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EU-Projekt zur Untersuchung finnougrischer Minderheitensprachen abgeschlossen: Fast alle Sprachen sind bedroht – Maßnahmen nötig
Die Sprachen der finnisch-ugrischen Minderheiten Europas sind alle, zumindest bis zu einem gewissen Grad, vom Aussterben bedroht. Zu diesem Ergebnis kommt eine dreieinhalbjährige, von der EU geförderte Studie über Minderheitensprachen in Europa, die unter Federführung der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) erstellt wurde. Die Wissenschaftler haben neun finnougrische Sprachen untersucht, die von zwölf Sprachgemeinschaften in Nordeuropa, Russland, Slowenien, Österreich und in Deutschland gesprochen werden. Das Sprachvitalitätsbarometer EuLaViBar, das im Rahmen der Studie entwickelt wurde und auf andere Sprachen übertragbar ist, hat sich dabei als ein geeignetes Instrument erwiesen, um die Vitalität einer Sprache treffend anzuzeigen. „Wir haben in der Spracherhalt-Forschung einen bedeutsamen Schritt nach vorn gemacht“, teilt Univ.-Prof. Dr. Anneli Sarhimaa, Expertin für nordische und baltische Sprachen an der JGU, dazu mit. „Unsere Studie zeigt, dass die untersuchten Minderheitensprachen teilweise stark gefährdet sind. Sie zeigt aber auch, dass mit den richtigen Maßnahmen Sprachen erhalten und sogar revitalisiert werden können.“ Die EU hat das Projekt „European Language Diversity for All“ (ELDIA) seit 2010 mit 2,7 Millionen Euro gefördert.
Besonders schlecht steht es um die Sprache Kvenisch, auch Quänisch oder Finnmarkfinnisch genannt, in Norwegen. Die Vorfahren der Kvenen wanderten zwischen dem 16. und dem späten 19. Jahrhundert vom nördlichen Finnland und Schweden nach Nordnorwegen ein. Sie waren lange Zeit einer harschen Norwegisierungspolitik ausgesetzt. Heute leben Schätzungen zufolge noch 10.000 bis 60.000 ethnische Kvenen in Norwegen, allerdings wird die Zahl der Menschen, die aktiv Kvenisch sprechen, auf nur 1.500 bis 2.500 veranschlagt. Zwar wird die Sprache derzeit standardisiert, ihre Verwendung im Bildungssystem, in den Medien und in der allgemeinen Öffentlichkeit ist allerdings sehr begrenzt. Bei den Vitalitätswerten zeigt Kvenisch die niedrigsten Werte.
Nur wenig besser steht es um die Sprachen Karelisch in Finnland und Meänkieli in Schweden. Der Projektbericht weist darauf hin, dass die niedrigsten Punktezahlen, die das Barometer verzeichnet, ausgerechnet in drei nordischen Ländern zu finden sind. Die grundsätzlich starke Position der nordischen Länder in humanitären Angelegenheiten, Demokratie und Menschenrechten resultiere nicht automatisch, so der Bericht, in einer angemessenen Sprachpolitik für verwundbare Sprachgemeinschaften und Minderheiten.
Auf einer Skala von null bis vier hat keine der zwölf Sprachgemeinschaften für die einzelnen Untersuchungsfelder den Wert von drei nennenswert übertroffen, sondern sie bleiben teilweise deutlich darunter. „Alle untersuchten Minderheitensprachen benötigen daher besondere Unterstützung in der ein oder anderen Form“, heißt es in dem Bericht. In Deutschland hat die Studie die Situation von Estnisch erforscht, in Österreich und Slowenien Ungarisch. Insgesamt wurden knapp 5000 Fragebögen ausgewertet und fast 200 Interviews geführt.
„Die hohe Beteiligung an der Studie zeigt, wie wichtig das Thema für viele Minderheiten ist“, sagt Anneli Sarhimaa, die das ELDIA-Projekt geleitet hat. Bei der Untersuchung von Meänkieli zum Beispiel kamen fast 60 Prozent der Fragebögen ausgefüllt zurück. „Das Wichtigste ist jedoch, dass mit dem Barometer nun endlich ein Werkzeug zur Verfügung steht, das uns hilft, einerseits die Gefahren und andererseits die erforderlichen Maßnahmen für den Erhalt einer Sprache zu identifizieren“. Das EuLaViBar ist das erste Barometer, das die Vitalität einer Sprache anhand von empirischen Daten erfasst. Das Prinzip lässt sich auf alle anderen Minderheitensprachen übertragen.
An dem Projekt waren Experten der angewandten Sprachwissenschaften und der Soziolinguistik, der Rechtswissenschaft, der Soziologie und Statistik an acht Universitäten in sechs europäischen Ländern beteiligt. Die Ergebnisse wurden in zahlreichen wissenschaftlichen Artikeln und anderen Publikationen dargestellt. Das Barometer wird noch im Herbst 2013 in der Form eines Werkzeugpakets (toolkit) veröffentlich. Die theoretischen und methodologischen Fortschritte werden in einem Buch, das 2014 erscheint, diskutiert und evaluiert.
Abbildungen/Foto:
http://www.uni-mainz.de/bilder_presse/05_english_sneb_eldia_01.jpg
Übersicht der Vitalitätswerte für jede in der ELDIA-Studie untersuchte Sprache
Quelle: © www.eldia-project.org
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Vitalitätsbarometer EuLaViBar für Karelisch in Finnland: Das Barometer zeigt einen sehr alarmierenden Stand der Sprachgefährdung an. Im Hinblick auf die Schwerpunkte „Kapazität“ und „Sprachprodukte“ ist Karelisch in Finnland eine akut gefährdete Sprache, im Hinblick auf die Schwerpunkte „Gelegenheit“ und „Wunsch“ ist die Sprache ernsthaft gefährdet. Legende: Sprachnutzung (grün), Bildung (rot), Gesetzgebung (gelb), Medien (blau)
Quelle: © www.eldia-project.org
http://www.uni-mainz.de/bilder_presse/05_english_sneb_eldia_03.jpg
Karelisch sprechende junge Menschen bereiten sich für ein ELDIA-Interview in Nurmes, Ostfinnland, vor
Foto: © www.eldia-project.org
Weitere Informationen:
Univ.-Prof. Dr. Anneli Sarhimaa
Sprachen Nordeuropas und des Baltikums
Department of English and Linguistics
Johannes Gutenberg-Universität Mainz
D 55099 Mainz
Tel. +49 6131 39-23081 oder 39-23080
Fax +49 6131 39-23973
E-Mail: sarhimaa@uni-mainz.de
http://www.sneb.uni-mainz.de/univ-prof-dr-anneli-sarhimaa/
Weitere Links:
http://www.eldia-project.org/
https://www.facebook.com/pages/ELDIA-European-Language-Diversity-for-All/1099895...
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Studierende, Wissenschaftler, jedermann
Geschichte / Archäologie, Gesellschaft, Kulturwissenschaften, Politik, Sprache / Literatur
überregional
Forschungsergebnisse, Kooperationen
Deutsch
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