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31.01.2002 15:26

Leben unter extremen Bedingungen

Dipl.-Ing. Margarete Pauls Kommunikation und Medien
Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung

    Übersichtsartikel in Science

    Das Wissenschaftsmagazin Science rückt das Thema "Lebensraum Meereis" in seiner aktuellen Ausgabe auf die Titelseite. Dr. David Thomas von der University of Wales-Bangor und Dr. Gerhard Dieckmann vom Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung (AWI) sind Verfasser des Übersichtsartikels "Antarctic Sea Ice - Habitat for Extremophiles". Wir informieren hier kurz über die aktuelle Forschung der Arbeitsgruppe am AWI. Eine Übersetzung des Artikels finden Sie in der Anlage. Eine Abbildung schicken wir Ihnen auf Anfrage gern zu.

    Das Meereis bedeckt etwa 13% der Erdoberfläche. In den winzigen, stark salzhaltigen Kanälchen, die sich beim Gefrieren des Meerwassers bilden, leben Bakterien, einzellige Mikroalgen und Tiere. Sie gedeihen hier und pflanzen sich fort bei Temperaturen weit unter dem Gefrierpunkt, bei sehr hohen Salzgehalten und sehr geringem Lichteinfall. Wie ihre Anpassung an diesen ungemütlichen Lebensraum funktioniert, wird in verschiedenen Arbeitsgruppen am Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung untersucht. Die polare Mikroalge Fragilariopsis cylindrus hat das besondere Interesse der Forscher geweckt. Unter simulierten Freilandbedingungen wächst die Alge hier im Labor in Bremerhaven. Spezialinstrumente messen die Produktion von Sauerstoff in den bewohnten Kanälchen und damit das Wohlbefinden der Alge. Genetische Analysen der Kulturen dienen der Identifizierung der Enzyme, die für die Anpassung an diesen Lebensraum notwendig sind. Da sich Dr. Dieckmann derzeit auf Expedition befindet, steht für weitere Fragen sein Kollege Thomas Mock zur Verfügung (Telefon: 0471 / 4831 - 1893).

    Bremerhaven, den 31. Januar 2002
    Bitte senden Sie uns bei Abdruck einen Beleg.

    Antarktisches Meereis - Ein Lebensraum für Extremophile von Dr. David Thomas und Dr. Gerhard Dieckmann
    Erschienen in Science, Vol. 295, No 5555, vom 25. Januar 2002
    Übersetzt und zusammengefasst von Thomas Mock

    Anders als Süßwassereis bildet Meerwasser beim Gefrieren ein halbfestes, sprödes Material, durchzogen von einem Netzwerk feiner Kanäle und Poren. Sie sind einige Mikrometer bis einige Millimeter groß und mit Salzsole gefüllt, die sich bildet, wenn die Eiskristalle zusammenfrieren.
    Die physikalischen und chemischen Eigenschaften des Meereises werden an der Oberseite durch die Atmosphäre bestimmt und an der Unterseite durch das Meerwasser. Hierdurch wird das Meereis zu einer Grenzschicht zwischen Atmosphäre und Ozean mit großen Unterschieden in Temperatur, Salzgehalts, Raum und Licht. Die Temperaturen können an der Oberseite bis zu -20°C erreichen und an der Unterseite auf -1.8°C ansteigen. Dabei ändert sich der Salzgehalt der Sole von 200ppt auf 38ppt bei gleichzeitiger Vergrößerung der Solekanäle an der Unterseite. Der Großteil des eingestrahlten Lichtes wird durch den Schnee und das Eis an der Oberfläche reflektiert. Der eindringende Teil nimmt dann mit zunehmender Tiefe rasch ab. Nur maximal 5% des einfallenden Lichtes gelangt so an die Unterseite.
    Die meisten Organismen des Meereises wie Viren, Bakterien, Algen, Protisten, Würmer und kleine Krebse gelangen während der Meereisbildung im Herbst in das Eis. Die aufsteigenden Eiskristalle sammeln diese Mikroorganismen aus dem Wasser und schließen sie in die Solekanäle oder Taschen ein. Aber nur solche Organismen können sich in diesem Lebensraum vermehren, die an diese extremen Bedingungen angepasst sind. Die erfolgreichsten und gleichzeitig auffälligsten Organismen sind Kieselalgen (Diatomeen), die an diese geringen Lichtintensitäten gut angepasst sind und mit ihren photosynthetischen Pigmenten das Eis braun färben. Sie sind eine wichtige Nahrungsgrundlage für den Antarktischen Krill, der sich hauptsächlich im Winter von ihnen ernährt.
    Die Anpassung an die tiefen Temperaturen ist eine wichtige Voraussetzung für alles Leben im Meereis. Die meisten Organismen sind bei Temperaturen von über +15°C nicht mehr lebensfähig. Die Gefahr des Einfrierens besteht durch den Entzug von freiem Wasser in den Zellen bei gleichzeitig hohem Salzgehalt der Sole. Unter diesen Bedingungen produzieren die Organismen Osmolyte, mit denen ein Wasserentzug verhindert werden kann.
    Ein interessanter Osmolyt und Gefrierschutzstoff bei Meereisalgen ist Dimethylsulfoniumproprionat (DMSP), die Vorstufe des flüchtigen Dimethylsulfides (DMS). DMS gelangt nach Abspaltung von DMSP aus dem Meereis in die Atmosphäre, wo es zu SO3 und Sulfonaten oxidiert wird. Diese wirken als Kondensationskeime für die Wolkenbildung und beeinflussen dadurch direkt die Regulation des Klimas.
    Neben den Osmolyten sind besonders kälteangepasste Enzyme mit hoher katalytischer Aktivität bei niedrigen Temperaturen für die Frostresistenz verantwortlich. Auch ein hoher Anteil an mehrfach ungesättigten Fettsäuren (PUFAs) ist eine wichtige Voraussetzung für die Kälteanpassung. Hierdurch wird die Fluidität der Zellmembranen auch noch bei sehr niedrigen Temperaturen gewährleistet. Das ist besonders für den Transport von Nährstoffen und für die Funktion membrangebundener Enzyme wichtig.
    Nicht nur intrazellulare Anpassungen spielen eine wichtige Rolle im Leben der Meereisorganismen. Viele Meereisdiatomeen sondern so genannte Eisaktive-Substanzen ab, zu denen beispielsweise Glycoproteine gehören, mit denen sie die Oberflächen und die optischen Eigenschaften der Eiskristalle verändern können, von denen sie umgeben werden. Auch Polysaccharide werden ausgeschieden, die einer Art Schutzfilm um die Zellen bilden.
    Diese physiologischen Fähigkeiten ziehen in den letzten Jahren die Aufmerksamkeit von Biotechnologen und Pharmazeuten auf sich, die besonders die kälteangepassten Enzyme und die mehrfach ungesättigten Fettsäuren für den Menschen nutzen wollen. Neben diesen angewandten Aspekten bleibt die Frage, wie sehr sich das gesamte Ökosystem der Polarregionen durch eine Veränderung der Meereisausdehnung aufgrund einer Klimaerwärmung ändern wird. Es ist anzunehmen, dass sich dadurch auch die Verbreitung der Meereisorganismen ändert, was besonders in der Antarktis bedeutende Konsequenzen für den Krill hat, der im Meereis seine Nahrungsgrundlage findet.
    Nicht nur auf der Erde rücken die Meereisorganismen in den Focus der Wissenschaft. Die Entdeckung der eisbedeckten Ozeane auf den Jupitermonden Europa und Ganymed treiben Astrobiologen zu enthusiastischen Vorstellungen, dass dieses Eis vielleicht auch Mikroorganismen enthalten könnte. Braun gefärbte Eisschollen auf Europa wecken sehr schnell die Erinnerung an mit Diatomeen besiedeltes Meereis. Doch dieses extraterrestrische Eis ist zwischen 10 und 100km dick bei Temperaturen weit unter - 20°C. Falls dort wirklich Lebensformen existieren oder existierten, scheint es sehr unwahrscheinlich, dass es die gleichen sind wie im Meereis unserer heutigen Erde.


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Biologie, Geowissenschaften, Informationstechnik, Meer / Klima, Umwelt / Ökologie
    überregional
    Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

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