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In der aktuellen Diskussion um Studiengebühren legen die Bochumer Ökonomen Alexander Pfitzner und Stefan Winter jetzt ein provokantes Buch vor: „Die Studiengebührenlüge – Wie die Republik Bildung vernichtet und die Armen abzockt“. Im Buch, das an Deutlichkeit nichts vermissen lässt, plädieren die Autoren für so genannte nachgelagerte Studiengebühren nach australischem Modell – die Bezahlung des Studiums erst nach erfolgreichem Berufsstart.
Freiwillig 100 Euro gezahlt
Dass Professor Winter nicht nur polemisiert, sondern konsequent zu dem Modell steht, zeigt sich daran, dass er seit Jahren freiwillig der Universität Hannover, an der er studiert hat, monatlich 100 Euro überweist. „Wenn ich in Pension gehe“, so Winter, „werde ich die Kosten meines Studium komplett zuzüglich 2,5% Zinsen p.a. zurückgezahlt haben. Angesichts meines Nettoeinkommens von 5.000 Euro pro Monat halte ich das für mehr als zumutbar, auch für andere Akademiker mit meinem Einkommen.“
Ungerechtigkeitsschere öffnet sich weiter
Im Buch stellen die Bochumer Ökonomen grundsätzliche Überlegungen an: Akademiker verdienen mehr als Nichtakademiker. Das ist bekannt. Weniger bekannt ist, dass die Schere größer wird, der Gehaltsvorteil der Akademiker also immer weiter zunimmt. Gemäß des letzten OECD-Berichts „Education at a Glance 2012“ hat der Einkommensvorteil von Akademikern in den Jahren 2000 bis 2010 in den OECD-Staaten um weitere 10% zugelegt.
„Steuerfinanzierte Geschenke auf Kosten der Allgemeinheit“
Während der Einkommensvorteil von Akademikern im OECD-Durchschnitt bei etwa 55% liegt, liegt er in Deutschland bei annähernd 80%. Dieser Einkommensvorteil wird aufgrund des demografischen Wandels und des Fachkräftemangels weiter zunehmen. Gleichzeitig werden Studienplätze in Deutschland verschenkt. Das führt dazu, dass auch sämtliche Akademiker, die später in die TOP-Liga der Einkommensbezieher vorrücken, ihr Studium auf Kosten der Allgemeinheit geschenkt bekommen. Die vollständige Gebührenfreiheit des Studiums auch für Top-Verdiener ist Umverteilung von Unten nach Oben. Darauf hat schon Marx hingewiesen, bis heute leider vergeblich.
Vorbild Australien
Ende der 1980er-Jahre kam es in Australien zu einer Gerechtigkeitsdebatte um die Gebührenfreiheit des Studiums. Nach Analyse von Einkommensdaten bestand in Australien schnell Einigkeit über die soziale Ungerechtigkeit eines generellen Gebührenverzichts, da dieser vor allem den späteren Besserverdienern der Gesellschaft zugutekommt. Die sozialdemokratische Regierung unter Bob Hawke hat dementsprechend 1989 die Einführung eines Systems nachgelagerter Studiengebühren beschlossen. Bezahlt werden Gebühren in diesem System erst nach dem Abschluss des Studiums und auch nur dann, wenn der Absolvent beruflich erfolgreich ist und mehr verdient als der Bevölkerungsdurchschnitt. Mit den so eingenommenen Geldern konnte die Anzahl der Studienplätze in Australien deutlich aufgestockt werden. Kinder aus benachteiligten Familien haben von diesem Aufschwung an Bildungsmöglichkeiten in gleichem Maße profitiert wie Kinder aus anderen Bevölkerungsschichten.
Fazit: Nachgelagerte Studiengebühren
Das Fazit aus diesen Erfahrungen ist simpel: Eine Zahlungspflicht, die erst nach dem Studium beginnt und sich auf diejenigen beschränkt, die erfolgreich sind, hält niemanden vom Studium ab. Eine solche Zahlungspflicht ist aber noch etwas: Sie ist sozial gerecht, macht sie doch Schluss mit der systematischen Umverteilung von Unten nach Oben durch die reine Steuerfinanzierung auf Kosten der Allgemeinheit. Pfitzner und Winter greifen in ihrem Buch „Die Studiengebührenlüge“ die deutsche Diskussion um Studiengebühren des letzten Jahrzehnts auf und konfrontieren die angeblichen Vorteile eines Gebührenverzichts mit Fakten und internationalen Erfahrungen. Die Autoren kommen zu demselben Ergebnis, zu dem auch die Sozialdemokratie in Australien gekommen ist: Der Gebührenverzicht in Deutschland ist sozial hochgradig ungerecht. „Ein Land, in dem die Gebühren für Kindergärten höher sind als die Gebühren für ein Hochschulstudium, leistet einen sozialpolitischen Offenbarungseid“, so die Autoren.
Plädoyer für eine sozial gerechte Hochschulfinanzierung
Auch die übrigen Argumente, die auf den ersten Blick gegen Studiengebühren sprechen und gern ins Feld geführt werden, halten einer kritischen Überprüfung der beiden Ökonomen nicht stand. Das Buch versteht sich als Plädoyer für eine sozial gerechte Hochschulfinanzierung. Eine Finanzierung auf solider Basis jenseits politischer Wetterlagen und Kassenstände.
Titelaufnahme
Alexander Pfitzner, Stefan Winter: „Die Studiengebührenlüge – Wie die Republik Bildung vernichtet und die Armen abzockt“. Bochum: Europäischer Universitätsverlag 2012, 132 S., 9,90 Euro.
Weitere Informationen
Prof. Dr. Stefan Winter, Ruhr-Universität Bochum, Fakultät für Wirtschaftswissenschaft, Human Ressource Management, Tel. 0234/32-28337, stefan.winter@rub.de
Angeklickt
OECD-Bericht „Education at a Glance 2012
http://dx.doi.org/10.1787/eag_highlights-2012-en
Redaktion: Dr. Josef König
Prof. Dr. Stefan Winter, Jg. 64, Inhaber des Lehrstuhls für Human Resource Management an der Ruhr-Un ...
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Merkmale dieser Pressemitteilung:
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fachunabhängig
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftspolitik
Deutsch
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