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Internationale Tagung zur Perkolationstheorie in Rauischholzhausen
Eine Infektionskrankheit breitet sich in der Bevölkerung aus, Erdöl sickert durch Gestein, Quittengelee wird im Marmeladenglas fest, ein Waldbrand breitet sich aus, ein Ei wird beim Kochen hart - was haben diese Prozesse gemeinsam? Sie lassen sich mit den Mitteln der sogenannten "Perkolationstheorie" mathematisch beschreiben. "Perkolation" heißt dabei soviel wie "Durchsickern". Prof. Dr. Armin Bunde vom Institut für Theoretische Physik der Universität Gießen richtet zu diesem Thema vom 14. bis 17. Juli eine internationale Konferenz Percolation and Disordered Systems auf Schloß Rauischholzhausen aus.
Prof. Bunde wählt zur Illustration die Kinderlähmung: Die Impfung gegen Kinderlähmung schützt nicht nur die Geimpften, sondern auch ungeimpfte Personen, solange es nicht zuviele von ihnen gibt. Tritt irgendwo eine Infektion mit Kinderlähmung auf, so ist die infizierte Person von genügend geimpften Personen umgeben, und die Infektionskette reißt nach kurzer Zeit ab. Je weniger Personen geimpft sind, desto länger werden die Infektionsketten. Unterhalb einer bestimmten Schwelle können sich Epidemien entwickeln, die durch die gesamte Bevölkerung gehen. Für Gesundheitsbehörden ist es äußerst wichtig zu wissen, wieviel Prozent einer Bevölkerung geimpft sein müssen, damit sich keine Epidemien ausbreiten können.
Das theoretische Modell für solche Prozesse kann man sich wie ein Netz vorstellen. Jeder Knoten stellt eine Person dar. Wird der Faden zwischen zwei Knoten durchschnitten, so kann sich die Infektion in diese Richtung nicht mehr ausbreiten. In das geordnete Gebilde Netz wird dann Unordnung gebracht, indem der Reihe nach für jede Bindung entschieden wird, ob sie durchtrennt werden soll. Das kann zum Beispiel per Würfeln geschehen - real oder per Computer -, indem bei bestimmten Würfelzahlen eine Bindung durchschnitten wird. Oberhalb einer bestimmten Wahrscheinlichkeitsschwelle bleibt kein durchgehender Netzfaden mehr übrig, das die gegenüberliegenden Ecken des Fischernetzes miteinander verbindet. Im Falle der Kinderlähmung wäre dann die Bevölkerung vor Epidemien geschützt.
So einfach dieses Modell ist, so leistungsfähig ist es in der Praxis. Die norwegische und britische Erdölindustrie arbeitet zum Beispiel mit der Perkolationstheorie, weil sie beschreibt, wie Erdöl durchs Gestein sickert. Das zweidimensionale Fischernetz wird dazu durch einen dreidimensionalen Schweizer Käse ersetzt, aus dem immer mehr Löcher ausgestanzt werden. Irgendwann ist der Käse derartig durchlöchert, das sich durchgehende Röhren ergeben, durch die das Erdöl fließen kann. An diesem Modell läßt sich untersuchen, mit welchen Mitteln möglichst viel Erdöl aus dem Gestein gefördert werden kann.
Umgekehrt gibt es Prozesse, bei denen Bindungen im Netz neu geknüpft werden. Bei der Kunststoffherstellung zum Beispiel polymerisieren viele kleine Moleküle zu einem Riesenmolekül. Nichts anderes geschieht in einem Ei, das beim Kochen hart wird, oder beim Abkühlen von Marmeladen und Gelees, in denen sich Pektin-Moleküle zu einem festen Netzwerk verbinden.
Während beim Marmeladekochen meistens die Erfahrung ausreicht, um ein befriedigendes Ergebnis zu erzielen, gelingt es den theoretischen Physikern, mit der Perkolationstheorie auch scheinbar widersinnige Phänomene zu klären. So hat Prof. Bunde mit ihrer Hilfe beschreiben können, warum in bestimmten elektrischen Leitern ausgerechnet durch die Zugabe eines Isolatormaterials die elektrische Leitfähigkeit zunimmt. Interessante Anwendungen gibt es zum Beispiel bei Supraleitern, die unterhalb einer bestimmten Temperatur elektrischen Strom völlig widerstandsfrei zu leiten vermögen.
Die Perkolationstheorie ist derartig leistungsfähig, daß sich nicht nur Physiker für die Konferenz in Rauischholzhausen angemeldet haben. Auch Biologen, Chemiker, Geologen und angewandte Mathematiker finden in der Perkolationstheorie ein mächtiges Werkzeug.
Kontaktadresse (nicht zur Veröffentlichung bestimmt):
Prof. Dr. Armin Bunde
Institut für Theoretische Physik
Heinrich-Buff-Ring 16
35392 Gießen
Telefon (0641) 99-33360
Fax (0641) 99-33369
e-mail: bunde@theo.physik.uni-giessen.de
http://www.uni-giessen.de/PERCOLATION98/
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Mathematik, Physik / Astronomie
überregional
Buntes aus der Wissenschaft, Forschungsprojekte, Wissenschaftliche Tagungen
Deutsch
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