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Wissenschaft
Plötzlich eintretende Geburtskomplikationen sind nicht vorhersagbar. Das belegt eine aktuelle Studie, die auf dem 54. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe in Düsseldorf präsentiert wird. Deshalb raten Experten Schwangeren von einer Geburt außer-halb der Klinik ab.
"Wie hoch ist die Kaiserschnittrate?" "Bieten Sie Akupunktur, Akupressur, Homöopathie und Wassergeburt an?" Das sind häufige Fragen von Eltern, die sich über die Leistungen einer Ge-burtsklinik informieren wollen. "Mit welchem geburtsmedizinischen Ergebnis die Kinder, ab-hängig vom Risiko, entlassen werden, fragt jedoch keiner", wundert sich Professor Karl T. M. Schneider, Leiter der Abteilung für Perinatalmedizin der Frauenklinik rechts der Isar der Techni-schen Universität München. Problemlose Geburtsverläufe würden offenbar vorausgesetzt.
Diese sind in der Tat bei der überwiegenden Mehrzahl der Entbindungen der Fall. Die Bayeri-sche Arbeitsgemeinschaft Qualitätssicherung (BAQ) hat für das Jahr 2000 etwa 70 Prozent aller Entbindungen in Deutschland erfasst. Resultat: 21,8 Prozent der Frauen wurden per Kai-serschnitt entbunden. Bei gut der Hälfte der Eingriffe handelte es sich um sogenannte sekun-däre Kaiserschnitte, die eine bereits begonnene Geburt beenden. Der Grund: "Ungefähr fünf-zehn bis 20 Prozent der Risiken treten erst unter der Geburt auf", schätzt Schneider.
Orakel per Computer
Um dieser Unvorhersehbarkeit vielleicht doch ein Quäntchen Vorhersagbarkeit abzuringen, versuchte ein Team um Priv. Doz. Dr. Matthias David am Berliner Universitätsklinikum Charité eine Risikoskala zu erstellen. Diese sollte Frauenärzten ermöglichen, je nach individuellen Schwangerschaftrsrisiken die Wahrscheinlichkeit für eine normale Geburt zu errechnen. Die Frauenärzte versuchten, nachträglich die während der Geburt aufgetretenen Komplikationen mit jenen Risikofaktoren zu verknüpfen, die aus dem Mutterpass hervorgingen. Als Datenbasis dienten 176.734 Klinikgeburten von 1993 bis 1999, die durch die Berliner Perinatalerhebung dokumentiert waren. Ausgenommen waren nur die "klinikpflichtigen Risikofälle", also jene Frauen, bei denen von vorneherein ein Kaiserschnitt absehbar war.
Die Ärzte errechneten zwar 28 statistisch signifikante Risikofaktoren, "doch leider konnten wir keinen eindeutigen Zusammenhang zwischen den Risikofaktoren und dem Geburtsmodus ermitteln", bedauert David. Bei 46 Prozent der Erstgebärenden - bei jeder zweiten - und bei 33 Prozent der Mehrfachgebärenden - bei jeder dritten - hätten die Ärzte mit ihrer Vorhersage - spontane oder operative Geburt - falsch gelegen.
Die erste Geburt ist riskanter
Auch wenn die statistisch errechnete Risikoskala als "Orakel" nicht funktionierte, zeichneten sich doch einige klare Tendenzen ab. Frauen, die ihr erstes Kind bekommen, haben generell ein erhöhtes Risiko für eine operative Geburt. 27 Prozent der Erstgebärenden wurden per Kaiser-schnitt, Zange oder Saugglocke entbunden, bei den Mehrgebärenden waren es nur acht Pro-zent. Selbst wenn laut Mutterpass bei einer Erstgebärenden keinerlei Risiko bestand, war den-noch bei 21 Prozent dieser scheinbar risikofreien Schwangerschaften operativer Eingriff nötig. Hingegen wurden nur vier Prozent der Mehrfachgebärenden ohne Risiko operativ entbunden.
Risiko Hausgeburt
Gleichwohl entbinden schätzungsweise 1,5 Prozent der Frauen zu Hause oder in einem Ge-burtshaus. Die Hebammen sind inzwischen ebenfalls bestrebt, ihre Leistungen zu dokumentie-ren. Seit 1996 werden die außerklinischen Geburten in einer speziellen Perinatalerhebung er-fasst. Dieser ist zu entnehmen, dass 14 bis 18 Prozent der außerklinischen Geburten im Kran-kenhaus enden, da Komplikationen eine Verlegung der Frau erforderlich machen. Unklar ist, ob die so geborenen Kinder höhere Risiken für geburtsbedingte Erkrankungen tragen. "Um dies herauszufinden, läuft derzeit eine Studie, die alle Geburtsverläufe dokumentiert, die außerkli-nisch beginnen und in der Klinik enden," erklärt David. Diese Studie läuft unter dem Dach des Berliner Zentrums für Public Health als Kooperationsprojekt der TU Berlin und der Charité.
"Solange die von uns eingeforderten Sicherheitsstandards nicht gewährleistet sind, raten wir von außerklinischen Entbindungen ab", betont Schneider. Zu diesen Standards gehört etwa die Möglichkeit, eine Schwangere per Notfallkaiserschnitt innerhalb von zehn Minuten zu entbin-den. Bei einer dringlichen Sectio sollte die Operation binnen 20 Minuten erfolgen. Dies ist bei einer Geburt außerhalb einer Klinik kaum zu schaffen. Bei der Wahl einer Geburtsklinik sollten Schwangere darauf achten, dass auch nicht alle Kliniken diese Anforderungen erfüllen. Nach Angaben der BAQ vergingen im Jahr 2000 bei einem Viertel der Not-Kaiserschnitte mehr als 20 Minuten zwischen dem Entschluss zum Eingriff und der tatsächlichen Operation. "Die häufig-sten Organisationsfehler treten nach unserer Erfahrung in kleinen Belegkrankenhäusern auf," präzisiert Schneider.
Ansprechpartner:
Prof. Dr. med. Karl T.M. Schneider, Frauenklinik und Poliklinik der TU München Abt.f. Perinatalmedizin,
Klinikum rechts der Isar, Ismaningerstraße 22, 81675 München Tel.: 089-4140-2430 Fax.: 089-4140-2447
PD Dr. med. Matthias David
Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe der Charité, Campus Virchow-Klinikum, Augustenburger Platz 1
13353 Berlin, Tel.: 030-4505-0, Fax: 030-4505-64932, E-mail: matthias.david@charite.de
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Pressestelle 54. Kongress der DGGG:
Barbara Ritzert
ProScientia GmbH
Andechser Weg 17
82343 Pöcking
Tel.: 08157-9397-0
Fax: 08157-9397-97
E-mail: Ritzert@proscientia.de
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Ernährung / Gesundheit / Pflege, Medizin
überregional
Buntes aus der Wissenschaft, Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Tagungen
Deutsch
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