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Philosophin der Universität Jena hinterfragt die Monetarisierung von Ökosystemleistungen
Die Weltwirtschaft steckt in der Krise – und das nicht erst seit den Einbrüchen im Finanzsektor. „Wir sehen schon lange, dass die wachstumsgetriebene Intensivierungs- und Steigerungslogik der Wirtschaft langfristig unsere natürlichen Lebensgrundlagen zerstört“, macht Dr. Barbara Muraca von der Friedrich-Schiller-Universität Jena deutlich. Eine allein auf exponentielles Wachstum ausgerichtete Wirtschaftsweise erhöhe den Einfluss auf natürliche Ressourcen und Senken. Eine Folge davon sei der weltweit zu beobachtende Verlust von Biodiversität vor allem auf Ökosystemebene. „Dabei werden nicht nur moralisch eingeforderte bzw. politisch erkämpfte Naturschutzziele in Frage gestellt, sondern auch die wesentlichen Reproduktionsbedingungen der Wirtschaft selbst gefährdet“, so Muraca weiter.
In einem gerade gestarteten Forschungsprojekt untersucht die Philosophin die Implikationen des Wachstums aus einer ethischen Perspektive. „Es stellt sich nicht nur die Frage, ob Wachstum in den Industrieländern überhaupt noch möglich, sondern auch inwieweit Wachstum, wie wir es kennen, mit grundlegenden Gerechtigkeitsprinzipien vereinbar ist.“ Das Projekt ist in der von der Deutschen Forschungsgemeinschaft unterstützten Kolleg-Forschergruppe „Landnahme, Beschleunigung, Aktivierung. Dynamik und (De-)Stabilisierung moderner Wachstumsgesellschaften“ am Institut für Soziologie angesiedelt. In den kommenden Jahren wird Dr. Muraca u. a. die wachstumskritische Bewegung analysieren, die sich vor allem in Südeuropa etabliert hat. Unter dem Motto „degrowth“ bzw. „decrescita“ oder „décroissance“ werden dort die bisher an wirtschaftliches Wachstum gekoppelten Versprechen eines besseren Lebens radikal in Frage gestellt.
Eine Frage, die Barbara Muraca im Rahmen ihres Forschungsprojekts beantworten möchte ist, ob in der Monetarisierung von Ökosystemdienstleistungen eher eine Rettungschance oder eine Gefährdung für den Schutz der Biodiversität liegt. „In den letzten Jahren hat man in der ökonomischen Ermittlung des Wertes von Biodiversität einen Ausweg aus der Krise gesehen“, sagt Muraca und verweist auf das sogenannte „grüne Wachstum“. Durch die Monetarisierung von Ökosystemdienstleistungen soll eine Win-Win-Situation entstehen: Für die Wirtschaft der Industriestaaten, die für ökologische Investitionen belohnt wird, und für die Staaten und Regionen des globalen Südens, die durch finanzielle Kompensationen und Zahlungen für Ökosystemleistungen einen gerechten Vorteilsausgleich erhalten sollen.
Doch lassen sich Ökosystemdienstleistungen ohne weiteres ökonomisch messen? Barbara Muraca ist skeptisch: „Es ist fraglich, ob und mit welchen Konsequenzen sich die Komplexität der Werte bzw. der Nutzenstiftung von Biodiversität und Ökosystemdienstleistungen auf eine marktförmige Größe reduzieren lässt.“ Zwar lassen sich durchaus Fälle finden, wo das funktioniere – vor allem auf lokaler Ebene, etwa bei Wasserschutzmaßnahmen in Wassereinzugsgebieten. „Viele der natürlichen Dienstleistungen sind aber gar nicht quantitativ messbar und der zeitliche Rahmen ihres Nutzens erstreckt sich über einen Zeitraum, der weit über den Zeitraum der ökonomischen Relevanz hinausgeht“, ist die Philosophin überzeugt. So würden zukünftige Schäden oder Nutzen im Verhältnis zu heute abgewertet, was eine angemessene ökonomische Kompensation in Frage stellt, wenn nicht gar unmöglich macht. Außerdem lassen sich aus ethischer Perspektive nicht alle Gründe für die Wertschätzung von Ökosystemdienstleistungen auf eine instrumentelle Betrachtung zurückführen, was aber eine notwendige Bedingung für eine monetäre Bewertung wäre.
Kontakt:
Dr. Barbara Muraca
Institut für Soziologie der Friedrich-Schiller-Universität Jena
Kolleg Postwachstumsgesellschaften
Humboldtstraße 34, 07743 Jena
Tel.: 03641 / 945036
E-Mail: barbara.muraca[at]uni-jena.de
http://www.kolleg-postwachstum.de
http://www.uni-jena.de
Was kosten die "Dienstleistungen" der Natur und lässt sich ihr Wert überhaupt ökonomisch messen?
Foto: Jan-Peter Kasper/FSU
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Die Sozialphilosophin Dr. Barbara Muraca von der Universität Jena.
Foto: privat
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Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Wissenschaftler
Gesellschaft, Philosophie / Ethik, Wirtschaft
überregional
Forschungsprojekte
Deutsch
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