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21.05.2012 15:18

Wichtige Rolle bei der Steuerung der postnatalen Neurogenese nachgewiesen

Willi Baur Pressestelle
Universität Ulm

    Eine Forschungsgruppe der Universität Ulm hat einen neuartigen molekularen Schalter im Gehirn identifiziert, der eine wichtige Rolle bei der Steuerung der postnatalen Neurogenese im Gyrus dentatus spielt, der Unterregion im Hippocampus, in der lebenslang Nervenzellen aus neuralen Stammzellen gebildet werden.

    „Unsere Untersuchungen beschreiben erstmals einen neuen und letztlich unerwarteten Signalweg bei der Regulation der Neurogenese im Hippocampus“, sagt Professor Stefan Britsch, Direktor des Instituts für Molekulare und Zelluläre Anatomie, der die Arbeit dieser Tage gemeinsam mit Dr. Ruth Simon im international renommierten Fachblatt EMBO-Journal veröffentlicht. An dem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Projekt waren auch renommierte Forschungseinrichtungen in Berlin und in den USA beteiligt.

    Bei dem jetzt identifizierten molekularen Schalter handelt es sich um das von Wissenschaftlern als Zinkfinger-Transkriptionsfaktor bezeichnete Gen Bcl11b/Ctip2. „Wir konnten zeigen, dass dieses Gen spezifisch in Nervenzellen des Gyrus dentatus exprimiert wird“, erklärt Britsch, „diese Beobachtung deutet darauf hin, dass das Gen eine Steuerungsfunktion bei der Entwicklung hippocampaler Nervenzellen besitzen könnte“. Mittels genetischer Verfahren entwickelten die Ulmer Forscher daraufhin ein Mausmodell, in dem das Bcl11b/Ctip2 Gen gezielt in Nervenzellen des Hippocampus ausgeschaltet werden kann.

    „Interessanterweise ist in diesen sogenannten konditionalen Knock-out Mäusen die postnatale Neubildung und Differenzierung von Nervenzellen des Gyrus dentatus sehr stark beeinträchtigt“, so der seit vier Jahren in Ulm tätige Forscher. Überdies seien Bcl11b/Ctip2 -defiziente Nervenzellen in den betroffenen Mäusen nicht mehr in der Lage, ihre korrekten synaptischen Partner zu finden und mit diesen funktionierende Kontakte aufzubauen. „In gemeinsam mit Professor Herbert Schwegler vom Anatomischen Institut der Universität Magdeburg durchgeführten Verhaltensstudien konnten wir schließlich nachweisen, dass der Verlust dieses molekularen Schalters zu schweren Lern- und Gedächtnisstörungen führt.“ Letztendlich seien die betroffenen Mäuse nicht mehr in der Lage gewesen, sich den Ort zu merken, wo sie zuvor regelmäßig Nahrung gefunden hatten.

    Professor Britsch zufolge war bislang vollständig unklar, über welche nachgeschalteten Signalwege das Bcl11b/Ctip2 Gen die Entwicklung hippocampaler Nervenzellen steuert. „In systematischen genetischen Analysen sind wir völlig unerwartet auf ein altbekanntes Gen gestoßen, das bisher allerdings vor allem in Epithelzellen, zum Beispiel der Haut, untersucht wurde und dort unter anderem für den mechanischen Zusammenhalt der Zellen untereinander verantwortlich ist: Wir konnten zeigen, dass dieses als Desmoplakin bezeichnete Gen direkt von Bcl11b/Ctip2 reguliert wird.“ Mit ausgeklügelten genetischen Experimenten konnten die Ulmer Forscher um Stefan Britsch schließlich nachweisen, dass der Neurogenese-Defekt in Bcl11b/Ctip2 defizienten Mäusen vollständig behoben werden kann, wenn man den betroffenen Nervenzellen Desmoplakin künstlich wieder zurück gibt.

    Nun sei das Molekül Desmoplakin zwar schon lange bekannt, „aber in einem ganz anderen Kontext“. Dass es als Zielgen des jetzt identifizierten molekularen Schalters fungiere, bringe „eine neue Sichtweise in das System“, erläutert Professor Britsch.

    „Der Hippocampus nimmt in vielerlei Hinsicht eine besondere Stellung innerhalb des menschlichen Gehirns ein, er spielt zum Beispiel eine wichtige Rolle bei Emotionen, beim Lernen und bei der Ausbildung räumlicher Gedächtnisinhalte“, betont Stefan Britsch. Dabei entwickle sich der weit überwiegende Teil seiner Nervenzellen erst sehr spät nach der Geburt und der Hippocampus bilde mit seinem Gyrus dentatus eine von nur zwei Regionen im gesamten Säugergehirn, in der zeitlebens Nervenzellen aus neuralen Stammzellen neu gebildet werden können.

    „Die Erforschung der in diesem Zusammenhang entscheidenden Steuerungsmechanismen ist daher nicht nur von Interesse für die Grundlagenforschung, sondern auch von zentraler modellhafter Bedeutung für das bessere Verständnis von neurodegenerativen oder psychischen Erkrankungen des Gehirns, für deren Prävention, aber auch für die Entwicklung neuer, regenerativer Behandlungsstrategien“, sagt Britsch. Bemerkenswerterweise ist der nun entdeckte molekulare Schalter auch beim Menschen zeitlebens aktiv. „Eine besonders spannende Frage wird daher in Zukunft sein, welche Rolle Bcl11b/Ctip2 im erwachsenen Gehirn und während der natürlichen Alterung des Gehirns spielt“, so Stefan Britsch.

    Simon R, Brylka H, Schwegler H, Venkataramanappa S, Andratschke J, Wiegreffe C, Liu P, Fuchs E, Jenkins NA, Copeland NG, Birchmeier C, Britsch S. A dual function of Bcl11b/Ctip2 in hippocampal neurogenesis. EMBO Journal 2012 May 15, http://www.nature.com/doifinder/10.1038/emboj.2012.142


    Bilder

    Leitet das Institut für Molekulare und Zelluläre Anatomie: Professor Stefan Britsch
    Leitet das Institut für Molekulare und Zelluläre Anatomie: Professor Stefan Britsch
    Quelle: Foto: Uni Ulm

    Schnitt durch den Hippocampus der Maus: Mit Hilfe  spezifischer Antikörper werden die Expression und Verteilung von  Bcl11b/Ctip2 im Gewebe sichtbar (grünes Signal). Außerdem ist  die Verteilung eines nahe verwandten Proteins, Bcl11a/Ctip1 (rotes  Signal) dargestellt.
    Schnitt durch den Hippocampus der Maus: Mit Hilfe spezifischer Antikörper werden die Expression und ...
    Quelle: Foto: Britsch


    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten
    Biologie
    überregional
    Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

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