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20.07.1998 00:00

Wie die deutschen Politikwissenschaftler ihr Dasein als Flüchtlinge erlebten

Dipl.-Ing. Mario Steinebach Pressestelle und Crossmedia-Redaktion
Technische Universität Chemnitz

    Alfons Söllner, Professor für Politische Theorie an der Chemnitzer Universität, ein anerkannter Fachmann auf dem Gebiet der Emigrationsforschung, betrachtete die Leidens- und Wirkungsgeschichte von 64 Wissenschaftlern näher ( zumeist von Dozenten von Universitäten, Rechtsanwälten, Beamten und Journalisten), die das faschistische Deutschland 1933 und später verließen.

    Emigration als wissenschaftliche Herausforderung
    Wie die deutschen Politikwissenschaftler ihr Dasein als Flüchtlinge erlebten

    Als Hitler 1933 an die Macht kam, hielt es viele Menschen nicht mehr in Deutschland: Zehntausende flüchteten vor der Herrschaft der Nazis ins Ausland. Unter ihnen waren zahlreiche namhafte Wissenschaftler und sogar Nobelpreisträger. Anders, als man noch in den sechziger Jahren annahm, waren es keineswegs nur Linke, die Deutschland den Rücken kehrten, sondern auch zahlreiche Konservative. Der Anteil deutscher Juden machte unter den Flüchtlingen mehr als neunzig Prozent aus, unter den emigrierten Wissenschaftlern weniger.

    Hatte damit die deutsche Wissenschaft ihre besten Leute verloren? Alfons Söllner, Professor für Politische Theorie an der Chemnitzer Uni, bezweifelt dies. Zumindest für die emigrierten Politikwissenschaftler treffe es nicht zu, stellt er in einer kürzlich veröffentlichten Untersuchung fest. Viele der Emigranten seien erst im Ausland zu dem geworden, was sie später waren.

    Prof. Söllner, ein anerkannter Fachmann auf dem Gebiet der Emigrationsforschung, betrachtete die Leidens- und Wirkungsgeschichte von 64 Wissenschaftlern näher, zumeist von Dozenten von Universitäten, Rechtsanwälte, Beamte und Journalisten. Unter ihnen waren so bekannte Namen wie Hannah Arendt, die Schülerin Martin Heideggers, Heinrich Brüning, von 1930 bis 1932 deutscher Reichskanzler, und Herbert Marcuse, der später zur Galionsfigur der 68er Studentenbewegung werden sollte. Sie alle hatten das faschistische Deutschland aus rassischen oder politischen Gründen verlassen müssen. Die Hälfte von ihnen flüchteten bereits 1933, meist in die USA. Dort arbeiteten die Wissenschaftler an Universitäten wie etwa in Harvard und Princeton. Oder aber sie forschten an amerikanischen Instituten. Deutsche Wissenschaftler beeinflußten so die amerikanische Politikwissenschaft.

    Für die Einwanderer war es anfangs nicht immer leicht, sich in Amerika anzupassen. Alles war fremd. Und oft wurden sie auch nicht mit offenen Armen empfangen. Man betrachtete sie eher mißtrauisch, sah sie gar als feindliche Ausländer an. Kein Wunder, daß mancher unter ihnen den Arbeitsplatz sechs-, sieben-, oder gar achtmal wechselte.

    Die meisten Flüchtlinge waren in Deutschland Staatsrechtler, Volkswirtschaftler oder Philosophen gewesen - ein eigenständiges Fach Politikwissenschaft gab es in der Weimarer Republik noch nicht. Zwar zeigte die Berliner Hochschule für Politik erste Ansätze dazu, doch wurde sie nicht als Universität anerkannt. Dagegen konnte man in den USA bereits vor dem Zweiten Weltkrieg Politik studieren. Auf diesem Gebiet waren sie damals weltweit führend. Die deutschen Emigranten beschäftigten sich an den US-Unis vor allem mit der Analyse des Nationalsozialismus und anderer totalitärer Systeme, aber auch mit der internationalen Politik. Nachdem die USA in den Zweiten Weltkrieg eingetreten waren, brauchte die Regierung Leute, die sich mit Deutschland auskannten. Niemand eignete sich da besser als die Flüchtlinge. Einige arbeiteten beim Geheimdienst, andere versuchten später bei der Besatzungspolitik der USA mitzureden, stießen dabei jedoch oft auf taube Ohren.

    Nach Ende des Krieges kehrte rund ein Drittel der Emigranten mit neuen Ideen nach Deutschland zurück. Ihre in den USA gesammelten Erfahrungen nutzten sie, um beim Aufbau des zerstörten Landes mitzuhelfen. So berieten sie etwa die Militärregierungen der Alliierten. Sie waren es auch, die die Politikwissenschaft als eigenständiges Fach an den deutschen Universitäten begründeten, so in Berlin, Freiburg und München. Die der Rückkehrer übernahmen oft die neu eingerichteten Lehrstühle. Durch die von ihnen geleistete Arbeit, so Prof. Söllner, verbinden sie die Weimarer Republik mit der Bundesrepublik. Gleichzeitig verknüpften sie alte mit neuen Ideen auf dem Gebiet der Politikwissenschaft.

    Wer sich näher für das Thema interessiert, sei auf Prof. Söllners Buch "Deutsche Politikwissenschaftler in der Emigration" verwiesen. Es hat 356 Seiten und ist im Westdeutschen Verlag, Opladen, erschienen und kostet 54 Mark.

    (Autorin: Ivonne Seifert, Praktikantin in der Pressestelle der TU Chemnitz)

    Weitere Informationen: Technische Universität Chemnitz, Philosophische Fakultät, Professur Politikwissenschaft I, Prof. Dr. Alfons Söllner, Tel. (03 71) 5 31-84 04, Fax (03 71) 5 31-40 92, E-mail: regina.henkel.@phil.tu-chemnitz.de


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Geschichte / Archäologie, Gesellschaft, Politik, Recht
    überregional
    Forschungsprojekte, Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

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