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08.12.2011 20:00

Schon vor 77.000 Jahren lebten und schliefen Menschen auf medizinisch genutzten Pflanzen

Michael Seifert Hochschulkommunikation
Eberhard Karls Universität Tübingen

    Ein internationales Forscherteam unter Beteiligung der Universität Tübingen entdeckte die ältesten Nachweise für bewusst hergestellte „Pflanzenbettungen“.

    BITTE BEACHTEN SIE UNBEDINGT DIE SPERRFRIST VON „SCIENCE“: KEINE VERÖFFENTLICHUNG VOR DEM 8. DEZEMBER 2011, 20 UHR

    Ein internationales Archäologenteam unter Beteiligung von Christopher Miller, Juniorprofessor an der Universität Tübingen, konnte den bisher ältesten Nachweis bewusst aufgeschichteter „Pflanzenbettungen“ erbringen: Solche aus wenigen Zentimetern dicken, kompakten Lagen von Stängeln und Blättern von Riedgräsern und Binsen bestehenden Schichten sind über 77.000 Jahre alt und wurden unter einem Felsschutzdach in Südafrika gefunden. Die zum Teil insektenabweisenden Pflanzen sind 55.000 Jahre älter als bisher bekannte Nachweise von anthropogenen Pflanzenbettungen und gestatten damit wichtige Einblicke in Verhaltens-praktiken des frühen modernen Menschen in Südafrika.

    Das Team unter Lyn Wadley von der Universität Witwatersrand, Johannesburg, in Zusammenarbeit mit Christopher Miller von der Universität Tübingen, Christine Sievers und Marion Bamford (Universität Witwatersrand) sowie Paul Goldberg und Francesco Berna (Boston Universität, U.S.A), berichtet aktuell über diese Entdeckung im Wissenschaftsmagazin Science (DOI: 10.1126/science.1213317).

    Die urgeschichtlichen Pflanzenbettungen wurden bei Ausgrabungen in Sibudu (Kwa-Zulu-Natal Provinz, Südafrika) aufgedeckt. Mindestens 15 Schichten dieses Fundplatzes enthalten Hinweise auf derartige Pflanzenbettungen und datieren in den Zeitraum zwischen 77.000 bis 38.000 Jahre vor heute. Sie bestehen aus wenigen Zentimetern dicken, kompakten Lagen von Stängeln and Blättern von Riedgräsern und Binsen, die sich räumlich über ein bis drei Quadratmeter in der ausgegrabenen Fläche erstrecken.

    Die ältesten Überreste der Pflanzenbettungen dieses Fundplatzes sind besonders gut erhalten. Sie bestehen aus einer Schicht fossilisierter Stängel und Blätter von Riedgräsern mit einer abschließenden papierdünnen Schicht aus Blättern der Cryptocarya woodi, auch Kap Quitte genannt, ein südafrikanisches Gewächs aus der Familie der Lorbeergewächse. Die Blätter dieser Pflanze enthalten insektizide Chemikalien und sind damit geeignet, Mücken fern zu halten. „ Die spezifische Auswahl dieser Blätter für die Konstruktion der Pflanzenlagen zeigt eine genaue Kennt-nis der Bewohner über ihre Umgebung an wie auch der medizinischen Wirksamkeit von Pflanzen. Pflanzliche Heilkunde hat den Menschen gesundheitliche Vorteile verschafft, und der Gebrauch von insektiziden Pflanzen eröffnet uns eine ganze neue Einsicht in das Verhalten der frühen Menschen“ sagt Lyn Wadley von der Universität Witwatersrand.

    Die Bewohner haben die Pflanzenstängel und -blätter direkt unterhalb des Felsschutzdaches entlang eines Flusses gesammelt, und dann auf die Oberfläche des Bodens aufgelegt. Diese Aufbettungen wurden nicht nur als Schlaffläche genutzt, sondern stellten bequeme Lebens- und Arbeits-oberflächen dar. Mikroskopische Analysen der Pflanzenbettungen durch Christopher Miller von Uni-versität Tübingen deuten darauf hin, dass diese während des Gebrauchs der Höhle mehrfach aus-gebessert wurden. Die mikroskopischen Untersuchungen haben außerdem ergeben, dass die Be-wohner der Höhle die Pflanzenbetten nach Gebrauch regelmäßig verbrannt haben. „Sie haben die ausgedienten Aufbettungen absichtlich in Brand gesetzt, vermutlich um Schädlinge zu beseitigen. Dies hat den Fundplatz für spätere Nutzungen vorbereitet und stellt eine neuartige Verwendung von Feuer zur Pflege von Siedlungsplätzen dar“, so Miller.

    Die erhaltenen Pflanzenbettungen treten im Zusammenhang mit mehreren Feuerstellen und Asche-gruben auf. Ab 58.000 Jahren vor heute nimmt die Anzahl der Feuerstellen und Aschegruben dra-matisch zu. Die Archäologen nehmen an, dass dies aus einer verstärkten Besiedlung der Fundstelle resultiert. In ihrem Artikel argumentieren die Wissenschaftler, dass ein Zusammenhang mit einer Veränderung in der Bevölkerungsdynamik in Südafrika zu diesem Zeitpunkt besteht. Um etwa 50.000 Jahren vor heute breitet sich der moderne Mensch bis nach Eurasien aus, wo er archaische Formen, wie den Neandertaler, verdrängt.

    An der Fundstelle wurden außerdem durchlöcherte Muschelschalen, die vermutlich als Schmuck verwendet wurden, und zugespitzte Knochenspitzen, die wahrscheinlich für die Jagd genutzt wur-den, gefunden. Es gibt auch Hinweise auf die frühe Entstehung von Pfeil und Bogen, auf den Ge-brauch von Schlingen und Fallen zur Jagd und auf die Produktion von Klebstoff für geschäftete Steinwerkzeuge.

    Der Zeitpunkt der aktuellen Entdeckung ist besonders günstig, da zukünftige Grabungen in Gefahr sind. Lokale Funktionäre planen die Konstruktion eines großen Haustraktes in unmittelbarer Umge-bung von Sibudu, was den Fundplatz schwer gefährden und zukünftige Grabungen verhindern wür-de. Wadley und ihre Kollegen hoffen, dass die hier aufgeführten wichtigen Entdeckungen den hohen Wert von Sibudu als unersetzliches Kulturerbe für Südafrika und den Rest der Welt unterstreichen.

    Kontakt:
    Prof. Dr. Christopher Miller
    Universität Tübingen
    Institut für Naturwissenschaftliche Archäologie
    Telefon +497071 29-76511
    christopher.miller@uni-tuebingen.de


    Bilder

    Mikrofoto eines geologischen Dünnschliffes der Pflanzenbettungen (Maßstab in der linken unteren Bildecke 0,1mm). Die laminierten Überreste der Blätter und Stengel sind hier als kieselsäure-haltige Fossilien erhalten. Diese Pflanzenbettungen datieren auf 77.000 Jahre vor heute. .
    Mikrofoto eines geologischen Dünnschliffes der Pflanzenbettungen (Maßstab in der linken unteren Bild ...
    Foto Miller
    None

    Blätter der 77.000 Jahre alten Pflanzenbettungen konserviert in einer Gipsprobe.
    Blätter der 77.000 Jahre alten Pflanzenbettungen konserviert in einer Gipsprobe.
    Foto Bamford
    None


    Anhang
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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten
    Biologie, Geowissenschaften, Geschichte / Archäologie, Kulturwissenschaften
    überregional
    Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

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