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Wissenschaft
Am 4. und 5. Mai 2012 beraten rund 60 Experten an der Universität Greifswald über aktuelle Entwicklungstendenzen beim Einsatz verschiedener Formen der Wiedergutmachung als Antwort auf Straftaten.
Die Tagung „Restorative Justice and Mediation in Penal Matters in Europe“ wird den aktuellen Entwicklungsstand bei wiedergutmachenden Reaktionen im Jugend- und Erwachsenenstrafrecht beleuchten.
Unter anderem werden Maßnahmen wie Täter-Opfer-Ausgleich, Mediation oder Schadenswiedergutmachung als Strafsanktion unter dem Blickwinkel der sozialen Integration und Rückfallvermeidung sowie die Zufriedenheit der Opfer von Straftaten bewerten. Außerdem soll diskutiert werden, wie gute Praxismodelle im zusammenwachsenden Europa übertragen werden können.
Die Expertentagung wurde vom Lehrstuhl für Kriminologie an der Universität Greifswald organisiert. Den Rahmen bildet ein von der Europäischen Union gefördertes Projekt an dem Experten aus 36 Europäischen Ländern beteiligt sind.
Wiedergutmachung und Konfliktregelung zwischen Täter und Opfer standen in früheren Jahrhunderten stärker im Mittelpunkt der Strafjustiz, sind aber im modernen Strafprozess seit dem 19. Jahrhundert in den Hintergrund getreten. Erst seit Anfang der 1980er Jahre ist das Bewusstsein, dass es dem Verletzten bzw. Opfer der Straftat zumeist nicht um Rache, sondern um Wiedergutmachung des Schadens geht, in den Vordergrund getreten. Dementsprechend hat man zunächst im Jugend- und danach auch im Erwachsenenstrafrecht und Erwachsenenstrafverfahrensrecht Reaktionsmöglichkeiten eingeführt. Dazu gehören beispielsweise die materielle Schadenswiedergutmachung und die Mediation im Sinne einer einvernehmlichen Konfliktregelung zwischen Täter und Opfer (Täter-Opfer-Ausgleich). In vielen Fällen eines solchen, im englischen Sprachraum als „Restorative Justice“ bezeichneten Verfahrens ist die staatliche Strafverfolgung und Sanktionierung auch aus der Sicht der Opfer entbehrlich.
Der Europarat und die Vereinten Nationen empfehlen in verschiedenen Resolutionen den Ausbau von Verfahren der Wiedergutmachung bzw. Mediation in Strafsachen. Dementsprechend haben nahezu alle europäischen Länder entsprechende Reformgesetze verabschiedet. Dies gilt für die mittel- und osteuropäischen Länder insbesondere für den Zeitraum nach den gesellschaftlichen Umwälzungen Ende der 1980er Jahre. Nach nunmehr 20 Jahren der Rechtserneuerung zielt die Tagung auf eine Bestandsaufnahme der Reformgesetzgebung und der Umsetzung von wiedergutmachenden Sanktionen in der Praxis in diesen Ländern. Zum Teil stoßen der Täter-Opfer-Ausgleich und andere wiedergutmachungsorientierte Sanktionen noch auf erhebliche Vorbehalte in der Justiz. Aber auch in westeuropäischen Ländern gibt es Probleme, wenn eine durch Massen- und Boulevardmedien geschürte Kriminalitätsfurcht und Feindbilder von Straftätern konstruktive Konfliktregelungen erschweren, wenn nicht unmöglich machen.
Für einen erfolgreichen Täter-Opfer-Ausgleich bedarf es einer entsprechenden Infrastruktur: geschulter Mediatoren, Einrichtungen, die den Täter-Opfer-Ausgleich und ähnliche konfliktschlichtende Verfahren institutionell im Rahmen der Jugendhilfe bzw. Bewährungshilfe absichern, einer dauerhaften finanziellen Grundausstattung dieser Infrastruktur und einer verpflichtenden, zielgerichteten Kooperation der Justiz mit diesen Einrichtungen.
Aktuelle kriminologische Untersuchungen weisen darauf hin, dass auf Wiedergutmachung orientierte Verfahrensformen auch effizient im Hinblick auf die Rückfallvermeidung sind. Im Täter-Opfer-Ausgleichsverfahren setzt sich der Täter aktiv mit dem Leid des Opfers auseinander und übernimmt Verantwortung für seine Tat. Hierdurch können für die Zukunft Hemmschwellen aufgebaut werden, die eine weitere Straffälligkeit verhindern. Der Täter macht aber nicht nur den Schaden gegenüber dem Opfer wieder gut, indem er Leistungen für das Opfer erbringt, sich entschuldigt etc., vielmehr wird auch der gestörte Rechtsfriede im Hinblick auf die Gesellschaft wiederhergestellt. Die Wiederherstellung des Rechtsfriedens ist ein in der Vergangenheit vernachlässigtes Ziel des Strafrechts.
„Restorative Justice“ ist nicht nur eine Facette eines besseren Strafrechts, sondern auch eine Perspektive, die über das Strafrecht hinausweist. So hatte schon der Justizminister und Strafrechtsreformer der Weimarer Republik, Gustav Radbruch, formuliert: „Wir brauchen kein besseres Strafrecht, wir brauchen etwas Besseres als das Strafrecht.“ Eine wiedergutmachende Strafrechtspflege könnte in diesem Sinn eine Perspektive sein.
Das Greifswalder Projekt, das am Lehrstuhl von Prof. Dr. Frieder Dünkel angesiedelt ist, soll bis Mitte 2013 abgeschlossen werden. Bei der Tagung am 4. und 5. Mai 2012 werden ca. 30 Experten aus 25 der 36 beteiligten Länder erwartet, zusätzlich werden etwa 30 Teilnehmer, überwiegend Praktiker aus dem Bereich der Strafrechtspflege, erwartet.
Weitere Informationen
Lehrstuhl für Kriminologie http://www.rsf.uni-greifswald.de/duenkel.html
Ansprechpartner an der Universität Greifswald
Prof. Dr. Frieder Dünkel
Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät
Lehrstuhl für Kriminologie
Domstraße 20a, 17487 Greifswald
Telefon 03834 86-2137
duenkel@uni-greifswald.de
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Studierende, Wissenschaftler
Recht
überregional
Buntes aus der Wissenschaft, Wissenschaftliche Tagungen
Deutsch
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