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Eine Studie aus dem Forschungszentrum Karlsruhe untersucht, was die neuen Telematik-Dienste zu einer nachhaltigen Verkehrsentwicklung beitragen können
Kann die Telematik - die Gesamtheit der in den letzten 10 Jahren aufgekommenen Informations- und Kommunikationssysteme - den Verkehrsteilnehmern wirklich helfen, schneller und stressfreier ans Ziel zu gelangen und zugleich die Umwelt mit weniger Abgasen zu belasten? Dieser Frage geht eine jetzt als Buch vorliegende Studie des Forschungszentrums Karlsruhe zum Verkehr in Ballungsräumen nach. Die Antwort der Wissenschaftler vom Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse ist ein Ja mit Einschränkungen: Sowohl individuelle als auch bestimmte kollektive Systeme sind durchaus geeignet, den Autoverkehr flüssiger und emissionsärmer zu machen. Doch fehlen in Deutschland infrastrukturelle Voraussetzungen und verkehrspolitische Vorgaben, um das Potenzial der neuen Technologien auszuschöpfen. Auch relativiert sich der Wert der Telematik im Vergleich mit einfachen organisatorischen Maßnahmen wie der Bildung von Fahrgemeinschaften.
Stauumgehung, Fahrzeitberechnung, satellitengestützter Notruf - individuelle wie kollektive Telematiksysteme bieten inzwischen eine ganze Menge. Doch was können sie wirklich, gemessen an den Zielen einer nachhaltigen Verkehrsentwicklung, nämlich Effizienz, Umweltverträglichkeit und sozialer Gerechtigkeit? Das Buch der Karlsruher Technikforscher zeigt differenziert die Lösungspotenziale der neuen Techniken auf und fragt zugleich nach den erforderlichen politischen Rahmenbedingungen. Anhand von Fallstudien, Simulationsrechnungen (am Beispiel des Ballungsraums München) und Technikübersichten entwickelt die im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung erstellte Studie Optionen für die mobile Gesellschaft der Zukunft.
Sowohl für den Verkehrsfluss wie für die Umwelt können die neuen Informations- und Kommunikationstechniken von Nutzen sein - die Ergebnisse der Fallstudien (USA, Schweiz, EU-Raum) machen dies deutlich. Vonnöten sind jedoch eine koordinierte, zielorientierte Einführung dieser Techniken und ein Ausbau der verkehrlichen bzw. der technischen Infrastruktur. Vorreiter waren hier bislang die USA. Dort werden Telematik-Projekte von den Behörden systematisch geplant und durchgeführt. Zugleich werden Steuerungsmöglichkeiten eingerichtet wie Regelungen für den aus Seiten- auf Hauptstraßen einmündenden Verkehr oder Fahrspuren für Fahrzeuge ab zwei Insassen. Staatliche Koordinierung, so betonen die Karlsruher Autoren, ist hier kein Dirigismus, sondern ermöglicht erst die Erschließung von Marktpotenzialen sowie die intelligente Verknüpfung von öffentlichem und Individualverkehr.
Für Deutschland erwarten die Wissenschaftler des Instituts für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse neue Ansätze zur Einführung von Telematik-Systemen, auch im Zuge neuer europäischer Initiativen. Gegenwärtig sind die Möglichkeiten der Telematik hierzulande nur ansatzweise ausgeschöpft - vor allem aufgrund fehlender oder einander widersprechender verkehrspolitischer Vorgaben. Dieser Zustand fördert den Einsatz individueller Dienste für den Einzelfahrer und hemmt die Einführung der in Ballungsräumen oft wirksameren kollektiven Leitsysteme. "Der technische Fortschritt in der Telematik allein reicht nicht aus", betont Projektleiter Prof. Dr. Günter Halbritter. "Gefordert sind integrierte, nachhaltigkeitsbewusste Konzepte und intensive Gestaltungsbemühungen von öffentlichen und privaten Partnern. Der öffentliche Personennahverkehr beispielsweise darf nicht zum 'Überlaufgefäß' degradiert werden."
Ein individuelles KFZ-Navigationssystem bringt seinem stolzen Besitzer Reisezeitvorteile von bis zu 10 Prozent, speziell in kritischen Phasen wie dem morgendlichen Berufsverkehr oder der Umgehung von Großstädten auf der Urlaubsreise. Die entsprechenden Emissionsminderungen liegen bei vergleichsweise bescheidenen 1 bis 4 Prozent - wer die "Schleichwege" kennt, fährt eben nicht unbedingt weniger. Auch relativiert sich der Wert der Telematik, verglichen mit einfachen organisatorischen Maßnahmen wie Fahrgemeinschaften, Car-Sharing oder einer Spreizung des Zeitfensters beim morgendlichen Berufsverkehr. Säßen zum Beispiel in jedem Auto zwei Personen statt einer, würde sich die Fahrzeit im Berufsverkehr um ein Drittel reduzieren; bei einem realistischeren Wert von durchschnittlich 1,4 Personen immer noch um ein Fünftel, einhergehend mit Emissionsminderungen von 20 bis 35 Prozent. Mit intelligenten Internet-Plattformen zur kurzfristigen Absprache und verbesserten Park-and-Ride-Systemen, über die man bereits im Auto informiert wird, verspricht die Verkehrstelematik freilich auch hier Verbesserungen.
Stichwort "Telematik"
"Telematik" ist ein aus "Telekommunikation" und "Informatik" gebildetes Kunstwort. Als "Verkehrstelematik" bezeichnet es die Anwendung von Informations- und Kommunikationstechniken (abgekürzt: IuK-Techniken) im Verkehr. IuK-Techniken basieren auf der Erfassung, Übermittlung, Verarbeitung und Nutzung verkehrsbezogener Informationen und resultieren in einer Vielzahl neuer Dienste, die den Verkehr der Zukunft und damit die Mobilität unserer Gesellschaft mit prägen werden. In den neunziger Jahren entwickelte sich die Telematik angesichts der stetig zunehmenden Verkehrsmenge zu einem verkehrsstrategischen Hoffnungsträger ersten Ranges. Auch die Industrie versprach sich - vor allem bei Navigationssystemen für den einzelnen PKW-Fahrer - ein immenses Marktpotenzial. Mittlerweile sind die Einschätzungen nüchterner und die Ansätze problembezogener.
Telematik-Dienste können sowohl zur bloßen Bereitstellung von Verkehrsinformationen als auch zur Verkehrslenkung verwendet werden. Bei der Lenkung des Verkehrs sind verschiedene Eingriffstiefen denkbar - von der informativen Lenkung (Stau-/Unfallmeldungen) über die empfehlende Lenkung (Empfehlungen zum Verkehrsverhalten, zur Routenwahl und zur Wahl des Verkehrsmittels) bis zur direktiven Lenkung (Ge- und Verbote im Sinne der StVO). Darüber hinaus können Telematik-Dienste neue Organisationsformen von Verkehr unterstützen, z. B. eine engere Vernetzung von öffentlichem Verkehr (ÖV) und Individualverkehr (IV) oder den "kooperativen Individualverkehr" im Sinne von logistisch optimierten Fahrgemeinschaften und Car-Sharing-Modellen. Insbesondere hier erwarten Experten einen wesentlichen Beitrag der Telematik zu einem Mehr an Effizienz und einem Rückgang der Emissionen.
Die Vielzahl der Telematiksysteme unterteilt sich in:
- Informationssysteme vor Fahrtantritt in IV und ÖV, sog. "pre-trip-info" (z. B. elektronische Fahrplanauskunft, grafische Darstellung der Verkehrssituation im Internet, kombinierte IV/ÖV-Routenplanung);
- kollektive Informationssysteme für den Straßenverkehr, sog. "on-trip-info" (z. B. Verkehrsnachrichten im Rundfunk, Wechselwegweiser, Stau-/Nebel-/Glatteiswarnanlagen);
- individuelle Informations- und Leitsysteme für den Straßenverkehr (z. B. Routenwahl per Navigationssystem, satellitengestützter Notruf, Hotel- oder Freizeit-Infos);
- Telematikdienste für den ÖV (z. B. Anzeigen an Haltestellen über verbleibende Wartezeiten, Infosäulen an Terminals oder in Fahrzeugen, Echtzeit-Infos der Bahn im Internet über Verspätungen);
- Telematiksysteme für den Wirtschaftsverkehr in Ballungsräumen;
- institutionelle Telematiksysteme für das verkehrsübergreifende Verkehrs- und Mobilitätsmanagement (z. B. Verkehrsinfozentralen, Verkehrsmanagementzentralen).
Das Forschungszentrum Karlsruhe ist Mitglied der Helmholtz-Gemeinschaft, die mit ihren 15 Forschungszentren und einem Jahresbudget von rund 2,1 Milliarden Euro die größte Wissenschaftsorganisation Deutschlands ist. Die insgesamt 24 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Helmholtz-Gemeinschaft forschen in den Bereichen Struktur der Materie, Erde und Umwelt, Verkehr und Weltraum, Gesundheit, Energie sowie Schlüsseltechnologien.
Justus Hartlieb 17. Februar 2003
Die Farbfotos senden wir Ihnen auf Wunsch gerne zu (Telefon 07247/82-2861).
Günter Halbritter et al.: Verkehr in Ballungsräumen. Mögliche Beiträge von Telematiktechniken und -d ...
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Mobilitätskrankheit Stau - planvoll eingesetzte Telematik-Systeme können helfen (Bildquelle: DLR).
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Merkmale dieser Pressemitteilung:
Biologie, Informationstechnik, Meer / Klima, Umwelt / Ökologie, Verkehr / Transport
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch
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