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Wissenschaft
Kassel. "Die neue Freiheit der Universität" heißt der jüngste Buchtitel in der publizistischen Debatte über die Entwicklung der Hochschulen in Deutschland - eine unerwartete Botschaft des Hochschul-Experten und Kasseler Uni-Präsidenten Hans Brinckmann. War die Diskussion doch bislang eher von Katastrophenmeldungen geprägt, so als der SPD-Politiker und jetzige Erfurter Gründungsrektor Peter Glotz mit seiner Buchtitelfrage "Im Kern verrottet? Fünf vor Zwölf an Deutschlands Universitäten" die Alarmglocke schrillen ließ und der Oldenburger Uni-Präsident Michael Daxner in seinem Buch mit der Frage folgte, ob die deutsche Uni noch zu retten sei. Demgegenüber sieht Brinckmann bei aller Skepsis auch Chancen. Die Unlust der Politik, den Mangel an den Hochschulen angesichts leerer Kassen selbst weiterzuverwalten, so seine Ausgangsthese, beschere den Universitäten neue Freiheiten. Sein Plädoyer geht dahin, diese Freiheit doppelt zu nutzen: Zum einen mit der Politik als Auftraggeber der Universität einen klaren Leistungsvertrag, eindeutige Rahmenbedingungen und den Verzicht auf bürokratische Reglementierung auszuhandeln und zum andern die gewonnene Eigenverantwortlichkeit in den Hochschulen selbst für eine Erneuerung zu nutzen, um zu einer international angemessenen Differenzierung von Hochschulen, Fachkulturen, Studienzielen und Forschungsprofilen zu kommen.
Für eine solche - am "New Public Management" orientierte - Modernisierung verfüge die Universität über gute Startbedingungen, argumentiert Brinckmann, insbesondere mit ihrem dezentral angelegten Netz von hoch selbständigen, in "operativer Autonomie" arbeitenden Fachgebieten und Arbeitseinheiten in Forschung und Lehre, die eine "Föderation" von Fachkulturen bilden und wiederum ihre je eigenen Beziehungsnetze entwickeln. Diese Potentiale könne die Universität aber nur nutzen, so Brinckmann, wenn es gelinge, auch die inneren und äußeren Bedingungen der "neuen Freiheit der Universität" schnell und umfassend zu schaffen. Dafür seien beim Bund wie bei den Ländern deutliche Ansätze erkennbar. Allerdings stehe die aktuelle Hochschulreform-Debatte in der Gefahr, sich um die wesentlichen inhaltlichen Fragen zu drücken und sich nur noch mit Fragen der Kostendämpfung, der Effektivierung und des Managements zu beschäftigen.
Brinckmann gibt in seinem Beitrag einen Überblick über den nationalen und internationalen Diskussionsstand der Hochschulentwicklung, analysiert bisherige Reformschritte und Strukturschwächen und trägt im Anschluß die Notwendigkeiten und Möglichkeiten für Veränderungen zusammen. Dabei setzt er auf Elemente "operativer Autonomie": auf Vielfalt und Profil statt rechtlicher Einheitsregelungen, auf Finanzautonomie statt starrer Kameralistik, auf Auswahl der Studierenden statt Aufnahmepflicht, auf flexible Personalstruktur statt auf das Korsett des öffentlichen Dienstrechts, auf organisatorische Flexibilität, Leistungsvergleich, Rechenschaftslegung und Transparenz. Seine Bilanz auf diesen Feldern verbindet er mit der Vorstellung von Entwicklungsperspektiven für die kommenden Jahre.
Dabei sieht er das tradierte Hochschulsystem nicht nur in Deutschland mit seinem geradezu sprichwörtlichen Reformstau in Schwierigkeiten. Auch in anderen Ländern, "die wir in vielen Aspekten für innovativer und beweglicher ansehen", seien neue Lösungen gefragt. Brinckmann: "Wenn es aber nicht die eine Lösung, das neue Hochschulsystem gibt ... kann die Antwort nur in der Vielfalt auch der Institutionen liegen, die untereinander im Wettbewerb liegen mit unterschiedlichen Angeboten auf die vielfältigen Erwartungen und die auch intern Vielfalt nicht nur zulassen, sondern zum Programm machen".
Mit seinem neuen Buch legt Brinckmann nicht nur eine analytische Bilanz der bisherigen Hochschulentwicklungsdebatte vor. Seine Überlegungen schöpfen auch aus reichhaltigen eigenen Erfahrungen: aus acht Jahren Arbeit als Uni-Präsident, aus vielen Kommissions-, Senats und Plenumssitzungen der Hochschulrektorenkonferenz, aus zweijähriger Begleitung der Hessischen Hochschulstrukturkommission und nicht zuletzt aus 30 Jahren Lehre und Forschung in der Verwaltungs-, Planungs- und Hochschulwissenschaft. Vor dem Hintergrund seines langen Engagements in der Hochschulentwicklung wird auch das skeptische "Nachwort" zu seinem Buch verständlich: "Während der Arbeit an diesem Text konnte ich die Debatte um das neue Hochschulrahmengesetz verfolgen ... Was sich um diese Novelle abspielte, kann man geradezu als paradigmatisch für das Hochschulwesen in Deutschland ansehen, und man kann diesem Beispiel konsequenter Unentschlossenheit leicht weitere hinzufügen: Studienfinanzierung, Auftrag der Fachhochschulen, Personalstruktur, Rahmenprüfungsordnungen, Öffnung des öffentlichen Dienstes sind einige der Themen, über die seit längerem ohne greifbares Ergebnis diskutiert wird". Ob die "neue Freiheit der Universität" also wirklich eine Chance hat, bleibt offen. bar
Hinweis: Rezensionsexemplare können über den Verlag angefordert werden:
Hans Brinckmann,
Die neue Freiheit der Universität,
Operative Autonomie für Lehre und Forschung an Hochschulen
Modernisierung des Öffentlichen Sektors, Sonderband 10
208 S., DM 27,80, ISBN 3-89404-760-7
edition sigma rainer bohn verlag
Karl Marx Str. 17, D-12043 Berlin
Pressemitteilungen der GhK im Internet: http://www.uni-kassel.de/presse/pm/
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Gesellschaft, Politik, Recht, fachunabhängig
überregional
Forschungsprojekte, Wissenschaftliche Publikationen, Wissenschaftspolitik
Deutsch
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