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Wissenschaft
Größte Gewichtszunahme im Vorschulalter
Jena.(21.08.98)"Viele Kinder essen ungesund, zu häufig und bewegen sich nicht genug." Zu dieser Erkenntnis kamen Dr. Katrin Kromeyer-Hauschild und ihre Kollegen vom Institut für Humangenetik und Anthropologie der Friedrich-Schiller-Universität, nachdem sie Körpermaße von über 2000 Schul- und Vorschulkindern Jenas ausgewertet hatte. Gegenüber 1975 wiegen die vier- bis fünfjährigen Kinder jetzt durchschnittlich zwei Kilogramm mehr. Der Body-mass-Index (BMI), ein Standardwert, der sich aus Körpergröße und Gewicht berechnet, stieg in den letzten zwanzig Jahren bei den Mädchen im Alter von 7 und 14 Jahren um durchschnittlich 0,6 kg/qm, bei den Jungen um 0,4 kg/qm.
Da es in Deutschland keine Normwerttabelle für die BMI-Entwicklung bei Kindern gibt, legte die Forscherin eine französische Tabelle zu Grunde. Danach ist auch der größte und damit kritischste BMI-Wert noch gestiegen. Das heißt, daß die Dicksten ihrer Altersklasse heute noch wesentlich dicker sind als diejenigen vor 20 Jahren.
Die Messungen an Schulkindern haben in Jena eine über einhundertjährige Tradition. Weltweit gilt diese anthropologische Datensammlung als die längste ihrer Art. Etwa alle zehn Jahre untersuchen Jenaer Anthropologen die Entwicklung von ca. 2000 Jenaer Schulkindern im Alter zwischen sieben und vierzehn. Sie messen u.a. Größe und Gewicht, Schulter- und Beckenbreite sowie die Hautfaltendicken der Oberarme, über der Hüfte und unter den Schulterblättern. Verglichen wurden die aktuellen Werte mit denen von 1975 und 1985. Während sich in den ersten zehn Jahren nur eine geringe Zunahme der Übergewichtigkeit zeigte, war der Sprung zum Jahr 1995 gravierend. Vor zwanzig Jahren zählten immerhin noch 88,2 Prozent der Mädchen zu den Normalgewichtigen. Heute sind es nur noch 79 Prozent. Nicht ganz so erschreckend ist die Zahl bei den Jungen.
Während 1975 noch 90,3 Prozent der Schulkinder normalgewichtig waren, sind es jetzt 84 Prozent. Dr. Kromeyer-Hauschild warnt besonders vor dem Trend ihrer Erhebungen. Die Werte selbst sind nur Momentaufnahmen, aber die Tendenz zur Übergewichtigkeit und Fettsucht steigt.
Die Ursachen sucht die Wissenschaftlerin auf mehreren Gebieten. Durch das größere Angebot an Nahrungs- und Genußmitteln sei nach 1989 auch der Zuckerverzehr gestiegen. Schon in Lebensmitteln, die gezielt für Kinder hergestellt würden, sei der Zuckeranteil zu hoch. Zuviel Computerspiele und Fernsehen, die Chipstüte in der Hand, sowie mangelnde Bewegung seien weitere Problemfaktoren, so die Forscherin. Generell würden sich Kinder heute zu wenig bewegen und mehr Zeit in der Wohnung und vor dem Bildschirm verbringen.
Zusammenhänge bestünden auch zwischen Übergewichtigkeit und sozialen Faktoren wie Schulbildung und berufliche Qualifikation der Eltern. Von 202 übergewichtigen Kindern stammen nur etwa ein Drittel aus Familien, deren Eltern eine höhere berufliche Qualifikation haben. Ein gestiegenes Gesundheitsbewußtsein durch die bessere Ausbildung sei hier wahrscheinlich, mutmaßt Kromeyer-Hauschild. "Eltern, die sozial besser abgesichert sind und sich eine größere Wohnung leisten können, haben auch weniger übergewichtige Kinder", erläutert die Anthropologin ihre Ergebnisse. Ein Umkehreffekt tritt erst in übermäßig gut situierten Familien ein, die häufig nur ein Kind haben. Oft sind die Mütter nicht berufstätig und verwöhnen ihren Nachwuchs zu sehr. Ein Ersatzverhalten könne bei Alleinerziehenden beobachtet werden, die zum Ausgleich einer unvollständigen Familie mehr Fürsorge in die Kinder investierten.
Kernpunkt dieser Zusammenhänge sei, daß Übergewichtigkeit durchaus soziale, ökonomische und sozialstrukturelle Ursachen hat und nicht allein auf den übermäßig reich gedeckten Tisch zurückgeführt werden kann. Ihre Studienergebnisse wird die Forscherin Ende August auf dem 11. Kongreß der Europäischen Anthropologischen Gesellschaft vorstellen.
Ansprechpartnerin:
Dr. Katrin Kromeyer-Hauschild, Tel. 03641/449379
e-mail: kkro@mti-n.uni-jena.de
Friedrich-Schiller-Universität
Referat Öffentlichkeitsarbeit
Fürstengraben 1
07743 Jena
Tel.: 03641/931031
Fax: 03641/931032
e-mail: h7wohi@sokrates.verwaltung.uni-jena.de
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Ernährung / Gesundheit / Pflege, Medizin
überregional
Forschungsprojekte
Deutsch
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