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Soziologe der Uni Jena beleuchtet in neuem Band die Veränderungen der Gewerkschaften
"Aus dem Wirbel und Sturm, aus Feuer und Glut der Massenstreiks, der Straßenkämpfe steigen empor wie die Venus aus dem Meerschaum: frische, junge, kräftige und lebensfrohe – Gewerkschaften.“ Mit diesen pathetischen Worten sagte Rosa Luxemburg Anfang des 20. Jahrhunderts den Gewerkschaften eine Stärkung voraus, welche sie durch die Krise erfahren würden. Ein Jahrhundert später – in der bis dato anhaltenden Finanz- und Wirtschaftskrise – scheinen derartige Weissagungen keine Gültigkeit mehr zu haben.
„Auf den ersten Blick erleben die Gewerkschaften tatsächlich eine Art Renaissance, da sie in unsicheren Zeiten gefragter sind denn je. Doch bei genauerem Hinsehen entpuppt sich diese Neubelebung teilweise als eine Art Wiederbelebung korporativer Konfliktbewältigungsmuster aus der Ära des fordistischen Kapitalismus“, dämpft Klaus Dörre von der Friedrich-Schiller-Universität Jena die Euphorie der Gewerkschaften und ihrer Anhänger. Der Jenaer Soziologe hat zusammen mit Dr. Thomas Haipeter von der Universität Erlangen gerade den Band „Gewerkschaftliche Modernisierung“ herausgegeben. Darin versammelt sind zehn Beiträge, welche aus einer Tagung hervorgegangen sind, die im Juni 2010 in Mühlheim an der Ruhr stattfand. Sie beleuchten auf unterschiedlichste Weise zaghafte Erneuerungsbemühungen, aber auch Facetten der Krise gewerkschaftlicher Interessenrepräsentation, die seit den 1990er Jahren zur Schwächung der Mitgliedsorganisationen des DGB geführt haben.
Von besonderer Bedeutung, so Klaus Dörre, sind die gewerkschaftlichen Reaktionen auf die Finanzmarktkrise. Um deren Auswirkungen für alle Beteiligten so gering wie möglich zu halten, hätten sich die großen Industriegewerkschaften mit den regierenden politischen Eliten verbündet, so der Jenaer Soziologe. „Es ist nur allzu natürlich, dass die Gewerkschaften in Krisenzeiten nicht den offenen Widerstand antreten, sondern versuchen, ihren Status durch Verhandlungen mit der Regierung abzusichern“, erklärt Dörre. Die Folgen seien widersprüchlich: Einerseits genössen die Gewerkschaften wieder das Wohlwollen eines Teils der politischen Klasse. Andererseits tendierten sie zu einem interessenpolitischen Konservatismus, der hauptsächlich die Statusinteressen von Stammbelegschaften bediene. Dabei verlören sie die Interessen schwach organisierter Gruppen zunehmend aus dem Blick.
Dörre konstatiert mit einiger Sorge, dass sich die Gewerkschaften von intermediären Organisationen, die im Namen aller Arbeitnehmer handelten, zu fraktalen Interessenverbänden entwickeln könnten. Statt als gesellschaftliche Reformkraft zu wirken, seien sie dann nur noch Interessenorgan vergleichsweise privilegierter Beschäftigtengruppen. Dörre hält eine solche Entwicklung aber nicht für schicksalhaft vorgezeichnet. Die Gewerkschaften hätten stets die Möglichkeit einer strategischen Wahl. Beispiele belegten, dass den Gewerkschaften mit neuen Formen der Mitgliedergewinnung, aber auch mit dem Mut zum Konflikt durchaus eine Erneuerung gelingen könne. Bislang gebe es jedoch nur zarte Pflänzchen neben viel überkommener Organisationsroutine. Mit diesem kritischen Resümee schließt Dörre den umfassenden Blick des im VS Verlag erschienenen Tagungsbandes über die Entwicklungen innerhalb der deutschen Gewerkschaften.
Bibliografische Angaben:
Thomas Haipeter, Klaus Dörre (Hg.): Gewerkschaftliche Modernisierung. VS Verlag, Wiesbaden 2011, 304 S., 34,95 Euro, ISBN-13 9783531933320.
Kontakt:
Prof. Dr. Klaus Dörre
Institut für Soziologie der Friedrich-Schiller-Universität Jena
Carl-Zeiß-Straße 2, 07743 Jena
Tel.: 03641 / 945520
E-Mail: Klaus.Doerre[at]uni-jena.de
Das Cover des neuen Buches
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