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28.03.2012 16:38

Das Trilemma des Wachstums

Stephan Sievert Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung

    Reiner Klingholz und Klaus Töpfer fragen in einem neuen Discussion Paper des Berlin-Instituts, wie sich Bevölkerungswachstum, Energieverbrauch und Klimawandel bändigen lassen

    Die Welt hat drei große Wachstumsprobleme: Die Menschheit hat ihre Zahl in den letzten 44 Jahren verdoppelt. Ihr Energieverbrauch hat sich im gleichen Zeitraum verdreifacht. Und auch der Ausstoß an Treibhausgasen ist schneller gewachsen als die Zahl der Menschen. Halten alle Trends an – wovon für den Moment auszugehen ist –, haben sie das Potenzial, das ökologische Gleichgewicht auf dem Planeten so weit zu stören, dass die Lebensbedingungen eines wachsenden Teils der Menschheit bedroht werden.

    In einem neuen Discussion Paper des Berlin-Instituts gehen die Autoren Reiner Klingholz und Klaus Töpfer der Frage nach, wie sich ein Ausweg aus diesem „Trilemma des Wachstums“ finden lässt.

    Es ist offensichtlich, dass auf einem begrenzten Planeten alle drei Trends möglichst rasch gebremst werden müssen. Das Problem dabei ist allerdings, dass sich die Lösungen der einzelnen Probleme gegenseitig im Wege stehen. Denn um das Bevölkerungswachstum zu dämpfen, brauchen die armen Länder die Chance zur Entwicklung – und dafür ist unter anderem eine Basis-Energieversorgung notwendig. 1,4 Milliarden Menschen haben bisher nicht einmal Zugang zu einem elektrischen Stromnetz. Eine Energieversorgung für diese Menschen muss aber auch bezahlbar sein. Vordergründig billig sind mit Kohle betriebene Kraftwerke zur Stromerzeugung, die wiederum den größten denkbaren Klimaschaden anrichten.

    Die armen Länder würden damit auf ihrem Entwicklungsweg den heutigen Schwellenländern folgen, die ihrerseits dem Vorbild der Industrienationen gefolgt sind. Weil Länder wie China, Indien, Indonesien und Brasilien, die zusammen rund drei Milliarden Menschen stellen, derzeit in die energieintensive Phase der Industrialisierung einsteigen, haben die CO2-Emissionen 2010, allen Bekenntnissen zum Klimaschutz zum Trotz, mit 30,6 Milliarden Tonnen einen nie dagewesenen Rekordwert erreicht. Den größten Zuwachs unter den fossilen Energieträgern verzeichnete die Kohle. Allein China fördert mittlerweile jährlich 2,5 Tonnen Kohle pro Kopf und verfeuert mehr als die Hälfte dieses Brennstoffs weltweit. Schriebe man diese Entwicklung fort, wäre das von der internationalen Staatengemeinschaft gesetzte Ziel, eine Erderwärmung von höchstens zwei Grad zu akzeptieren, schon in wenigen Jahren Makulatur. Vielmehr liefe die Erde auf eine Erwärmung von vier, fünf oder sechs Grad und einen Meeresspiegelanstieg von mehreren Metern hin, mit fatalen Folgen für die Küstenregionen der Welt, wo Milliarden von Menschen siedeln.

    Die Weltgemeinschaft hat bisher nie ernsthaft versucht, das Zwei-Grad-Ziel zu erreichen. Möglich wäre dies trotz allem noch. Dazu müssten Wege gefunden werden, das globale Bevölkerungswachstum einzudämmen, bei der Entwicklung der armen Länder jedoch den Einsatz klimaschädlicher Energieträger so weitgehend wie technisch möglich einzuschränken. Zudem müssten die heutigen Hochverbrauchsländer rasch in eine kohlenstofffreie Energieversorgung einsteigen. Im Grunde müssten dazu alle Länder den höchst ambitionierten Zielen der Bundesregierung folgen, die den CO2-Ausstoß bis 2050 um 80 bis 95 Prozent senken will.

    Wie aber ließe sich das Bevölkerungswachstum verlangsamen? Ist eine billige Energieversorgung wirklich das wichtigste Instrument, um der Armutsfalle zu entkommen? Wahrscheinlich spielt dabei ein Wertewandel in der Gesellschaft, der sich vor allem durch eine bessere Bildung und in der sozialen Stellung der Frauen ausdrückt, eine größere Rolle.

    Erwiesenermaßen lässt Bildung, insbesondere Sekundarbildung für Frauen, die durchschnittlichen Kinderzahlen deutlich sinken. Würden die Bildungssysteme der wenig entwickelten Länder in einer Art ausgebaut, wie es das einstige Entwicklungsland Südkorea in den 1960er Jahren und später andere Länder vorgemacht haben, wüchse die Weltbevölkerung bis 2050 um 1,1 Milliarden Menschen weniger als wenn die Einschulungszahlen auf heutigem Niveau verblieben. Dass solche enormen Fortschritte selbst in armen Ländern möglich sind, zeigt das Beispiel Bangladesch, einst als „hoffnungsloser“ Fall der damals so genannten Entwicklungshilfe gebrandmarkt. Dort ist, parallel zu einer erheblichen Verbesserung des Bildungsstandes bei der jungen Bevölkerung, die durchschnittliche Kinderzahl je Frau in nur 35 Jahren von 6,9 auf 2,4 gesunken. Im gleichen Zeitraum ist der Ausstoß von CO2 trotz einer hohen Wirtschaftsdynamik keinesfalls auf ein klimaschädliches Maß gestiegen.

    Klimaschutz ist deshalb zunächst eine Aufgabe der reichen Industrienationen, die mit sieben Prozent der Weltbevölkerung die Hälfte aller Treibhausgas-Emissionen verursachen. Diese Länder müssten sehr schnell zu weniger Energieverbrauch und zu deutlich sinkenden CO2-Emissionen kommen. Darüber hinaus dürften die Schwellen- und Entwicklungsländer bei ihrem wirtschaftlichen Aufholprozess nicht die Fehler der Industrienationen wiederholen, sondern müssten möglichst schnell auf den Pfad von Energieeinsparungen und regenerativer Energieversorgung umschwenken. Schlussendlich müssten die drei Ländergruppen mehr als bisher zusammenarbeiten, damit die notwendigen neuen Technologien, die in den Industrie- und Schwellenländern entwickelt werden, rasch auch in den Entwicklungsländern zur Anwendung gelangen.

    Die Autoren plädieren dabei dafür, nicht auf internationale Vereinbarungen zum Klimaschutz zu warten. Die Erfahrungen mit dem Kyoto-Prozess zeigen, dass ein „Weltvertrag“ auf absehbare Zeit unwahrscheinlich bleibt. Stattdessen setzen Klingholz und Töpfer auf einen evolutionären Weg der vielen kleinen Schritte und nationalen Sonderwege. Nur so ließen sich möglichst schnell die zahllosen Varianten zur Energiewende entwickeln, testen und optimieren. Nur so könnten unter Wettbewerbsbedingungen die notwendigen technischen Innovationen entstehen und sich am Markt durchsetzen.

    Das Discussion Paper liefert konkrete Handlungsvorschläge für die Umsetzung der globalen Energiewende. Der Bildung fällt dabei eine zentrale Rolle zu, denn sie wirkt sich nicht nur mäßigend auf das Bevölkerungswachstum aus. Sie ermöglicht überhaupt erst den Umgang mit zukunftsweisenden Technologien und sie erleichtert die Anpassung an die anstehenden Folgen des Klimawandels. Denn bei allen Bemühungen, das Trilemma des Wachstums aufzulösen: Ganz ohne negative Klimafolgen lässt sich ein Planet mit über sieben Milliarden Menschen nicht betreiben.


    Weitere Informationen:

    http://www.berlin-institut.org/fileadmin/user_upload/Trilemma_des_Wachstums/DP_K... - Link zum Discussion Paper
    http://www.berlin-institut.org - weitere Informationen zu demografischen Entwicklungen weltweit


    Bilder

    Die Menschen in den reichen Ländern stoßen pro Kopf tendenziell deutlich mehr Kohlendioxid aus als in den armen Nationen. Am klimaschädlichsten verhalten sich die Bewohner der arabischen Ölstaaten, etwa in Katar oder Kuwait. Weil sie über Öl und Gas im Überfluss verfügen, emittieren sie über ihren Lebensstil jährlich über 40 Tonnen CO2. Aber auch in den USA und selbst in Deutschland leben die Menschen mit rund 19 respektive acht Tonnen über ihre ökologischen Verhältnisse. Aus Sicht des Klimaschutzes wären pro Kopf für jeden Erdenbürger gerade mal zwei Tonnen im Jahr zulässig. Unter diesem Wert bleiben fast alle armen Länder dieser Welt. Auf Grund seiner hohen Bevölkerungszahl ist China zum größten CO2-Produzenten aufgestiegen. Aber die USA emittieren nur unwesentlich weniger, obwohl dort nicht einmal ein Viertel so viele Menschen leben. Deutschland, Europas größte Wirtschaftsmacht, liegt allen Klimaschutzbemühungen zum Trotz auf Platz 6.
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    Grafik: Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung
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    Für Frauen mit einem guten Bildungsstand eröffnen sich alternative Lebenswege zur reinen Mutterrolle. Deshalb bekommen sie nicht nur weniger Kinder, sie bekommen sie auch später und in größeren zeitlichen Abständen voneinander. Sie sorgen auch dafür, dass ihre Kinder gesund aufwachsen und ihrerseits eine gute Bildung erhalten. Frauen zu stärken, gilt als der effizienteste Weg zur Entwicklung.
    Für Frauen mit einem guten Bildungsstand eröffnen sich alternative Lebenswege zur reinen Mutterrolle ...
    Grafik: Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung
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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, Wissenschaftler, jedermann
    Energie, Gesellschaft, Meer / Klima, Politik, Umwelt / Ökologie
    überregional
    Buntes aus der Wissenschaft, Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

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