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Berlin – Tausende Menschen in Deutschland erleiden jährlich einen sogenannten hypoxischen Hirnschaden durch einen Sauerstoffmangel des Gehirns – etwa nach einem Unfall, einer Vergiftung oder einem Herzstillstand. So beispielsweise auch der niederländische Prinz Friso von Oranien-Nassau, der seit einem Lawinenunglück im Februar 2012 im Koma liegt. Nur die wenigsten Betroffenen finden danach wieder in ihr altes Leben zurück. Die Deutsche Gesellschaft für NeuroIntensiv- und Notfallmedizin (DGNI) weist jedoch darauf hin, dass sich das Ausmaß der neurologischen Schäden verringern ließe, wenn Ärzte die Körpertemperatur des Patienten kontrolliert absenken.
Ein Unfall beim Skifahren: Der 43-jährige Prinz Friso von Oranien-Nassau wird von einer Lawine verschüttet und erleidet einen Herzstillstand. Insgesamt 50 Minuten gelangt kein Sauerstoff in sein Gehirn. Der Prinz wird gerettet und wiederbelebt. Er lebt, aber nach Meinung der Ärzte ist es fraglich, ob er je wieder aus dem Koma erwachen und zu Bewusstsein kommen wird. „Denn 50 Minuten sind lang und das Gehirn gehört zu den Organen des Körpers mit dem höchsten Sauerstoffverbrauch“, erläutert DGNI-Pressesprecher Dr. med. Hagen B. Huttner, Oberarzt der Intensivstation der Neurologischen Klinik am Universitätsklinikum Erlangen. Kommt es zu einer Minderversorgung des Gehirns mit Sauerstoff, so tritt nach etwa zwölf Sekunden Bewusstlosigkeit ein. Nach drei bis sechs Minuten sterben erste Nervenzellverbände ab, und bei einer fehlenden Sauerstoffversorgung von länger als neun Minuten kommt es meist zum klinischen Bild des hypoxischen Hirnschadens, dessen Maximalvariante sogar im Hirntod resultieren kann.
Die Sauerstoffzufuhr im Gehirn kann aus vielen Gründen stoppen. Dazu zählen Vergiftungen, Krebserkrankungen oder Unfälle wie Ertrinken oder Ersticken. DGNI-Pressesprecher Dr. med. Oliver W. Sakowitz von der Neurochirurgischen Klinik des Universitätsklinikums Heidelberg erläutert, dass in über 80 Prozent der Fälle ein Herzstillstand die Ursache des Sauerstoffmangels ist: „Zwar werden viele Patienten durch Wiederbelebungsmaßnahmen gerettet. Aber lediglich ein kleiner Teil von ihnen erleidet keine Hirnschäden oder nur minimale neurologische Behinderungen“, so Sakowitz. Viele Überlebende entwickelten schwere Folgeschäden bis hin zum Wachkoma. In Deutschland leben etwa 8500 Menschen in diesem Zustand: Obwohl ihre Augen offen sind, zeigen sie kein Bewusstsein für ihre Umgebung oder sich selbst.
„Das Ausmaß des Hirnschadens hängt vor allem von der Dauer des Sauerstoffmangels ab“, sagt Huttner. Extrem empfindlich auf Sauerstoffmangel reagiert insbesondere die Großhirnrinde, aber auch der für das Gedächtnis wichtige Hippocampus oder das Kleinhirn, so der Intensivmediziner weiter: „Werden Letztere geschädigt, fällt es Patienten schwer, komplexe Bewegungen zu planen und auszuführen oder neue Informationen im Gedächtnis abzuspeichern. Wird gar die Großhirnrinde selber, beziehungsweise Teile von ihr, betroffen, kann es zum Verlust der höheren kognitiven – für den Menschen charakteristischen – Funktionen kommen und schlimmstenfalls zum Verlust des Bewusstseins“.
Patienten mit hypoxischem Hirnschaden werden nach einem individuellen Muster behandelt, das maßgeblich von Labortests, computergestützten Schnittbildern, elektrophysiologischen Untersuchungen und den Reaktionen des Patienten abhängt. Studien zeigen, dass eine 24-stündige Absenkung der Körpertemperatur auf etwa 33 Grad Celsius neurologische Schäden verringern kann. Wirksame Medikamente zum Schutz der Nervenzellen gibt es dagegen nicht. „Als Neurointensivmediziner sind wir darauf spezialisiert, sekundäre Durchblutungsstörungen bei Patienten mit Schlaganfällen, Hirnverletzungen oder Blutungen zu erkennen und rechtzeitig zu behandeln. Ist jedoch ein solcher Schaden bereits im Vorfeld eingetreten, sind die Behandlungsmöglichkeiten begrenzt. Bisher erleiden die weitaus meisten Überlebenden eines Herzstillstands bleibende Probleme. Nur wenige Patienten erreichen nach einem hypoxischen Hirnschaden wieder eine hohe Lebensqualität“, bedauert Dr. Sakowitz. „Deshalb müssen wir weiter dringend nach Wirkstoffen und Therapien suchen, die die Prognose der Betroffenen verbessern.“
Literatur:
C. Leithner et al.: Prognose der Hirnfunktion nach kardiopulmonaler Reanimation und therapeutischer Hypothermie, Akt Neurol 2012; 39: 145–154
Bei Veröffentlichung Beleg erbeten.
Pressekontakt:
Deutsche Gesellschaft für NeuroIntensiv- und Notfallmedizin (DGNI)
Dagmar Arnold
Postfach 30 11 20
70451 Stuttgart
Tel.: 0711 8931-380
Fax: 0711 8931-984
E-Mail: arnold@medizinkommunikation.org
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