. Das C.E.B.A.S. simuliert so in stark vereinfachter Weise Stoff- und Energiekreisläufe, die die Grundlage der Existenz der Biosphäre, d. h. der Erdkruste und der Atmosphäre und der darin befindlichen belebten und unbelebten Natur sind. Somit ist dieses System ein vorzügliches Experimentierwerkzeug zur Modellanalyse aquatischer Ökosysteme in der terrestrischen Forschung. In ihm können aber auch die Einflüsse von Weltraumbedingungen auf die in ihm lebenden Organismen studiert werden. Die angewandten Aspekte dieser Forschung führen zu Systemen, in denen durch die Verwendung pflanzenfressender Fische zusätzlich ein Nahrungskreislauf geschlossen wird. Diese lassen sich als innovative Intensiv-Aquakultursysteme zur Produktion pflanzlicher und tierischer Biomasse zur menschlichen Ernährung optimieren. Dies ist der zweite Anknüpfungspunkt des C.E.B.A.S. an die Weltraumforschung: Produktionssysteme für tierisches und pflanzliches Eiweiß sind in sog. bioregenerativen Lebenserhaltungssystemen (z. B. für lunare oder planetare Basen) unter reduzierter Schwerkraft nur als geschlossene Aquakultursysteme realisierbar.
Großmodul mit 150 Litern - Minimodul mit 8,6 Litern
Das C.E.B.A.S. wurde an der RUB in dem vom BMBF über DARA/DLR und dem Land NRW eingerichteten ,C.E.B.A.S.-Forschungszentrum" von Prof. Blüm und seinen Mitarbeitern in 13-jähriger Foschungsarbeit entwickelt; letztere bauten auch am Kennedy Space Center mit Unterstützung durch die NASA eine große Fisch- und Schneckenproduktionsanlage auf, in der sie Tausende von Tieren für die Weltraum- und Laboratoriumsexperimente züchteten. Es gibt zwei C.E.B.A.S.-Versionen: das ,Original-C.E.B.A.S." mit einem Gesamtvolumen von ca. 150 l und das ,C.E.-B.A.S.-MINI-MODUL" mit 8,6 l Inhalt, das speziell für Raumfahrtexperimente optimiert wurde. Das raumflugfähige System wurde von der Bremer Firma OHB gefertigt. Es besteht aus einem ,Organismentank" und Peripheriegeräten, die einen nahezu vollautomatisierten Betrieb zulassen, d. h. lediglich die Kassetten zur Videoaufzeichnung müssen täglich von einem Astronauten gewechselt werden. Das gesamte Gerät ist in einen sog. ,Middeck-Locker" eingepaßt, der im Schlaf- und Aufenthaltsraum der Astronauten in ein spezielles Regal eingebaut ist. Der Organismentank besteht aus den typischen C.E.B.A.S.-Komponenten: 2 Tiertanks, einem Pflanzenbioreaktor, einem Bakterienfilter und einer Meß-/Überwachungseinheit.
Zwei Ziele - viele Kooperationspartner
Die Weltraumflüge des ,C.E.B.A.S.-MINI-MODULS" hatten zwei Ziele. Das erste war, die Funktionalität der biologischen und technischen Komponenten unter Welt- raumbedingungen zu untersuchen, um die Verwendbarkeit des Systems grundsätzlich auszuloten und erste Ansätze zu einer Analyse der Interaktionen der Einzelkomponenten zu erarbeiten. Das zweite Ziel war die Nutzung des Systems zur Lösung verschiedener wissenschaftlicher Fragestellungen zum Einfluß von Weltraumbedingungen auf die in ihm lebenden Organismen. Die Entwicklung des C.E.B.A.S. orientierte sich von Anfang an an diesem interdisziplinären wissenschaftlichen Rahmenprogramm, in das bei der STS-89-Mission 4 deutsche und zwei U. S. -amerikanische Universitäten sowie das Hospital of Special Surgery in New York involviert sind. Die deutschen Forscher werden vom BMBF via DLR finanziert, die amerikanischen von der NASA. Alle Unterprojekte sind eigenständige Forschungsvorhaben. Sie schließen aber auch den Kreis zum ,Ökosystemaspekt" des C.E.B.A.S., indem ihre Einzelergebnisse wertvolle Bausteine einer Systemanalyse sind.
Weitere Informationen
Prof. Dr. Volker Blüm, Vergleichende Endokrinologie, Fakultät für Biologie der RUB, Tel.: 0234/700-4332
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Biologie, Informationstechnik
überregional
Es wurden keine Arten angegeben
Deutsch
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