idw – Informationsdienst Wissenschaft

Nachrichten, Termine, Experten

Grafik: idw-Logo
Grafik: idw-Logo

idw - Informationsdienst
Wissenschaft

Science Video Project
idw-Abo

idw-News App:

AppStore

Google Play Store



Instanz:
Teilen: 
14.01.2003 12:20

Spuren kultischer Mahlzeiten und kostbare Grabbeigaben

Michael Seifert Hochschulkommunikation
Eberhard Karls Universität Tübingen

    Tübinger Altorientalisten berichten über Ausgrabungen aus den Königsgrüften von Qatna

    Das Ausgrabungsteam vom Altorientalischen Seminar der Universität Tübingen unter der Leitung von Prof. Dr. Peter Pfälzner (örtliche Leitung Dr. Mirko Novák) hat in Zusammenarbeit mit der Syrischen Antikendirektion unter der Leitung von Dr. Michel Maqdissi die am 10. November 2002 entdeckten Königsgrüfte von Qatna in dem Zeitraum zwischen dem 23. November und dem 20. Dezember 2002 vollständig freigelegt, dokumentiert und alle Funde geborgen. Über die Funde berichteten die Forscher heute, am 14. Januar 2003, bei einer Pressekonferenz. Die vierwöchigen Arbeiten in den vier unterirdischen Felskammern standen unter der Leitung von Heike Dohmann-Pfälzner, Tübingen, und Dr. Antoine Suleiman, Damaskus. Insgesamt wurden in den Grüften ungefähr 1900 Einzelobjekte geborgen, die in ihrer Gesamtheit den syrischen Museen übergeben wurden. Die Arbeiten wurden am 21. und 22. Dezember mit der Einlieferung der Funde in die Museen von Damaskus und Homs zum Abschluss gebracht.

    Die einzigartige Anlage und Ausstattung der Grabkammern aus der Zeit um 1400 v. Chr. stellen ein Novum innerhalb der Archäologie des Alten Orients dar und liefern auf diese Weise überraschende neue Einsichten in den Totenkult altorientalischer Kulturen. Zum ersten Mal lassen sich an Hand dieses Fundes die Bestattungspraktiken von altsyrischen Königen, deren Totenpflege und die damit verbundenen Kulthandlungen in ihrer tatsächlichen, praktischen Ausprägung nachvollziehen. Die Gruftanlagen liefern unter anderem erstmals den eindeutigen Nachweis für die - in der Geschichtsforschung lange Zeit umstrittene - Praktizierung von gemeinsamen kultischen Mahlzeiten zwischen Verstorbenen und Lebenden innerhalb der Grabkammern. Als Gesamtkomplex veranschaulichen die königlichen Grüfte von Qatna auf sehr eindringliche Weise die Konzeptionen der Unterwelt und des Lebens nach dem Tode in den altsyrischen Königtümern.

    Die vier unterirdischen Kammern der Gruftanlage sind aus dem Fels herausgeschlagen und liegen (mit ihren Fußboden) circa 12 Meter unter der Oberfläche des Ruinengeländes der ehemaligen Palastanlage von Qatna. Sie waren allesamt unverschüttet, nur von der Felsdecke herabgefallene Steine bedeckten einen Teil des Grabinventars. Zugänglich waren die Felskammern über einen fünf Meter tiefen Vorraum, der mit zwei Königsstatuen ausgestattet und als Ahnenkultraum benutzt war. Der Eingang von hier aus in die erste Felskammer war mit aus dem Palast herabgefallenem Schutt blockiert, war aber ehemals unverschlossen, was zu erkennen gibt, dass die Grüfte früher betretbar waren. Die rechteckige Hauptkammer besaß das Maß von annähernd 7 x 5 Metern und eine lichte Höhe von über zwei Metern. Von hier aus war auf drei Seiten jeweils eine Nebenkammer erreichbar, die durch offene, aus dem Fels herausgeschlagene Türdurchgänge erreichbar waren. Dadurch ergab sich eine kleeblattartige Anordnung der seitlichen Felskammern. Die Wände dieser Kammern waren unverputzt und gaben auf diese Weise den rohen Eindruck einer unterirdischen Felshöhle wieder, die nur durch Fackeln beleuchtet werden konnte, wovon die teilweise rußgeschwärzten Wände und Decken noch zeugen.
    In allen vier Kammern wurden große Mengen von Objekten angetroffen, die sowohl Grabbeigaben als auch Reste von kultischen Handlungen darstellen. Die Gruftanlage scheint über einen langen Zeitraum - vielleicht über mehrere Jahrhunderte - benutzt worden zu sein. Überreste von vielen unterschiedlichen Skeletten fanden sich in den verschiedenen Kammern. Sie ist somit als dynastische Grabanlage des Königshauses von Qatna zu bezeichnen. Die beiden Sarkophage aus Basalt enthielten - neben Keramik-, Alabaster-, Silber- und Goldgefäßen - Knochen von jeweils mehreren Verstorbenen, die offensichtlich nacheinander bestattet worden sind. Dies ist sicher auch der Grund, warum die Sarkophage nicht mit Deckeln versehen waren - es handelte sich um mehrmals benutzbare Sarkophage. Durch die wiederholten Bestattungen lässt sich auch die Vielzahl der Objekte in den Kammern und die auffällige Unordnung innerhalb jeder Kammer erklären. Demgegenüber liegen keine Anzeichen dafür vor, dass die Hethiter die königliche Gruftanlage bei der Eroberung, Zerstörung und Plünderung Qatnas um 1340 v. Chr. verwüstet oder geplündert hätten. Die meisten Gegenstände lagen so, wie sie bei der letzten in den Grüften abgehaltenen Kulthandlung vor der Zerstörung Qatnas benutzt und liegen gelassen worden sein mögen. Die ansonsten gründlich vorgehenden hethitischen Eroberer scheinen die tief unter dem Palast von Qatna verborgenen Felskammern - glücklicherweise für die Forschung - übersehen zu haben.

    In der Hauptkammer laufen auf zwei Seiten Bänke aus Stein, bestehend aus Kalksteinplatten und Stützbasen aus Basalt, um. Sie dienten mehreren Zwecken: Darauf waren Gefäße aus Keramik abgestellt, die Nahrungsmittel aufnehmen konnten. Außerdem dienten die Bänke zum Sitzen, zum Beispiel aus Anlass von kultischen Mahlzeiten der Lebenden mit den Verstorbenen. Unter den Bänken fanden sich achtlos fallen gelassene Essensreste in Form von Tierknochen. Die (nicht mehr erhaltenen, aber in späteren chemischen Analysen von Bodenresten zu ermittelnden) Nahrungsmittel in den Gefäßen konnten als Speiseopfer an die Verstorbenen oder als Bestandteile der tatsächlichen kultischen Mahlzeiten dienen.

    Auf dem Boden der Hauptkammer ließen sich Reste von mehreren Holzbahren nachweisen, deren vergangenes Holzmaterial als pulvrige braune Ablagerung deutlich nachweisbar war. Darauf fanden sich einzelne menschliche Knochen, die Reste von Bestattungen, sowie eine Vielzahl von Schmuckgegenständen. Dazu gehören Hunderte von goldenen Perlen unterschiedlichster Form, zum Teil mit feinen Granulationen versehen oder mit Edelsteinen eingelegt. Außerdem runde oder rechteckige Schmuckplaketten aus Gold, auf denen Bilder mit figürlichen Szenen in Relieftechnik aufgebracht sind. Die Bilder zeigen Greifen, Götter, Tiere und das Lebensbaummotiv. Von besonderem Interesse ist eine leicht unterlebensgroße, sehr naturalistische, aus Gold geformte menschliche Hand, die als "Libationsarm" zur Darreichung von Speise- oder Trankopfern in kultischen Zeremonien diente. Ein Köcher aus Gold, der noch zahlreiche bronzene Speerspitzen enthielt, war auf der Außenseite mit figürlichen Reliefs in drei Friesen dekoriert, die Kämpfe zwischen Menschen und Tieren darstellen. Ein kleiner, sehr fein und naturalistisch aus Elfenbein gearbeiteter Löwenkopf besaß die Form einer mit einem Deckel verschließbaren Dose und war wahrscheinlich als Öl- oder Parfümdose benutzbar. Diese Gegenstände stellen Kunstwerke höchster Qualität aus der Mitte des zweiten Jahrtausends vor Christus dar und eröffnen einen neuen Blick auf die Kunst Altsyriens aus einem bisher nahezu unbekannten Kunstzentrum.

    Die Auswertung der Funde wird sicherlich noch Jahre andauern. Dazu gehören neben religionsgeschichtlichen Analysen und kunstgeschichtlichen Betrachtungen auch naturwissenschaftliche Analysen, wie zum Beispiel eine genaue Untersuchung der menschlichen Knochenreste im Hinblick auf soziale, pathologische und genetische Fragen, sowie die Analyse der Tierknochenreste und der botanischen Reste in den Gruftanlagen. Damit kann zum ersten Mal in der Geschichte der Vorderasiatischen Archäologie eine präzise, detaillierte Rekonstruktion der Ausstattung und der ehemaligen Aktivitäten in einer altorientalischen Königsgruft ermöglicht werden.

    Nähere Informationen:
    Prof. Peter Pfälzner, Altorientalisches Seminar, Schloss, 72070 Tübingen, Tel. 0 70 71/2 97 67 71

    Im Internet: http://www.uni-tuebingen.de/uni/qvo/pm/pm603.html
    Unter dieser Adresse sind auch Bilder zu finden.


    Bilder

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Geschichte / Archäologie, Kunst / Design, Musik / Theater
    überregional
    Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

    Hilfe

    Die Suche / Erweiterte Suche im idw-Archiv
    Verknüpfungen

    Sie können Suchbegriffe mit und, oder und / oder nicht verknüpfen, z. B. Philo nicht logie.

    Klammern

    Verknüpfungen können Sie mit Klammern voneinander trennen, z. B. (Philo nicht logie) oder (Psycho und logie).

    Wortgruppen

    Zusammenhängende Worte werden als Wortgruppe gesucht, wenn Sie sie in Anführungsstriche setzen, z. B. „Bundesrepublik Deutschland“.

    Auswahlkriterien

    Die Erweiterte Suche können Sie auch nutzen, ohne Suchbegriffe einzugeben. Sie orientiert sich dann an den Kriterien, die Sie ausgewählt haben (z. B. nach dem Land oder dem Sachgebiet).

    Haben Sie in einer Kategorie kein Kriterium ausgewählt, wird die gesamte Kategorie durchsucht (z.B. alle Sachgebiete oder alle Länder).