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Menschen mit einer Posttraumatischen Belastungsstörung können Erinnerungen an negative Ereignisse nicht entgehen. Jetzt haben Wissenschaftler um die Ulmer Psychologieprofessorin Iris-Tatjana Kolassa erstmals einen Zusammenhang zwischen bestimmten Genen und einem überdurchschnittlichen Gedächtnis für traumatische Ereignisse gefunden. Diese Gene sind mögliche Angriffspunkte bei der medikamentösen Behandlung von Trauma-Patienten. Auf der Suche nach passenden, bereits zugelassenen Substanzen wurden die Forscher auf ein Antiallergikum aufmerksam.
Albträume, Nervosität und Flashbacks: Menschen mit einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) können Erinnerungen an schreckliche Erlebnisse wie Kriegsgeschehen oder körperliche Gewalt nicht entkommen. Untersuchungen haben gezeigt, dass ein ausgeprägtes emotionales Gedächtnis das Risiko erhöht, eine Angsterkrankung wie die PTBS zu entwickeln. Jetzt haben Wissenschaftler, darunter Professorin Iris-Tatjana Kolassa von der Uni Ulm, erstmals einen Zusammenhang zwischen bestimmten Genen und einer überdurchschnittlichen Erinnerungsgabe für belastende beziehungsweise traumatische Ereignisse gefunden. Diese Gene könnten Angriffspunkte bei der medikamentösen Therapie traumatisierter Patienten sein. Auf der Suche nach bereits zugelassenen Substanzen, die die Zielsysteme beeinflussen, stießen die Forscher auf das bekannte Antiallergikum „Diphenhydramin“. Ihre Ergebnisse haben die Autoren um Professor Andreas Papassotiropoulos und Professor Dominique de Quervain (Basel) in der Fachzeitschrift PNAS veröffentlicht.
Ein gutes emotionales Gedächtnis kann unter anderem dabei helfen, bereits erlebte Gefahren zu meiden. Es hat aber eine Kehrseite: Betroffene werden womöglich ein Leben lang von der Erinnerung an traumatische Erlebnisse gequält. Mithilfe verschiedener Untersuchungen haben sich deutsche und schweizerische Forscher auf die Suche nach den genetischen Grundlagen der Speicherung belastender Gedächtnisinhalte gemacht. Zunächst führten sie kognitive Tests mit rund 1800 gesunden Schweizern durch und ermittelten so ihre Fähigkeit, emotionale Erinnerungen abzuspeichern. Diese Ergebnisse wurden mit einer genetischen Untersuchung der Testpersonen (Genomweite Assoziationsstudie) in Zusammenhang gesetzt. So konnten die Forscher zwei „Gen-Sets“, also Gruppen funktionell verbundener Gene, identifizieren, die offenbar mit einem guten Gedächtnis für belastende beziehungsweise unangenehme Gedächtnisinhalte zusammenhängen. Eine Replikationsstudie bestätigte das Ergebnis: „Sowohl das ,Neuroactive ligand-receptor interaction gene set‘ als auch das ,long-term depression gene-set‘ konnten in beiden Stichproben als potentielle medikamentöse Angriffspunkte identifiziert werden“, präzisiert Iris-Tatjana Kolassa, Leiterin der Ulmer Abteilung für Klinische und Biologische Psychologie. Innerhalb dieser Sets fanden die Wissenschaftler 20 Gene, die mit einem „aversiven Gedächtnis“ in Verbindung standen.
In einem zweiten Schritt haben die Forscher nach Substanzen gesucht, die diese genetischen Zielsysteme beeinflussen können. Dabei kamen in der Schweiz bereits zugelassene Medikamente in Frage. Um den Kreis weiter einzuschränken, zogen die Wissenschaftler auch Proben von Überlebenden des ruandischen Genozids mit PTBS heran: Sie untersuchten, welche genetischen Zielsysteme mit erhöhter Wiedererlebenssymptomatik in Verbindung stehen und identifizierten schließlich den Histamin-1-Rezeptor.
Zur Wahl standen also Medikamente, die diesen Rezeptor beeinflussen – das sind Antipsychotika, die aber unerwünschte Nebenwirkungen haben, und Antihistaminika.
In einer so genannten pharmakologischen Interventionsstudie wurde dann die Auswirkung eines Antihistaminikums (Diphenhydramin), mit dem auch Allergien behandelt werden, auf die emotionale Gedächtnisbildung überprüft: 40 Personen erhielten entweder Diphenhydramin oder ein Placebo. Drei Stunden später wurde ihre Erinnerungsfähigkeit anhand von Bildern und Erzählungen geprüft. Mit überraschendem Ergebnis: Das Antihistaminikum reduzierte offenbar aversive Gedächtnisinhalte, neutrale oder positive Erinnerungen waren nicht betroffen. „Dieser Effekt war interessanterweise nur in der Gruppe mit erhöhter Schläfrigkeit nach Diphenhydramingabe zu finden, das heißt bei Personen, bei denen das Antihistaminikum zentral im Gehirn ankam und seine Wirkung entfaltete“, so Kolassa.
Aufgrund dieser Erkenntnisse könnten langfristig neue Medikamente zur Behandlung von Angsterkrankungen entwickelt werden. Weiterhin zeigten die Forscher, dass Genomweite Assoziationsstudien geeignet sind, um medikamentöse Ansätze für die Modulation von Gedächtnisinhalten zu finden. Ihre Arbeit ist von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und vom schweizerischen Nationalfonds finanziert worden.
Weitere Informationen: Iris-Tatjana Kolassa, Tel.: 0731/50-26590, iris.kolassa@uni-ulm.de
Andreas Papassotiropoulos, Christiane Gerhards, Angela Heck, Sandra Ackermann, Amanda Aerni, Nathalie Schicktanz, Bianca Auschra, Philippe Demougin, Eva Mumme, Thomas Elbert, Verena Ertl, Leo Gschwind, Edveena Hanser, Kim-Dung Huynh, Frank Jessen, Iris-Tatjana Kolassa, Annette Milnik, Paolo Paganetti, Klara Spalek, Christian Vogler, Andreas Muhs, Andrea Pfeifer, and Dominique J.-F. de Quervain: Human genome–guided identification of memory-modulating drugs PNAS 2013 ; published ahead of print October 21, 2013, doi:10.1073/pnas.1314478110
http://www.pnas.org/content/early/2013/10/16/1314478110
Die Psychologieprofessorin Iris-Tatjana Kolassa forscht an der Universität Ulm
Foto: Uni Ulm
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Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Biologie, Medizin, Psychologie
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch
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