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16.02.2012 09:00

"Gefühle sind eine zentrale, aber auch erschöpfliche Ressource"

Katharina Thehos Pressestelle
Technische Universität Chemnitz

    Peggy Szymenderski erforschte in ihrer Promotion an der TU Chemnitz die Gefühlsarbeit im Polizeidienst und fordert eine stärkere Thematisierung von Emotionen im Selbstverständnis der Polizei

    Ob "Stuttgart 21" oder Castor-Transporte - die Polizei kommt aus den negativen Schlagzeilen kaum noch raus. "Der Umgang mit ungelösten politischen Problemen ist schwierig, denn das Polizeipersonal darf nicht zu viel Härte zeigen, aber auch nicht nachlässig sein", sagt Dr. Peggy Szymenderski. Die Soziologin hat ihre Promotion an der Technischen Universität Chemnitz verfasst zum Thema "Gefühlsarbeit im Polizeidienst. Eine soziologische Untersuchung der Formen des subjektiven Umgangs mit Gefühlsanforderungen bei der polizeilichen Arbeit". "Die Studie von Peggy Szymenderski ist eine Pionierarbeit, die erstmalig systematisch auf empirischer Basis die hohen Anforderungen an den Umgang mit Emotionen im Polizeidienst aufzeigt", schätzt Prof. Dr. G. Günter Voß ein. Der Inhaber der Professur Industrie- und Techniksoziologie an der TU Chemnitz hat die mit "summa cum laude" bewertete Arbeit betreut. Voß ergänzt: "Emotionwork, also Gefühlsarbeit, ist seit einigen Jahren ein in der Soziologie beachtetes Thema, wird dort aber oft auf die Anforderung reduziert, im Kundenkontakt höflich und nett sein zu müssen. Peggy Szymenderski zeigt demgegenüber, dass ein kompetenter Umgang mit den eigenen Gefühlen wie auch mit den Gefühlen Betroffener in einem ganz anderen Berufsfeld und dort in ganz besonderen Formen mit hohen Anforderungen auftritt, wo man es vielleicht nicht erwarten würde. Die Studie sollte zum Pflichtstoff der Polizeiausbildung gehören."

    "Es ist fraglich, wie lange Polizisten die Belastungen ihres Berufs noch selbst auffangen und bewältigen können, wenn sie keine Unterstützung erhalten. Denn Gefühle sind eine zentrale, aber auch endliche und erschöpfliche Ressource", sagt Szymenderski. Da die Gefühlsarbeit unsichtbar sei, werde diese Leistung der Polizisten nicht wahrgenommen. "Stattdessen werden den Polizeibediensteten immer vielfältigere Aufgaben übertragen bei gleichzeitiger Reduktion des Personals", berichtet die Chemnitzer Soziologin. "Gefühlsarbeit ist ein Kernbereich polizeilicher Arbeit", fasst Szymenderski das Ergebnis ihrer Untersuchung zusammen, die im transcript-Verlag erschienen ist.

    Für die hohe emotionale Belastung von Polizisten benennt Szymenderski in der Studie drei Hauptgründe: extrem belastende Einsatzsituationen, divergierende Anforderungen an die emotionale Selbstdarstellung der Polizisten von Seiten der Polizeibehörde einerseits und dem Bürger andererseits in Interaktionssituationen sowie die Arbeit im Spannungsfeld widersprüchlicher Interessen von Polizeibehörde, -publikum und -personal, das in der Verwaltungsforschung als bürokratisches Trilemma bezeichnet wird. "In Konfrontation mit diesen Belastungen können die tatsächlich erlebten Gefühle der Polizeibediensteten in Widerspruch zu den geforderten Gefühlen geraten. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit der Arbeit mit den eigenen Emotionen", sagt Szymenderski, die das Hauptaugenmerk ihrer Doktorarbeit auf die Unterscheidung verschiedener Typen des Umgangs mit diesen emotionalen Arbeitsanforderungen gelegt hat. Dazu hat sie ausführliche Interviews mit 43 Polizeibediensteten eines ostdeutschen Bundeslandes geführt, darunter 26 Polizisten und 17 Polizistinnen, und unterscheidet fünf Typen.

    Der Umgang mit Emotionen - eine Frage des Typs

    Der erste Typ sind die "Verlagerer". Sie blenden im konkreten Einsatz Gefühle aus, sowohl die eigenen als auch die anderer Personen. Die Verarbeitung der Emotionen verlagern sie ins Private, sie bewältigen ihre Belastungen nachträglich. Die Familie ist für diese Polizisten besonders wichtig, allerdings ist die Übertragung des dienstlichen Erlebens ins Privatleben nicht unproblematisch, da sie das individuelle Belastungserleben verstärken kann. Zur Gruppe der Verlagerer zählen vor allem Männer, häufig sind es Vorgesetzte.

    Als zweiten Typ nennt die Studie die "Abwehrer". Sie versuchen, Emotionen an sich abprallen zu lassen und distanzieren sich von den dienstlichen Ereignissen, indem sie sie entwerten, verharmlosen oder normalisieren. Im Laufe der beruflichen Erfahrung automatisieren sie diese Herangehensweise durch Entwicklung einer „dicken Haut“. Auch das hat Konsequenzen für das Privatleben, da die Polizisten dort den gleichen, aber dann unpassenden Gefühlsregeln folgen wie im Dienst. Abwehrer finden sich vor allem dort, wo die emotionale Belastung kontinuierlich hoch ist - etwa in der Mordkommission und in der Unfallbereitschaft.

    Der dritte Typ sind die "Oszillierer", die versuchen, den unterschiedlichen Interessen von Polizeibehörde und -publikum sowie den eigenen beruflichen Ansprüchen gleichzeitig gerecht zu werden. Sie sind weder distanziert, noch identifizieren sie sich zu stark mit ihrem polizeilichen Gegenüber, sie tarieren ständig aus zwischen eigenem Wohlbefinden und beruflichen Anforderungen, zwischen emotionaler Anteilnahme und professioneller Distanz. Gelingt ihnen dies nicht, nutzen sie das Privatleben, um belastende Emotionen mit positiven auszugleichen.

    Den vierten Typ benennt die Studie als "Stoiker". Anders als bei den ersten drei Typen, die ihr Verhalten in der konkreten Belastungssituation erarbeiten, findet bei ihm die Auseinandersetzung mit potenziellen Belastungen bereits bei der Wahl des Berufs statt. Stoiker bezeichnen das Erleben belastender Ereignisse als Berufsrisiko. Widerstandsfähigkeit und Härte sind für sie zentrale Eigenschaften, um belastende Emotionen wegzustecken. Die fehlende Auseinandersetzung mit den Emotionen kann zu Misstrauen, Distanziertheit und Zynismus führen. Zu diesem Typ gehörten in der Befragung ausschließlich Streifendienstbeamte.

    Zwei der Befragten zählt Szymenderski in ihrer Studie zum fünften Typ, den "diffus Reagierenden". Sie gebrauchen viele verschiedene Strategien, finden aber letztlich keine geeignete Form für den Umgang mit belastenden Emotionen.

    Aus den Ergebnissen der Untersuchung leitet Szymenderski ab, dass "polizeiliche Arbeit nicht ohne die emotionalen Leistungen des Polizeipersonals funktioniert." Sie fordert: "Die Thematisierung von Gefühlen, emotionalen Belastungen und individuellem Entlastungsbedarf sind als wesentliche Bestandteile in das professionelle Selbstverständnis der Polizei zu integrieren. Vor dem Hintergrund steigender beruflicher Anforderungen, sinkenden Personals und eines drohenden Imageverlusts der Polizei, muss sich gerade jetzt verstärkt darum bemüht werden."

    Bibliographische Angaben: Szymenderski, Peggy: Gefühlsarbeit im Polizeidienst: Wie Polizeibedienstete die emotionalen Anforderungen ihres Berufs bewältigen, Bielefeld 2012. transcript, 454 Seiten, ISBN 978-3837619782, Preis: 36,80 Euro.

    Weitere Informationen erteilt Dr. Peggy Szymenderski, E-Mail peggy.szymenderski@phil.tu-chemnitz.de.


    Bilder

    Den Emotionen auf der Spur: Soziologin Peggy Szymenderski führte im Rahmen ihrer Dissertation ausführliche Interviews mit 26 Polizisten und 17 Polizistinnen.
    Den Emotionen auf der Spur: Soziologin Peggy Szymenderski führte im Rahmen ihrer Dissertation ausfüh ...
    Foto: TU Chemnitz/ Wolfgang Schmidt
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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten
    Gesellschaft, Politik, Psychologie
    überregional
    Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

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