idw – Informationsdienst Wissenschaft

Nachrichten, Termine, Experten

Grafik: idw-Logo
Grafik: idw-Logo

idw - Informationsdienst
Wissenschaft

Science Video Project
idw-Abo

idw-News App:

AppStore

Google Play Store



Instanz:
Teilen: 
22.05.2014 10:34

Sehen ist eine Sache der Erfahrung

Dr. Ute Schönfelder Stabsstelle Kommunikation/Pressestelle
Friedrich-Schiller-Universität Jena

    Neurowissenschaftler der Uni Jena entdecken Anpassungsmechanismus des Gehirns bei der Wahrnehmung von Buchstaben

    Die Scheinwerfer – zwei Augen, der Kühlergrill – ein lächelnder Mund: So mancher Autofront gibt unser Gehirn bei genauer Betrachtung ein Gesicht. Auch in anderen Objekten, ob Gebäudefassaden, Bäumen oder Steinen, lässt sich oftmals ein „menschliches Antlitz“ erkennen. Den Grund dafür kennt Prof. Dr. Gyula Kovács von der Friedrich-Schiller-Universität Jena. „Gesichter haben für uns Menschen eine immens große Bedeutung“, erläutert der Neurowissenschaftler. Daher habe sich im Laufe der Evolution unsere visuelle Wahrnehmung auf das Erkennen von Gesichtern besonders spezialisiert. „Das führt dann häufig soweit, dass wir Gesichter auch dort erkennen, wo es gar keine gibt.“

    Bislang gingen die Forscher davon aus, dass es sich bei diesem Phänomen um eine gesichtsspezifische Ausnahme handelt. Wie Prof. Kovács und seine Kollegin Mareike Grotheer in einer aktuellen Studie jedoch zeigen konnten, funktioniert dieser ausgeprägte Anpassungsmechanismus nicht nur beim Erkennen von Gesichtern. In der Fachzeitschrift „The Journal of Neuroscience“ haben die Jenaer Forscher erstmals einen solchen Effekt für das Erkennen von Buchstaben nachgewiesen (DOI: 10.1523/JNEUROSCI.5326-13.2014).

    Die Grundlage dafür ist die Plastizität des Gehirns, durch die wir in der Lage sind, uns an Umweltreize anzupassen. „Je häufiger wir einem bestimmten Reiz ausgesetzt sind, umso schneller nehmen wir ihn wahr“, erläutert Mareike Grotheer, Doktorandin in Kovács Team. Dieser „Trainingseffekt“ lasse sich im Gehirn direkt messen. Wie Magnetresonanzaufnahmen zeigen, führen Umweltreize, an die das Gehirn bereits angepasst ist, zu deutlich geringeren Reaktionen in den verarbeitenden Arealen. „Das mag zunächst paradox klingen, bedeutet aber nichts anderes, als dass das Gehirn mit geringerem Energieaufwand zum gleichen Ergebnis kommt“, macht Kovács deutlich.

    Dieser Anpassungsmechanismus ist immer dann besonders ausgeprägt, wenn es sich um Situationen handelt, in denen wir ganz bestimmte Reize erwarten. „Unsere bisherige Erfahrung moduliert unsere Sinneswahrnehmung ganz wesentlich“, unterstreicht Kovács. Auch beim Erkennen von Buchstaben spielt Erfahrung die entscheidende Rolle. Praktisch überall in unserer Umwelt treffen wir auf Buchstaben: in den Medien, im Straßenbild, auf Alltagsgegenständen.

    In ihrer StuSU/USdie haben die Forscher Probanden unterschiedliche Buchstabenreihen gezeigt und die beim Sehprozess entstandene Gehirnaktivität im Magnetresonanz-Tomographen aufgezeichnet. „Die Aufnahmen belegen deutlich, dass sich die Hirnaktivität im Verlauf der Messung an die visuelle Wahrnehmung der Buchstaben anpasst“, so Kovács. Allerdings nur, wenn es sich um korrekte lateinische Schriftzeichen handelt. In einer parallel laufenden Versuchsreihe mit verfremdeten Buchstaben konnten die Jenaer Wissenschaftler keine entsprechende Adaptation feststellen.

    Dies lege nahe, so resümiert Prof. Kovács, dass die Lese- und Schreiberfahrung der Testpersonen für diese Anpassung verantwortlich ist. Ob sich die Anpassungsfähigkeit des Gehirns für das Erkennen von Buchstaben gezielt trainieren lässt oder – wie bei der Wahrnehmung von Gesichtern – das Ergebnis evolutionärer Entwicklungsprozesse ist, müssten kommende Untersuchungen zeigen.

    Original-Publikation:
    Grotheer M, Kovács G. Repetition probability effects depend on prior experiences. The Journal of Neuroscience 2014 (DOI: 10.1523/JNEUROSCI.5326-13.2014)

    Kontakt:
    Prof. Dr. Gyula Kovács
    Institut für Psychologie der Friedrich-Schiller-Universität Jena
    Leutragraben 1, 07743 Jena
    Tel.: 03641 / 945936
    E-Mail: gyula.kovacs[at]uni-jena.de


    Weitere Informationen:

    http://www.uni-jena.de


    Bilder

    "Schmunzelnder" Traktor - aus so mancher Autofront macht das Gehirn ganz automatisch ein menschliches Gesicht.
    "Schmunzelnder" Traktor - aus so mancher Autofront macht das Gehirn ganz automatisch ein menschliche ...
    Foto: Jan-Peter Kasper/FSU
    None

    Der Neurowissenschaftler Prof. Dr. Gyula Kovács von der Uni Jena.
    Der Neurowissenschaftler Prof. Dr. Gyula Kovács von der Uni Jena.
    Foto: Jan-Peter Kasper/FSU
    None


    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, Wissenschaftler
    Biologie, Medizin, Psychologie
    überregional
    Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

    Hilfe

    Die Suche / Erweiterte Suche im idw-Archiv
    Verknüpfungen

    Sie können Suchbegriffe mit und, oder und / oder nicht verknüpfen, z. B. Philo nicht logie.

    Klammern

    Verknüpfungen können Sie mit Klammern voneinander trennen, z. B. (Philo nicht logie) oder (Psycho und logie).

    Wortgruppen

    Zusammenhängende Worte werden als Wortgruppe gesucht, wenn Sie sie in Anführungsstriche setzen, z. B. „Bundesrepublik Deutschland“.

    Auswahlkriterien

    Die Erweiterte Suche können Sie auch nutzen, ohne Suchbegriffe einzugeben. Sie orientiert sich dann an den Kriterien, die Sie ausgewählt haben (z. B. nach dem Land oder dem Sachgebiet).

    Haben Sie in einer Kategorie kein Kriterium ausgewählt, wird die gesamte Kategorie durchsucht (z.B. alle Sachgebiete oder alle Länder).