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27.11.2013 13:08

„Viele machen mystische Erfahrungen“

Viola van Melis Zentrum für Wissenschaftskommunikation
Exzellenzcluster „Religion und Politik“ an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster

    Internationale Tagung zur Wiederentdeckung der Mystik in der Moderne – Öffentlicher Vortrag und Sufi-Konzert mit tanzendem Derwisch in Münsters Petrikirche

    Das jahrhundertealte Phänomen der Mystik taucht Forschern zufolge bis heute im Leben vieler Menschen auf. „Fast die Hälfte der Westdeutschen und ein Drittel der Ostdeutschen gaben im Religionsmonitor 2013 an, oft oder gelegentlich Erfahrungen von Einheit und Totalität zu machen, also Erfahrungen, die häufig mit Mystik in Verbindung gebracht werden“, erläutert Religionswissenschaftlerin Prof. Dr. Annette Wilke vom Exzellenzcluster „Religion und Politik“. „Viele fühlen sich in solchen Momenten eins mit der Natur oder dem Universum. Ein Gottesglaube ist damit nicht immer verbunden.“ Die Forscherin kündigte eine interdisziplinäre Tagung „Constructions of Mysticism“ am Exzellenzcluster an, auf der internationale Experten ab 5. Dezember die Wiederentdeckung der Mystik im 20. Jahrhundert und ihre Wurzeln seit der Antike religionsübergreifend untersuchen. Interessierte sind auch zu einem Sufi-Konzert mit tanzendem Derwisch eingeladen.

    „Die Mystik zieht viele Menschen von heute an, weil sie intensive Formen eines persönlichen Glaubens und einer erfahrungsbasierten Spiritualität bereithält. Das passt zur Individualisierung unserer Gesellschaft“, so Prof. Wilke. „So erklärt sich auch die Anziehungskraft von Religionen wie Buddhismus und Hinduismus, die im Ruf stehen, besonders mystisch zu sein.“ Anders als in früheren Jahrhunderten seien mystische Erfahrungen heute nicht mehr nur an Klöster und kontemplative Lebensweisen gebunden, vielmehr suche man mystische Erlebnisformen oft auch losgelöst von Institutionen. „Damit grenzen sich manche Menschen von den Kirchen ab, andere von einer stark rationalistischen Weltsicht oder konsumorientierten Lebensweise.“ Mystische Erfahrungen lassen sich der Expertin zufolge „quer durch alle Milieus, auch in kirchlich gebundenen Gruppen“ finden.

    Zur Bewältigung der modernen Welt

    Das frühe 20. Jahrhundert habe die Mystik als Bewältigungsstrategie im Umgang mit der komplexen modernen Welt wiederentdeckt, so Prof. Wilke. „Sie diente einerseits der Befreiung von den Fesseln der Kirchen, andererseits von den Fesseln der Naturwissenschaften – so wörtlich der Philosoph Fritz Mauthner im Jahr 1925.“ Die Wiederentdeckung der Mystik diente aber ebenso einer Vertiefung kirchlicher Spiritualität. Die Tagung wird zahlreiche Beispiele für Mystik in der Moderne darlegen, etwa im buddhistisch-christlich-hinduistischen Dialog, sowie ihre christlich-jüdischen Wurzeln in der Spätantike und Renaissance.

    Mystik gilt nach den Worten der Forscherin heute als universales Phänomen, quer durch alle Epochen und Kulturen. Der Begriff der Mystik, der erst im 17. Jahrhundert entstand, beschreibt intensive Formen vor allem innerlicher Religiosität wie Versenkungszustände und Erfahrungen der Entgrenzung. Heute umfasst der Sammelbegriff disparate Phänomene von der jüdischen Merkabah-Spiritualität über mittelalterliche Passionsfrömmigkeit bis zu Yoga. Viele Mystiker der Vergangenheit wurden später als solche bezeichnet, obwohl sie sich selbst nicht so nannten: etwa Laotse (6. Jh. v. Chr.), Lin Moniang (10. Jh.), Farid ad-Din 'Attar (um 1145-1221), Hildegard von Bingen (1098-1179), Franz von Assisi (1181/1182-1226), Mechthild von Magdeburg (1207-1282), Meister Eckhart (um 1260-1328), Niklaus von Flüe (1417-1487), Mirabai (ca. 1500-1550), Moses Cordovero (1522-1570) und Hakuin Ekaku (1685-1768).

    Konzert „Sufi Sounds and Dance“ und öffentlicher Vortrag

    Ein öffentliches Konzert mit Sufi-Musik und tanzendem Derwisch des Berliner Sufi-Ensembles Rabbaniyya ergänzt die Tagung. Die kostenlose Veranstaltung am 7. Dezember um 20.00 Uhr in der Petrikirche ermöglicht es allen Interessierten, die sinnlichen Seiten der Mystik zu erleben. „Viele Männer und Frauen, die heute als Mystiker bekannt sind, komponierten eindrucksvolle Verse, einige absorbierten ihren Geist in Kalligraphie, einige waren inspirierte Maler und Malerinnen, andere suchten Selbsttranszendenz in Musik und Tanz“, so Prof. Wilke. „Musik ist ein besonders geeignetes Mittel, Verschmelzung herbeizuführen, und wurde deshalb bewusst als Technik der Kontemplation, Ekstase und Einstimmung in das Göttliche eingesetzt.“

    In einem öffentlichen Vortrag über die Mystik-Ausstellung im Rietberg-Museum in Zürich illustriert Museumsdirektor Albert Lutz, wie dort die herausfordernde Frage „Wie lässt sich Mystik überhaupt ausstellen?“ gelöst wurde. Der Vortrag „Exhibiting Mysticism? Review of the Mysticism Exhibition in the Rietberg Museum Zurich, 2011-12” ist am 5. Dezember um 19.00 Uhr im Liudgerhaus, Überwasserkirchplatz 3, zu hören.

    Transfers zwischen Asien und Europa

    Die Tagung „Constructions of Mysticism“ bringt internationale Experten mit dem Ziel zusammen, die Konzeptualisierung der Mystik als universale, transkulturelle Kategorie erstmals in interdisziplinärer Breite aufzuarbeiten. Sie widmet sich der Reflexion der Forschungsgeschichte und der Wiederentdeckung der Mystik im 20. Jahrhundert. Die Konferenz geht auch der Frage nach, wie ein europäischer und stark christlich gefüllter Mystik-Begriff auf außereuropäische Kulturen übertragen wurde und dabei auch neue Bedeutungen und veränderte lebenspraktische Funktionen annahm. Dabei werden Transfers zwischen Asien und Europa in den Blick genommen.

    Der Bochumer Forscher Prof. Dr. Volkhard Krech etwa fragt mit Blick auf den Mystik-Begriff „Just Another Invention oft Western Intellectuals?“ (Nur eine weitere Erfindung westlicher Intellektueller?). Der orthodoxe Theologe Prof. Dr. Assaad Kattan vom Exzellenzcluster legt Mystik-Konstruktionen in der Orthodoxie des 20. Jahrhunderts dar. Der Wiener Religionswissenschaftler Prof. Dr. Karl Baier untersucht das „Psychodelic Movement“ der 1960er Jahre, das wegen des Drogenkonsums Aufsehen erregte. Die Kölner Theologin Prof. Dr. Saskia Wendel befasst sich mit Mystik-Konzepten von Frauen. Der rumänische Philosoph Dr. Liviu Bordas zeigt Yoga-Konzepte des Religionswissenschaftlers Mircea Eliade. Zu Wort kommen auch Altphilologen, Judaisten, Philosophen und Islamwissenschaftler.

    Veranstalterinnen der Tagung sind Prof. Dr. Annette Wilke, die am Cluster das Projekt C2-20 „Globaler Hinduismus – Die Chinmaya Mission in Indien und weltweit“ leitet, und Judaistin Prof. Dr. Regina Grundmann, die das Projekt C2-22 „Traditionstransfer im Yalqut Shimoni und Midrash ha-Gadol“ leitet, außerdem die Koordinierte Projektgruppe „Transfer zwischen Weltreligionen: Aneignung – Transformation – Abgrenzung“. (vvm)


    Weitere Informationen:

    http://www.uni-muenster.de/Religion-und-Politik/aktuelles/2013/nov/PM_Viele_mach...


    Bilder

    Religionswissenschaftlerin Prof. Dr. Annette Wilke
    Religionswissenschaftlerin Prof. Dr. Annette Wilke

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    Anhang
    attachment icon Programm der Tagung „Constructions of Mysticism“

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, Studierende, Wissenschaftler, jedermann
    Geschichte / Archäologie, Gesellschaft, Musik / Theater, Religion
    überregional
    Wissenschaftliche Tagungen
    Deutsch


     

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