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27.05.1998 00:00

Das Salz in der Meeressuppe nutzbar machen

Robert Emmerich Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Julius-Maximilians-Universität Würzburg

    Manche Lebewesen der Ozeane können Chloride und Bromide direkt aus dem Wasser fischen und sie in organische Moleküle einbauen. Für Chemiker sind das wahrhaft paradiesische Zustände, müssen sie selbst doch großen Aufwand treiben, um dasselbe Ziel zu erreichen. Wissenschaftler der Universität Würzburg wollen herausfinden, warum die Natur in Sachen Chlor und Brom so erfolgreich ist.

    Das chemische Element Chlor ist in der Öffentlichkeit bislang vor allem durch negative Schlagzeilen aufgefallen. Doch nüchtern betrachtet liegt die Chlorchemie vielen Produkten zugrunde, die den Alltag des Menschen angenehm und häufig auch lebenswerter machen: Medikamente zum Senken des Blutzuckerspiegels, Mittel zur Bekämpfung der Malaria oder Baustoffe wie PVC (Polyvinylchlorid) - sie alle verdanken ihre Eigenschaften zumindest teilweise dem Vorhandensein mindestens eines Chloratoms.

    Auf der negativen Seite dagegen sind beispielsweise die Folgen zu verbuchen, welche die großflächige Anwendung einiger chlorhaltiger Insektizide (Lindan, DDT) in der Natur nach sich gezogen hat. Diese Produkte hatten sich zunächst als äußerst wirksam bei der Bekämpfung hartnäckiger Seuchenüberträger erwiesen. Auf der anderen Seite werden ihre chlorhaltigen Wirkstoffe nur sehr langsam biologisch abgebaut: Sie gelangen in die Nahrungskette vieler Lebewesen, so auch in diejenige des Menschen, und reichern sich in Fettgeweben an.

    Die bis hierher beschriebenen chlorierten Verbindungen unterscheiden sich jedoch grundsätzlich von der Form, in der das Element Chlor in der Natur hauptsächlich vorkommt: Natriumchlorid. Diese Verbindung wird im alltäglichen Gebrauch auch als Steinsalz, Kochsalz oder Meersalz bezeichnet. Der letztgenannte Begriff verrät, daß die größten Reserven des wasserlöslichen Natriumchlorids und seines chemischen Verwandten, Natriumbromid, in den Weltmeeren zu finden sind.

    Eine alte Lehrmeinung vertrat den Standpunkt, daß nur der Mensch in der Lage sei, das farblose, kristalline Meersalz aus den Ozeanen zu gewinnen, es mit Hilfe elektrischer Energie in die äußerst giftigen Elemente Chlor und Brom (auch Halogene genannt) zu spalten, diese dann handzuhaben und sie gezielt in Wirkstoffe einzubauen - ein Verfahren, das einen enormen technischen Aufwand voraussetzt. Umso überraschter war die Wissenschaftswelt von der Nachricht, daß einige Meeresorganismen ebenfalls in der Lage sind, Chlor und Brom aus dem Meersalz für ihre Zwecke zu nutzen - und zwar ohne drastische Bedingungen, ohne fabrikähnliche Reaktionsgefäße, sondern allein in 20 bis 30 Grad Celsius warmem Meerwasser.

    Erst langsam wird deutlich, warum einzelne Meeresorganismen Chlor und Brom in Moleküle einbauen: Laborstudien haben gezeigt, daß diese Substanzen offenbar einigen Fraßfeinden buchstäblich den Appetit verderben. Das verschafft den Organismen deutliche Vorteile im Überlebenskampf. Einer der Spezialisten, die bromierte organische Moleküle herstellen können, ist der in den Meeren weitverbreitete Knotentang, zu lateinisch Ascophyllum nodosum.

    Diese Spezialisten besitzen Enzyme als Werkzeuge, um ihre Chlor- und Bromchemie zu bewerkstelligen. Die Aufgabe von Enzymen besteht im allgemeinen darin, chemische Prozesse in Gang zu setzen, die normalerweise Jahre, Jahrzehnte oder länger dauern würden. Da diese Zeitspanne die Lebenszeit mancher Organismen deutlich übertrifft, sind Enzyme als Reaktionsbeschleuniger unabkömmlich. Im Zentrum chlorierender Enzyme befindet sich häufig ein Eisenatom, bei bromierenden Enzymen ein Vanadiumatom - wobei die physiologische Bedeutung des letztgenannten Metalls in der Biologie noch nicht sehr lange bekannt ist.

    Am Institut für Organische Chemie der Universität Würzburg hat eine Arbeitsgruppe, die von Dr. Jens Hartung geleitet wird, diese Thematik aufgegriffen. Die Forscher untersuchen die Zusammenhänge, welche die Chlorierung und Bromierung organischer Moleküle unter fast "paradiesischen Bedingungen" ermöglichen. Dabei versuchen sie, mit kleinen Modellen gezielt den "Ort des Geschehens", also das aktive Zentrum der strukturell äußerst komplexen halogenierenden Enzyme herauszuarbeiten.

    Diese Arbeiten werden seit Anfang 1998 von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert. Sollten sie Erfolg haben, könnten die Resultate laut Dr. Hartung von unmittelbarem technischem Nutzen sein: Es wäre möglich, einfache halogenierte molekulare Bausteine, vielleicht sogar Zwischenverbindungen für die pharmazeutische Industrie oder für die Herstellung von Farbstoffen unter verblüffend einfachen Bedingungen zu gewinnen. Und wer würde nicht lieber mit Meerwasser als mit ätzenden Halogenen arbeiten?

    Kontakt: Dr. Jens Hartung, Telefon (0931) 888-4754, Fax (0931) 888-4755, E-Mail:
    hartung@chemie.uni-wuerzburg.de


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Biologie, Chemie, Informationstechnik
    überregional
    Forschungsprojekte
    Deutsch


     

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