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Zukunftsvisionen für die Soziale Arbeit – Etablierung der Professionalisierung der Sozialen Arbeit durch ihre Masterstudiengänge?
Unterstützt vom Förderkreis der Ernst-Abbe-Fachhochschule Jena e.V. hatten die Studentinnen des Masterstudiengangs Soziale Arbeit, Kristin Helbig, Lisa Schaffner und Anja Schrodt, im Rahmen eines Forschungs- und Entwicklungsprojektes, geleitet von Prof. Dr. Michael Opielka, verschiedene Akteure der Sozialen Arbeit (Studierende, Vertreter der Universität, Vertreter von Fachhochschulen, Vertreter der Praxis und politische Entscheidungsträger) am 17.1. 2014 an die Ernst-Abbe-Fachhochschule Jena eingeladen, gemeinsam Zukunftsvisionen für die Soziale Arbeit zu entwickeln und Veränderungsprozesse anzustoßen.
Die Professionalisierung der Sozialen Arbeit ist seit langem ein kontrovers diskutiertes Thema. In der Folge des Bologna-Prozesses stellten sich die Fragen: Inwiefern können Masterstudiengänge zur Professionalisierung der Sozialen Arbeit bereits jetzt und zukünftig beitragen? Welche Auswirkungen haben die neuen Masterstudiengänge auf die Soziale Arbeit als Profession und welche neuen Möglichkeiten ergeben sich für Fachhochschulen und Universitäten? Diese und andere Fragen wurden bei der Fachtagung in Form von Impuls-Referaten, Semi-Open-Space Gruppen und in einem abschließendem Podium diskutiert.
Prof. Dr. Gabriele Beibst, Rektorin der Ernst-Abbe-Fachhochschule Jena, begrüßte die rund 70 Gäste und nahm im Rahmen des Tagungsthemas Bezug auf die aktuelle Situation der Fachhochschule. Darauf folgte eine kurze Ansprache von Kristin Helbig, die stellvertretend für die Mitglieder des Forschungsteams die Grundidee des Fachtages präsentierte.
Anforderungen der Praxis an das Studium der Sozialen Arbeit
Michael Löher, Vorstand des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge, des Dachverbandes aller deutschen Wohlfahrtseinrichtungen, sprach über die Anforderungen der Praxis an das Studium der Sozialen Arbeit. Er verwies darauf, dass der Bachelor Soziale Arbeit zu einer generellen Berufsbefähigung beiträgt und eine thematische Spezialisierung auf Master-Ebene erfolgen sollte. Zudem schätzt er eine längere praktische Berufsphase als Voraussetzung für die Aufnahme eines Masterstudiums ein. Er fragte, wo außerhalb der Wissenschaft die Master der Sozialen Arbeit eingesetzt werden sollen und betont in diesem Zusammenhang, dass er eine höhere Vergütung durch einen höheren Abschluss, den Masterabschluss, für abwegig hält. Zusammenfassend formulierte er: „Damit die Master-Studiengänge ihren Bezug Soziale Arbeit nicht aus den Augen verlieren, sollten wissenschaftliche und für den Arbeitgeber verlässliche gemeinsame Standards für Master-Studiengänge der Sozialen Arbeit gesetzt werden.“
Professionalität – Umgang mit Handlungspausen
PD Dr. Georg Cleppien, Vertretungs-Professor für Sozialmanagement am Institut für Erziehungswissenschaften der Friedrich-Schiller-Universität Jena und Leiter des dortigen Master-Studiengangs, erläuterte in seinem Impuls-Referat den Zusammenhang von Professionalität und dem Umgang mit Handlungspausen. Dazu stellte er aus erziehungswissenschaftlicher Sicht den Bologna-Prozess ins Zentrum und brachte ihn in Verbindung mit drei Themen: Masterstudiengang, Professionalisierung und Soziale Nachhaltigkeit. Er rekonstruierte die Leitbilder des Bologna-Prozesses mit Blick auf das Lernverständnis und konstruierte ein Modell der Thematisierung organisatorischer Aspekte des Arbeitens. Zusammenfassend sprach er davon, dass Studierende mit einer generalistischen Orientierung zwar für den Arbeitsmarkt flexibilisiert, aber gleichzeitig nicht für eine Arbeitsaufgabe spezialisiert werden. Der Übergang zwischen Hochschule und Arbeitsmarkt muss gemeinsam gelöst werden. Am Ende stellte er die Frage danach, wie Studierende den Umgang mit Handlungs- und Eingriffspausen unter den Bedingungen eines straff koordinierten Lernprozesses lernen.
Master Soziale Arbeit in internationaler Perspektive
Als letzter Redner sprach Prof. Dr. Michael Opielka, Leiter des Master-Studiengangs Soziale Arbeit an der Ernst-Abbe-Fachhochschule Jena, über den Master Sozialer Arbeit in internationaler Perspektive. Dazu ging er unter anderem auf die Frage ein, ob eher generalisierte oder spezialisierte Master der Professionalisierung dienen und beantwortete sie neben dem Verweis auf Beispiele wie der Schweiz damit, dass spezialisierte und generalisierte Modelle in keinem ausschließlichen Verhältnis zueinander stehen. Außerdem betonte er die Wichtigkeit einer generalisierten Grundausbildung, also eines generalistischen Bachelors. In einer vorzeitigen Spezialisierung sah Professor Opielka eher eine Gefahr. Des Weiteren verwies er auf die Notwendigkeit von Praxiserfahrungen. Employability (Berufsfähigkeit) kann nicht per se an der Hochschule erworben werden, doch die Hochschule muss Habitusformation als akademische Bildung leisten. Er betonte weiterhin die Bedeutung der Promotion für die Entwicklung einer Profession. Im internationalen Vergleich ist Deutschland eines der wenigen Länder, in dem die Soziale Arbeit nur über Bezugsdisziplinen zur Promotion befähigt. Das sei eine problematische Reproduktionstechnik des eigenen wissenschaftlichen Nachwuchses. Professor Opielka unterstrich die politische und ethische Fundierung der Sozialen Arbeit durch internationale Standards. Abschließend formulierte er die Idee, dass Soziale Arbeit eine Koproduktionsdisziplin par Excellence ist, sie vernetzt soziale Akteure und Hilfeleistungen.
Semi-Open-Space
Nach den Impuls-Referaten folgte ein kurzer Input zum Thema Open-Space von Anja Schrodt, um auf die Semi-Open-Space Gruppenarbeit vorzubereiten. Die Open Space Methode ist ein Gruppenverfahren, in der die Selbstorganisation im Vordergrund steht. In der klassischen Variante werden mögliche Workshopthemen unmittelbar aus dem Plenum generiert und zur Diskussion gestellt, die Teilnehmer können zwischen den Gruppen wechseln. An der Ernst-Abbe-Fachhochschule Jena wurde bei mehreren Fachtagungen eine abgewandelte Form der Open Space Methode, die „Semi-Open-Space Methode“ entwickelt. Die Grundhaltung der Semi-Open-Space, kurz SOS, entspricht Ihrer ursprünglichen Form, die Themen, zu denen sich die Teilnehmer austauschen können, werden jedoch bereits im Vorfeld von Referenten vorbereitet. Auf dem Fachtag wurden sieben Semi-Open-Space Gruppen angeboten, die Moderation erfolgte durch Master-Studierende der Hochschule. Sie trugen auch die Manifestationen der SOS-Gruppen für das Podium zusammen.
PD Dr. Georg Cleppien, bereitete eine SOS-Gruppe zum Thema: „Master Studiengänge der FSU Jena“ vor. Zur Diskussion gestellt wurden dabei weniger Spezifika des FSU Masters als vielmehr grundlegende Verständnisfragen: Was sind Handlungskompetenzen? Was sind Forschungskompetenzen? Was bedeutet es zu studieren (Bildung oder Ausbildung)? Als Ergebnis der Gruppe wurde die These formuliert, dass der universitäre Master möglicherweise den Erwartungen der Studierenden wie denjenigen der Profession selbst entspricht.
Prof. Dr. Heike Ludwig, Professorin an der Ernst-Abbe-Fachhochschule Jena, thematisierte in Ihrer SOS-Gruppe die Frage, ob die Vielfalt der Curricula im Master der Sozialen Arbeit ein Vorteil sei. Dabei machte die Diskussion mit den Teilnehmern sowohl Vor- als auch Nachteile sichtbar. Vorteilhaft sei, dass die Komplexität der Sozialen Arbeit sichtbar gemacht wird, da Spezifika mit hohem Anforderungsprofil zunehmen und durch den Master abgedeckt werden können, die im Bachelor nicht ausreichend vermittelt werden. Für die Studierenden ergibt sich daraus eine breite Auswahlmöglichkeit an Studienangeboten. Als Nachteil wurden die erschwerte Anknüpfung an die Praxis und die Unübersichtlichkeit genannt, die die Gefahr in sich birgt als Profillosigkeit wahrgenommen zu werden.
Andreas Kotter, Referent der Paritätischen BuntStiftung Thüringen, sprach in seiner SOS-Gruppe über die Eindrücke eines Masterabsolventen. Kernelemente des Gruppengesprächs waren dabei die schwierige Einordnung der unterschiedlichen akademischen Abschlüsse innerhalb der Praxis, die Einordnung des Masters in den persönlichen Lebensweg, die unterschiedlichen Zugangsvoraussetzungen für das Masterstudium und die grundsätzliche Frage nach Generalisierung oder Spezialisierung.
Der Bundesvorsitzende des Deutschen Berufsverbandes für Soziale Arbeit (DBSH), Michael Leinenbach, und Tobias Zinser, Koordinator des Jungen DBSH, betrachteten in Ihrer SOS-Gruppe den Master im Spannungsfeld zwischen tariflichen Anforderungen und Erwartungen der Hochschule. Die Gruppe diskutierte nach welchen Kriterien - nach Abschluss oder nach Tätigkeitsmerkmalen - die Höhe der Bezahlung ausgerichtet sein sollte. Die Referenten stellten fest, dass die Erwartungen der Hochschulen nicht in den tariflichen Anforderungen verortet sind.
In der von Prof. Dr. Peter Schäfer, Sprecher des Fachbereichstages Soziale Arbeit und Professor an der Hochschule Niederrhein, impulsierten SOS-Gruppe betrachteten die Teilnehmer die Master im Hochschulvergleich und stellten dabei fest, dass die Vielfalt an Masterstudiengängen einerseits ein Gewinn sich, sich aber andererseits Unsicherheiten dahinter verbergen. In der Folge des Bologna-Prozesses bestehen noch Uneinigkeiten in den Akkreditierungsprozessen.
Zwei Doktoranden an der Ernst-Abbe-Fachhochschule Jena, Martin Staats und Theresa Hilse, leiteten eine SOS-Gruppe zum Thema: „Promotion als Professionalisierungschance in der Sozialen Arbeit aus Sicht von Doktoranden“. Aus den Diskussionen der Gruppe thematisierten sie neben Fragen zur Finanzierung, der persönlichen Ebene und dem Prozess der Promotion auch, dass der Masterstudiengang Soziale Arbeit an der EAH Jena nur begrenzt auf eine Promotion vorbereitet und diese nicht ausreichend bewirbt. Die Promotion wird als Professionalisierungschance für die Soziale Arbeit gesehen, da sie insbesondere für Führungspositionen, wissenschaftliche Nachwuchsbildung und auf der Verbandsebene und im Lobbying zur Professionalisierung beitrage.
Prof. Dr. Michael Opielka bot eine SOS-Gruppe zum Thema spezialisierte Masterstudiengänge an. Hier fanden Gespräche über Generalisierung und Spezialisierung und die Forderungen aus der Praxis statt. Dabei kam die Gruppe zum Ergebnis, dass die Etablierung von Finanzierungsstrukturen für eine Art „Fachkundenachweis“ der Sozialen Arbeit notwendig sei und dass zugleich individuelle Spezialisierungen durch Vertiefungen in generalisierten Masterstudiengängen denkbar sind.
Podiumsdiskussion
Zum Podium kamen prominente Vertreter von wesentlichen Akteuren im Feld der Sozialen Arbeit zusammen um die Ergebnisse der SOS-Gruppen und weitere grundlegende Fragen zum Professionalisierungsbeitrag der Master-Studiengänge zu diskutieren. Das Podium war besetzt mit M. Löher (Vorstand Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge e.V.), R. Müller (Landesgeschäftsführer Der Paritätische Thüringen), P. Schäfer (Vorsitzender Fachbereichstag Soziale Arbeit), M. Reinhardt (Ableitungsleiterin TSMFG), M. Leinenbach (Bundesvorsitzender DBSH), G. Cleppien (FSU Jena) und M. Opielka (EAH Jena). In der zweistündigen Podiumsdiskussion wurden unterschiedliche Facetten der Professionsentwicklung durch die Master-Studiengänge diskutiert. So ging es um die Notwendigkeit von Praxiserfahrung, das Berufseinstiegsalter nach dem Bachelorstudium, die tariflichen Spannungen durch Kompetenzeinstufungen im TVÖD, die Festlegung eines Kernclusters in der Ausbildung und die Vor- und Nachteile einer Promotion. Von den Referenten der Podiumsdiskussion wurden unterschiedliche Standpunkte und offene Fragen resümiert. M. Löher (Vorstand Deutscher Verein) merkte zum Einstieg in die Diskussion an, dass das föderalistische Prinzip der Ausbildungsstätten zu einer verwirrenden Ausbildungsstruktur führe. Dies habe zur Folge, dass die Praxis keine Gewissheit über erworbene Kompetenzen in einem Bachelor- oder Masterstudium hat. G. Cleppien (FSU Jena) betonte, dass der Qualitätsrahmen Soziale Arbeit zwar benötigte Kompetenzen definiere, aber die Umsetzung des individuellen Lernprozesses unklar bleibt. Ebenso seien im QR-Rahmen keine Umsetzungsstrukturen in der Praxis festgelegt, was eine Veränderung oder Neuorientierung in der Praxis erschwert.
Von P. Schäfer (Fachbereichstag) wurde darauf verwiesen, dass reflektierte Praxiszeiten im Rahmen der Ausbildung intensiviert werden müssen um qualifiziert in das Berufsleben einzusteigen. Zudem machte er deutlich, dass die Frage nach der Profession in der Sozialen Arbeit längst beantwortet sei. Er entstanden grundlegenden Fragen nach den Folgen der Professionalisierung durch die BA/MA Struktur: Welche tariflichen Konsequenzen bringt das mit sich? Welche Aufgabenbereiche werden für Bachelor, welche für Master vorgesehen? Dies bedürfe einer Definition, um den Studierenden eine Grundlage für realistische Entscheidungen zu bieten. M. Reinhardt, Abteilungsleiterin im Thüringer Sozialministerium und Leiterin des Landesjugendamtes, wies darauf hin, dass das lebenslange Lernen auch im beruflichen Alltag nicht stagnieren sollte. Durch Fort- und Weiterbildungen sind Chancen für eine persönliche und berufliche Weiterentwicklungen und höhere Qualifizierungen gegeben. Das kann auch für Berufseinsteiger mit einer grundständigen Ausbildung als Qualifizierungsangebot angesehen werden.
Das Schlusswort von M. Opielka (EAH Jena) erinnerte daran, dass die Profession Soziale Arbeit eine Etablierung erfahren hat. Die Angehörigen dieser Profession müssen sich, wie andere Berufsgruppen auch, mit strukturrelevanten Fragen (Inhalt und Qualität der Ausbildung, Tarifeinordnungen) befassen. Letztendlich ist die Bachelor- und Masterausbildung ein Gewinn an Möglichkeiten der individuellen Professionalisierung: „Master leisten einen Beitrag zur Professionalisierung im Sinne einer Normalisierung der Professionalisierung“.
Informationen:
http://zukunftsvisionen-sw.cms.fh-jena.de/fachtag-zukunftsvisionen-fuer-die-sozi...
Kristin Helbig, Anja Schrodt
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Lehrer/Schüler, Studierende, Wirtschaftsvertreter, Wissenschaftler, jedermann
Gesellschaft, Pädagogik / Bildung, Wirtschaft
überregional
Forschungs- / Wissenstransfer, Studium und Lehre
Deutsch
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