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Hauptsache Präsens: Fixiert auf formale Merkmale verpassen Schüler Pointen und Ironie. Das ist ein Ergebnis einer Studie von Literaturwissenschaftlern der Universität Hildesheim. „Die inhaltliche Auseinandersetzung mit den Textvorlagen – darunter literarische Texte – kommt meist zu kurz", sagt Johannes Reinert, der den Umgang mit der Inhaltsangabe im Deutschunterricht untersucht hat. Reinert beobachtete den Unterricht an Haupt- und Realschulen sowie Gymnasien und sprach mit den Lehrern. Die aufgezeichneten Unterrichtsstunden sind in einem Video-Fallarchiv abrufbar, das in der Lehrerausbildung eingesetzt wird.
„Schreibe eine Inhaltsangabe!“ Wer kennt diese Aufgabe nicht aus seiner eigenen Schulzeit? Die Inhaltsangabe ist eine der berühmtesten und zugleich unpopulärsten Textsorten des Deutschunterrichts. „Sie gilt als höchst bedeutsam für das Leseverstehen – und gewinnt vor dem Hintergrund großer Schulleistungsstudien neue Brisanz. Die Probleme unserer 15-jährigen Schülerinnen und Schüler mit der Textwiedergabe sind spätestens seit PISA bekannt“, erklärt Dr. Johannes Reinert. „Dennoch wird ihre Bedeutung vielfach unterschätzt. Das liegt auch daran, dass die Inhaltsangabe keine ‚lebensnahe‘ Textsorte ist.“ Dabei werden mit ihr Fähigkeiten trainiert, „die auch im Studium und in der Berufswelt von entscheidender Bedeutung sind.“
Den Umgang mit der Inhaltsangabe in sechs Schulklassen beobachten, mit den verantwortlichen Lehrerinnen und Lehrern sprechen – darauf baut Johannes Reinerts qualitative Studie auf. Er hat Klassen aus den Jahrgängen sieben bis neun aus Hildesheimer Haupt- und Realschulen sowie Gymnasien besucht, in denen mit der Inhaltsangabe gearbeitet wurde. „Die fachdidaktische Literatur zum Thema ist umfangreich. Allerdings fehlten bisher empirische Untersuchungen zum Unterrichtsalltag mit dieser Textsorte“, sagt der 29-Jährige, der an der Universität Hildesheim Lehramt studiert und 2012 promoviert hat. Die aufgezeichneten Unterrichtsstunden sind in einem Video-Fallarchiv abrufbar, das in der Lehrerausbildung eingesetzt wird.
Ein Ergebnis der Studie: Die inhaltliche Auseinandersetzung mit den Textvorlagen kommt meist zu kurz. „Beim Umgang mit den Inhaltsangaben dominieren formale Aspekte – die korrekte Zeitform und die indirekte Rede sollen verwendet werden. Alles andere geht dabei oft unter“, verdeutlicht Reinert.
Schreibe in der richtigen Zeitform: In Schulbüchern dominieren formale Aspekte
Schüler haben oft große Schwierigkeiten mit der sachlichen Wiedergabe von Texten. „Schüler tendieren bis in die Oberstufe hinein dazu, nachzuerzählen“, so eine Lehrerin aus der Studie. Die Lehrkräfte wissen also um die Probleme – werden aber mit der Frage, wie mit diesen umzugehen ist, oft alleingelassen. Auch Lehrmaterialen helfen ihnen oft nicht weiter, verdeutlicht Reinert: „Viele Schulbücher legen den Fokus auf formale Merkmale. So heißt es in einem Lehrwerk: ‚Das Präsens zeigt an, dass man nicht nacherzählt.‘ Beim Schüler kommt an: Schreib in der richtigen Zeitform und alles ist gut.“
Dabei ist die Frage, wie Jugendliche eine distanzierte Haltung zum Text einnehmen, von besonderer Bedeutung. Das Schreiben im Präsens reicht dafür nicht aus, sagt Reinert. Außerdem darf man den Text nicht aus den Augen verlieren: „Klar, die Schüler sollen das formale Grundmuster kennenlernen – doch genauso kommt es auf die Inhalte an: Kann ich die zentralen Handlungsstränge erkennen, sie bündeln und unter passende Oberbegriffe bringen?“, nennt Reinert die Anforderungen. Diese sind für Schüler im siebten Jahrgang oft noch ungewohnt. „Umso wichtiger ist es, sie schrittweise zu üben“, erklärt er und fordert, die traditionelle Inhaltsangabe deutlich gegenüber anderen Textsorten abzuheben: „Schüler müssen sich von den Textsorten wie dem Klappentext, der einen Leseanreiz schaffen soll, lösen. Wenn sie dazu in der Lage sind, bekommen sie auch einen anderen Blick auf die Texte.“
Literarische Texte: „Fixiert auf formale Merkmale ist den Schülern die Pointe entgangen“
Johannes Reinert plädiert dafür, angehende Lehrer im Studium für die Möglichkeiten und Fallstricke bei Textsorten wie der Inhaltsangabe zu sensibilisieren. Vielversprechend sei das forschende Lernen: „Dabei werden die zukünftigen Lehrer selbst ein Stück weit zu Forschern und untersuchen Schulpraxis, zum Beispiel mithilfe des Fallarchivs.“
Auch die Erarbeitung geeigneter Übungen und Texte steht dabei auf dem Plan. „Die Herausforderung liegt in der Entwicklung sinnvoller Lernaufgaben durch die Lehrkräfte“, sagt Irene Pieper, Professorin für Literatur und ihre Didaktik an der Universität Hildesheim, die die Doktorarbeit betreut hat. „Es ist kaum möglich, literarische Texte wiederzugeben ohne diese auch zu interpretieren.“
Dies hat Johannes Reinert in seiner Studie beobachtet. Eine siebte Klasse sollte eine Inhaltsangabe zu einem Schulbuchklassiker – Johann Peter Hebels Geschichte vom „Mittagessen im Hof“ – erstellen. Da ist die Rede von einem Herrn, oft schlecht gelaunt und egozentrisch, und seinem Diener, schlau und selbstbewusst. Dem Herrn schmeckt die Suppe nicht, er schleudert die Schüssel durch das offene Fenster in den Hof. Der Diener wirft das Fleisch, das Brot, den Wein, das Tischtuch hinterher. Der Herr ist zornig, der Diener aber erwidert ruhig: „Verzeihen Sie mir, wenn ich Ihre Meinung nicht erraten habe. Ich glaubte nicht anders als Sie wollten heute in dem Hof speisen.“ Daraus macht ein Siebtklässler in seiner Inhaltsangabe: „Der Kellner gibt dem Herrn eine Suppe und der Herr schmeißt sie aus dem Fenster. Der Kellner versteht das nicht und wird wütend…“. Dieser Jugendliche hat die Aufgabe hervorragend gemeistert und einen Text knapp im Präsens wiedergegeben, sagt Reinert. „Aber die Pointe ist ihm dabei entgangen. Fixiert auf die formalen Merkmale, haben er und seine Mitschüler den ironischen Ton der Textvorlage verpasst.“
Nun hat Johannes Reinert die Seiten gewechselt. Seit einem Jahr besucht er als Referendar die St. Augustinus-Schule in Hildesheim. Ob er dort noch Neues über den Umgang mit der Inhaltsangabe erfahren hat? „Auch bei mir hat nicht alles funktioniert“, schmunzelt Reinert. „Aber ich habe gemerkt, dass Schüler dann besonders motiviert sind, wenn sie den Sinn einer Aufgabe verstehen. Also haben wir gemeinsam überlegt, warum eine Inhaltsangabe wichtig ist.“ Reinert plant nun, an die Universität zurückzukehren. „Ich habe Schule aus der Sicht der Forscher und der Lehrer kennengelernt. Meine Erfahrungen möchte ich nun wieder in die Lehramtsausbildung zurückfließen lassen.“
Die Studie wurde online veröffentlicht und erscheint in gekürzter Fassung als Buch: „Die Inhaltsangabe im Deutschunterricht. Eine Video- und Interviewstudie zum Umgang mit einer viel diskutierten Textform“ (Johannes Reinert).
Zur Studie online:
http://opus.bsz-bw.de/ubhi/volltexte/2012/177/
Medienkontakt:
Pressestelle der Universität Hildesheim
(Isa Lange, 05121.883-102, 0177.8605905, presse@uni-hildesheim.de)
http://opus.bsz-bw.de/ubhi/volltexte/2012/177/ - Studie online „Die Inhaltsangabe im Deutschunterricht. Eine Video- und Interviewstudie zum Umgang mit einer viel diskutierten Textform“ (Johannes Reinert, Uni Hildesheim)
http://www.uni-hildesheim.de/fb3/institute/idsl/mitglieder/ - Institut für deutsche Sprache und Literatur der Uni Hildesheim
http://www.uni-hildesheim.de/forschung/forschungszentren/fachdidaktik/forschung-... - Video-Fallarchiv HILDE Lehrerausbildung
Johannes Reinert, Lehramtsabsolvent der Uni Hildesheim, hat Unterricht an Haupt-, Realschulen und Gy ...
Foto: Reinert
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Literarische Texte wiedergeben: „Fixiert auf formale Merkmale ist den Schülern die Pointe und Ironie ...
Foto: Isa Lange / Universität Hildesheim
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Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Lehrer/Schüler, Studierende, Wissenschaftler
Gesellschaft, Medien- und Kommunikationswissenschaften, Pädagogik / Bildung, Philosophie / Ethik, Sprache / Literatur
überregional
Forschungsergebnisse, Forschungsprojekte
Deutsch
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