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08.08.2011 12:07

Gipsköpfe schulen das Kunstverständnis

Johannes Seiler Abteilung Presse und Kommunikation
Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn

    König Salomon, die Königin von Saba, die Uta aus Naumburg und der Joachim aus Reims schlummerten bei den Kunstgeschichtlern der Universität Bonn Jahrzehnte im Dornröschenschlaf. Doch die Gipsabgüsse wertvoller Skulpturen und Bauplastiken aus dem Mittelalter und der Renaissance sind inzwischen gefragt wie nie: Für die forschungsnahe Lehre und außerdem für Ausstellungen in verschiedenen Städten.

    Wer in der Abteilung Kunstgeschichte im Hauptgebäude der Universität Bonn über knarrende Holzwendeltreppen emporsteigt, die nach Leder und gealtertem Papier riechende Bibliothek im Spitzboden aufsucht oder durch die Flure wandelt, begegnet historischen Figuren auf Schritt und Tritt – in Form von Abgüssen. Rund 300 Gipse sind hier versammelt. Wie eine Ausstellung mutet die Eingangshalle der kunsthistorischen Abteilung im Westflügel des früheren Stadtschlosses an. Hier sind geschützt in Glasvitrinen lebensgroße Abgüsse von Ekkehard und Uta, den berühmtesten der Stifterfiguren aus dem Westchor des Naumburger Doms, und von König Heinrich II. vom Bamberger Dom zu sehen.

    „Fotos oder Zeichnungen von Skulpturen vermitteln nie ein vollständiges Bild“, sagt Dr. Harald Wolter-von dem Knesebeck, Professor für Kunstgeschichte an der Universität Bonn. „Ein Gipsabguss gibt dagegen den räumlichen Eindruck und die wirkliche Größe des Exponats eins zu eins wieder.“ Der Wissenschaftler schwört deshalb auf die Abgüsse und nutzt sie intensiv für die Lehre. Leicht gebückt fährt der Professor eine Skulptur auf einem Rollwagen heran. Die meisten Gipsplastiken stehen auf solchen fahrbaren Untersätzen. Im Übungsraum stellt der Kunstgeschichtler sie dann nach den jeweiligen Themengebieten für die nächste Vorlesung zusammen – Lehre zum Anfassen gewissermaßen.

    Wichtige Skulpturen aus verschiedenen Städten an einem einzigen Ort

    „An einem einzigen Ort, sämtliche wichtigen Skulpturen kennenzulernen, geht nur hier“, sagt Prof. Wolter-von dem Knesebeck verschmitzt. „Denn in Wirklichkeit wird man nie Skulpturen aus Köln, Mailand, Amiens, Naumburg und Bamberg zusammen betrachten können, weil die Originale an verschiedenen Kirchengebäuden und Kathedralen vorkommen.“ Teilweise sind die Skulpturen auch in einer solchen Höhe in die Fassade der Baudenkmäler integriert, dass sie kaum zugänglich sind. „Natürlich geht nichts über die Aura des Originals“, räumt der Kunstgeschichtler ein. Doch viele der Skulpturen sind durch Kriege oder Naturkatastrophen zerstört – die Abgüsse haben aber überlebt.

    Professor Paul Clemen, der von 1902 bis 1937 an der Bonner Universität wirkte, baute die Abguss-Sammlung systematisch auf – neben der der Archäologen handelt es sich dabei um die zweite universitätseigene Sammlung von Gipsen. Darunter waren von Michelangelo der Gefesselte Sklave sowie von Donatello der heilige Georg und der Bronze-David. Im Jahr 1911 zog die Sammlung in die „Skulpturenhalle“, dem mit Glas überdachten und Licht durchfluteten Innenhof im Westflügel des Universitäts-Hauptgebäudes. Viele Werke aus dem Mittelalter und der Renaissance waren zu sehen, darunter Abgüsse von Figuren des Kölner und des Naumburger Doms sowie des Bamberger Reiters. Bauplastiken ergänzten die Sammlung.

    Der Zweite Weltkrieg riss eine große Lücke in die Sammlung

    Allerdings riss der Zweite Weltkrieg eine große Lücke in die kunstgeschichtliche Gipsabguss-Sammlung der Bonner Universität. Am 25. Oktober 1944 fiel die Skulpturenhalle Fliegerbomben zum Opfer. Nur etwa die Hälfte der Abgüsse überstand den Angriff weitgehend unbeschadet. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die Gipse in undichten Kellern und Dachböden zwischengelagert, wodurch es teilweise zu Wasserschäden und Verschmutzungen kam. Überliefert sind auch die Folgen von Studentenstreichen: Eine Frauenskulptur überlebte vor vielen Jahren zwar eine ausgelassene Party, trägt seitdem aber eine rosa Gesichtsfarbe und einen schwarzen Schnurrbart.

    „Der inzwischen emeritierte Professor Heijo Klein hat sich als erster wieder einer stärkeren Bewusstmachung der Sammlung verschrieben“, sagt Prof. Wolter-von dem Knesebeck, der ebenfalls die Gipsabguss-Sammlung wieder aufbauen möchte. „Ich verwende einen Teil meiner Berufungsmittel für Neuanschaffungen“, berichtet er. Rund 50 weitere Gipse will der Kunsthistoriker in Berlin zukaufen, kürzlich kamen als private Spenden die Büste einer aragonesischen Prinzessin des Renaissancebildhauers Francesco Laurana und ein Relief mit dem Brustbild des Würzburger Fürstbischofs Julius Echter von 1576 dazu. Martin Neubacher, Mitarbeiter an der Kunsthistorischen Abteilung, erstellt zur Zeit einen Katalog mit sämtlichen Abgüssen der Abteilung. „Es ist faszinierend, mit den Gipsen zu arbeiten“, sagt Neubacher. „Anhand der Stücke lässt sich auch die Geschichte des kunstgeschichtlichen Instituts sehr gut nachvollziehen.“

    Bonner Abgüsse sind für verschiedene Ausstellungen gefragt

    Die Abguss-Sammlung ist gefragt. Für Ausstellungen werden die Gipse in letzter Zeit verstärkt nachgefragt. So ist derzeit ein selbst als Dauerleihgabe nach Bonn gekommenes Kirchenmodell von St. Michael in Hildesheim in der Domschatzkammer und im Diözesanmuseum in Osnabrück anlässlich der 1000-Jahr-Feier der ehemaligen Stiftskirche Sankt Johann zu sehen. In Naumburg wird auf der gerade angelaufenen Ausstellung zum Naumburger Meister ebenfalls ein Stück der Bonner Kunsthistoriker gezeigt – ein Kapitell mit sehr lebendigem Blattdekor aus der Kathedrale von Reims.

    Gipsabgüsse dienten wohl auch schon im Mittelalter bei den Künstlern als Vorlagen. Einen Hinweis hierauf gibt die „Sybille“ aus dem Bamberger Dom: „Die Frauenfigur verfügt über einen ungewöhnlich mächtigen Adamsapfel“, merkt Prof. Wolter-von dem Knesebeck an. „Es wird vermutet, dass ihr ein mittelalterlicher Abguss einer Königsfigur aus Reims Pate stand.“ So wurde damals offenbar nicht abgekupfert, sondern abgegipst. Bald gehen auch Bonner Abgüsse von Figuren des Chorgestühls des Kölner Doms und vom Fürstenportal in Bamberg nach Mainz auf Reisen. Das dortige Dommuseum plant eine Ausstellung zum Lachen im Mittelalter. „Wenn wir unsere Abgüsse ausleihen, trägt das auch zum Erhalt der Sammlung bei“, sagt Prof. Wolter-von dem Knesebeck. „Der Leihnehmer übernimmt nämlich die Kosten für die Restaurierung der Stücke.“

    Die Abgüsse sind während der Öffnungszeiten der Kunsthistorischen Abteilung, in den Semesterferien von Montag bis Freitag von 9 bis 19 Uhr im Universitäts-Hauptgebäude, Regina-Pacis-Weg 1, zu sehen. Die Eingangshalle befindet sich im Westflügel, Zugang vom Hofgarten aus.

    Kontakt:

    Prof. Dr. Harald Wolter-von dem Knesebeck
    Institut für Kunstgeschichte und Archäologie
    Tel. 0228/734781
    E-Mail: hwolter@uni-bonn.de


    Weitere Informationen:

    http://www3.uni-bonn.de/Pressemitteilungen/223-2011 Bilder zu dieser Pressemitteilung


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, jedermann
    Geschichte / Archäologie, Kulturwissenschaften, Kunst / Design
    überregional
    Studium und Lehre
    Deutsch


     

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