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Neues Mausmodell für Autismus: Verändertes Gen lässt Hirnbereich verkümmern und verursacht Verhaltensauffälligkeiten / Heidelberger Humangenetiker veröffentlichen in „Molecular Psychiatry“ / Besseres Verständnis kann Umgang mit Erkrankung erleichtern
Wie sich eine bestimmte Veränderung im Erbgut, die bei Menschen mit einer Form des Autismus gekoppelt ist, auf Hirnentwicklung und Verhalten auswirkt, haben Wissenschaftler der Abteilung Molekulare Humangenetik des Universitätsklinikums Heidelberg erstmals anhand eines neuen Mausmodells gezeigt. Im Gehirn der genetisch veränderten Mäuse wird – wie bei Menschen, die an einer bestimmten Form des Autismus erkrankt sind - das Protein FOXP1 nicht gebildet. In der Folge verkümmern nach der Geburt die Hirnstrukturen, die für die Wahrnehmung von besonderer Bedeutung sind. Die Mäuse zeigen zudem für Autismus typische Verhaltensauffälligkeiten. Mit Hilfe des neuen Mausmodells lassen sich nun die molekularen Mechanismen, in denen FOXP1 eine Rolle spielt, aufklären und die damit einhergehenden Veränderungen im Gehirn besser verstehen.
„Zwar sind solche Ergebnisse aus der Grundlagenforschung nicht unmittelbar für die Therapie nutzbar, trotzdem sind sie für die Betroffenen oder in diesem Fall für ihre Eltern und Angehörigen sehr wertvoll: Vielen ist es wichtig, die Erkrankung konkret zu benennen und verstehen zu können. Es kann ihnen den Umgang damit erleichtern“, sagt Professor Dr. Gudrun Rappold, Leiterin der Abteilung Molekulare Humangenetik am Universitätsklinikum Heidelberg und Seniorautorin des Artikels. Die Ergebnisse in Kooperation mit Privatdozentin Miriam Schneider, Institut für Psychopharmakologie am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim, Dr. Corentin Le Magueresse, Deutsches Krebsforschungszentrum (DKFZ), und Professor Dr. Hannah Monyer, Abteilung Klinische Neurobiologie am Universitätsklinikum Heidelberg und am DKFZ, wurden jetzt vorab online in der Fachzeitschrift „Molecular Psychiatry“ veröffentlicht.
Autismus ist eine angeborene Störung der Wahrnehmung und Informationsverarbeitung im Gehirn, die häufig mit verminderter, sehr selten auch überdurchschnittlicher Intelligenz und Spezialbegabungen wie einem fotografischen Gedächtnis einhergeht. Die Erkrankung ist u.a. gekennzeichnet durch eine eingeschränkte soziale Interaktion, zwanghaft wiederholte Verhaltensweisen sowie eine gestörte Sprachentwicklung. Darüber hinaus können sehr unterschiedliche weitere Störungen auftreten. „Wir kennen heute neben dem Defekt im FOXP1-Gen noch weitere Veränderungen im Erbgut, die Autismus verursachen oder das Risiko für eine solche Erkrankung erhöhen. Allerdings wissen wir bisher nur bei wenigen, wie sie sich auf die molekularen Abläufe in den Nervenzellen, die Gehirnentwicklung und das Verhalten auswirken“, so die renommierte Humangenetikerin.
Genveränderung beeinflusst Hirnstrukturen und Verhalten
So auch bei FOXP1: Bereits seit 2010 gab es deutliche Hinweise, dass Fehler im Bauplan für dieses Protein bei Autismus und geistiger Behinderung eine Rolle spielen. Doch welche Funktion übernimmt es im gesunden Gehirn, in welche Signalwege ist es eingebunden, mit welchen weiteren Proteinen interagiert es und welche Schäden verursacht sein Fehlen genau? Dank des neuen Mausmodells aus Heidelberg ist man nun etwas weiter: Die Forscher entdeckten, dass die Mäuse zunächst mit einem weitgehend normal entwickelten Gehirn zur Welt kommen. Im Verlauf der ersten Lebenswochen degeneriert das für Wahrnehmung und Verhalten wichtige Striatum. Auch in einer zentral gelegenen Hirnstruktur, dem Hippocampus, unverzichtbar für die Ausbildung von Langzeitgedächtnis und Erinnerung, treten mikroskopisch sichtbare Veränderungen auf, die außerdem Auswirkungen auf die Signalverarbeitung haben. So konnte nachgewiesen werden, dass sich in den betroffenen Nervenzellen die so genannte Erregungsleitung verändert, durch die Signale zwischen Nervenzellen weitergegeben werden.
Zusätzlich zum degenerierten Striatum sind bei den Mäusen benachbarte Hirnstrukturen, die Ventrikel, vergrößert. „Vergrößerte Ventrikel ließen sich auch bei Menschen mit einer FOXP1-Mutation nachweisen“, erklärt Dr. Claire Bacon, Mitarbeiterin der Abteilung Molekulare Humangenetik und Erstautorin der Publikation. Zudem lösen die Veränderungen Verhaltensauffälligkeiten aus, die mit den Symptomen bei autistischen Patienten vergleichbar sind: Die Mäuse nehmen kaum Notiz von ihren Artgenossen und versuchen auch nicht, mit diesen in Kontakt zu treten. Dazu kommen stereotype, zwanghaft wiederholte Verhaltensweisen, Hyperaktivität sowie ein gestörtes Nestbauverhalten.
Als nächstes wollen die Forscher untersuchen, in welchem Maß die Lautkommunikation der FOXP1-Mäuse (Mäuse verständigen sich über Laute im Ultraschallbereich) beeinträchtigt ist und ob es hier ebenfalls Parallelen zu den Störungen bei Patienten mit FOXP1-Mutation gibt. Darüber hinaus gilt es, die neu identifizierten Gene, auf die FOXP1 im Gehirn einwirkt, zu charakterisieren und herauszufinden, welche Signalketten und Reaktionswege unterbrochen sind. Auf diese Weise hoffen sie, Ansatzpunkte für eine spezifische Therapie zu finden. „Zuerst jedoch müssen wir verstehen, wie genau es zu den Veränderungen kommt, bevor Therapiekonzepte entwickelt werden können“, betont Rappold.
Literatur:
Brain-specific Foxp1 deletion impairs neuronal development and causes autistic-like behaviour. Bacon C, Schneider M, Le Magueresse C, Froehlich H, Sticht C, Gluch C, Monyer H, Rappold GA. Mol Psychiatry. 2014 Sep 30. doi:10.1038/mp.2014.116. [Epub ahead of print]
The distinct and overlapping phenotypic spectra of FOXP1 and FOXP2 in cognitive disorders. Bacon C, Rappold GA Hum Genet. 2012;131(11):1687-98.
Weitere Informationen im Internet:
Abteilung Molekulare Humangenetik:
http://www.klinikum.uni-heidelberg.de/Abt-Molekulare-Humangenetik.6096.0.html Internetseite der Selbsthilfegruppe Karl und Ann Whitney: www.rareconnect.org/en/community/foxp1/understand
Ansprechpartnerin:
Professor Dr. rer.nat. Gudrun A. Rappold
Abteilung Molekulare Humangengetik
Universitätsklinikum Heidelberg
Tel.: 06221 / 56 50 59
E-Mail: gudrun_rappold@med.uni-heidelberg.de
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