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Wissenschaft
"Justus-Liebig: Seine Zeit und unsere Zeit", der "Akademiker und streitbare Gelehrte", die "Chemischen Briefe" sowie "Liebig und Gießen - vom Außenseiter zum Ehrenbürger"
Zum Auftakt der so genannten "Liebig-Woche", in der die große Mehrzahl der Jubiläumsveranstaltungen aus Anlass des 200. Geburtstags von Justus Liebig in Gießen stattfinden, wurden Ende letzter Woche in der Alten UB (Bismarckstraße 37, Gießen) gleich drei Ausstellungen an der Justus-Liebig-Universität eröffnet:
- "Justus Liebig: Seine Zeit und unsere Zeit - Chemie, Landwirtschaft, Ernährung", die in der Alten UB (Bismarckstraße 37, 35390 Gießen) stattfindet,
- "Justus Liebig als Akademiker und streitbarer Gelehrter", die gleich gegenüber im Rektorzimmer (Hauptgebäude der Universität, Ludwigstraße 23) zu sehen ist, und
- "Die 'Chemischen Briefe' Justus Liebigs", die von der Universitätsbibliothek (Philosophikum I, Otto-Behaghel-Straße 8) organisiert wurde.
Die drei Ausstellungen sind in ihrer Konzeption aufeinander abgestimmt und weisen unterschiedliche Schwerpunkte aus dem Leben und Wirken des Mitbegründers der modernen Chemie aus, der von 1824 bis 1852 insgesamt 28 Jahre lang an der Universität Gießen lehrte und forschte. Die Ausstellungen sind jeweils bis zum 30. August 2003 in Gießen zu sehen. Dabei werden auch eine Reihe von außergewöhnlichen Leihgaben aus Privatbesitz gezeigt, die noch nie in der Öffentlichkeit zu sehen waren, wie beispielsweise eine Pastellzeichnung des jungen Liebig. Vom 15. Mai bis zum 22. Juni 2003 veranstaltet die Stadt Gießen im Ausstellungsraum des Oberhessischen Museums außerdem noch eine Ausstellung über "Liebig und Gießen - vom Außenseiter zum Ehrenbürger".
"Justus Liebig: Seine Zeit und unsere Zeit - Chemie, Landwirtschaft, Ernährung"
Bereits zu Beginn der Planung des Liebig-Jubiläums vor rund zwei Jahren gelang es der Universität Gießen, Dr. h.c. Jost Lemmerich, Berlin, als Berater für die Ausstellung "Justus Liebig: Seine Zeit und unsere Zeit - Chemie, Landwirtschaft, Ernährung" in der Alten UB zu gewinnen. An dem Konzept und dessen Umsetzung hat er einen ganz wesentlichen Anteil. Sein hervorragendes Gespür für und seine langjährige Erfahrung bei der Vermittlung von Wissenschaft und deren auch für Laien verständlichen Umsetzung und Darstellung hat sich bereits in zahlreichen äußerst erfolgreichen wissenschaftshistorischen Ausstellungen bewiesen. Die Ausstellung kam in dieser Form nur dank seiner Beratung in Zusammenarbeit mit zahlreichen Mitgliedern der Universität vor allen aus den Fachgebieten Chemie, Agrar- und Ernährungswissenschaften zustande. Die Justus-Liebig-Universität Gießen verleiht Dr. h.c. Jost Lemmerich für seine Verdienste um die Jubiläums-Ausstellung in Kürze die Liebig-Medaille, wie der Präsident der Universität, Prof. Dr. Stefan Hormuth bei der Ausstellungseröffnung mitteilte. Die Umsetzung eines Großteils der Ideen lag vor allem in den Händen von Dipl.-Designer Detlev Duske, Berlin, und seinen Mitarbeitern. Für die grafische Gestaltung der Texttafeln und Kataloge ist Wolfgang Polkowski, Gießen, verantwortlich, der bereits seit vielen Jahren mit der Justus-Liebig-Universität zusammenarbeitet. Die Ausstellung ist für Besucher ab 16 Jahre konzipiert und lädt mit einer Reihe aufgebauter Versuche dazu ein, wissenschaftliche Erkenntnisse aktiv nachzuvollziehen.
Die Hauptausstellung steht unter dem Thema "Justus Liebig - Seine Zeit, unsere Zeit". In ihr werden die drei zentralen Forschungsgebiete Liebigs - Chemie, Landwirtschaft und Ernährung - vorgestellt, wobei der Forschungsstand zur Zeit Liebigs mit der heutigen analytischen Chemie sowie mit den modernen Ernährungs- und Agrarwissenschaften kontrastiert wird. Zu Beginn der Ausstellung wird zunächst die Ernährungssituation zu Beginn des 19. Jahrhunderts geschildert, außerdem findet man hier einen Überblick über den Lebens- und Karriereweg Liebigs, also eine "Liebig-Biographie".
Nach dem Gang durch die Abteilungen Chemie, Landwirtschaft und Ernährung zur Zeit Liebigs gelangt man durch einen "Zeittunnel" in das Jahr 2003 und kann dort den heutigen Stand dieser Wissenschaften entdecken. Am Ende der Ausstellung steht ein Ausblick auf die Ernährungssituation der Menschheit in der Zukunft: Wird die Ernährung der Weltbevölkerung im Jahr 2050 noch gesichert sein?
Im biographischen Teil der Ausstellung wird die erstaunliche Karriere des Justus Liebig dargestellt, der ohne Schulabschluss und mit abgebrochener Apothekerlehre zum einflussreichsten Chemiker des 19. Jahrhunderts aufsteigen konnte. Im nächsten Abschnitt lernen die Besucher Liebigs Beiträge zur Chemie kennen und können verfolgen, was daraus heute geworden ist. Liebig war immer an der wirtschaftlichen Nutzung seiner Kenntnisse interessiert. Damit steht er nicht so sehr am Beginn der chemischen Industrie, sondern am Ursprung der Lebensmittelindustrie. Forschungsarbeiten über Backpulver, Säuglingsnahrung, Kaffee- und Fleischextrakt belegen sein großes Interesse an der Lebensmittelchemie. Mit Liebigs Fleischextrakt erfüllte sich gegen Ende seines Lebens auch der Traum von der wirtschaftlichen Unabhängigkeit: Er verdiente damit zuletzt genauso viel wie als Professor und Präsident der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Auch heute noch arbeiten Gießener Ernährungswissenschaftler teilweise an denselben Problemen wie der Namensgeber der Universität.
Spektakulär sind die Fortschritte, die die Agrarwissenschaften seit Liebigs Zeiten gemacht haben. So ist inzwischen jedes dritte Stickstoffatom, das wir vor allem in Form von Proteinen verzehren, künstlich aus der Luft gewonnen und zunächst in Form von Dünger ausgebracht worden. Noch immer hungern 815 Millionen Menschen auf der Welt, und trotzdem stimmt die Tendenz hoffnungsvoll. Die düsteren Prognosen der 70er und 80er Jahre haben sich nicht erfüllt. Obwohl die Weltbevölkerung nach wie vor wächst, stehen pro Kopf immer mehr Kalorien zur Verfügung. Der Anteil der Hungernden an der Weltbevölkerung - genauso wie die absolute Zahl der Hungernden - hat stetig abgenommen. Ohne den Beitrag von Chemie, Agrar- und Ernährungswissenschaften wäre dieser Kraftakt nicht zu leisten gewesen.
Von Hungersnot zu Hungersnot
Als Justus Liebig (wahrscheinlich am 12. Mai) 1803 in Darmstadt zur Welt kam, war die Ernährungslage prekär. Im Zuge der Napoleonischen Kriege zerbrach das Heilige Römische Reich Deutscher Nation. Liebig erinnerte sich später noch mit Schrecken an die Hungersnöte von 1816 und '17. Manche Gegenden des Großherzogtums Hessen-Darmstadt sollten damals nicht wieder mit Menschen besiedelt werden, weil noch nicht einmal das Vieh genügend zu fressen hatte. In den 1840er Jahren war dann die Kartoffel zu einem Hauptnahrungsmittel aufgestiegen. Sie wurde von der Kartoffelfäule vernichtet. Es kam zum letzten großen Hungersterben in Europa, als in Irland etwa eine Millionen Menschen verhungerten. Dies ist der historische Rahmen, in dem 1840 Liebigs Buch "Die organische Chemie in ihrer Anwendung auf Agricultur und Physiologie" erschien, bald nur noch unter dem Kurztitel "Agrikulturchemie" bekannt. Die tiefere Ursache der Ernährungskrisen sieht Liebig hier in der allgemeinen Erschöpfung der Böden an Mineralstoffen.
Die Liebig-Ausstellung in der Alten Universitätsbibliothek nimmt an der weit verbreiteten Darstellung, dass Liebig mit seiner "Agrikulturchemie" das Düngen zum ersten Mal wissenschaftlich begründet habe, eine wesentliche Revision vor, die allerdings in Fachkreisen schon lange bekannt ist: Ein Göttinger Privatdozent namens Carl Sprengel hatte bereits 1828 die "Mineralstofftheorie" veröffentlicht. Bei Sprengel findet sich auch bereits 1828 das "Gesetz vom Minimum", das als wissenschaftliche Basis für das Düngen gilt. Liebig veröffentlichte dieses Gesetz erst 1855. Mit seiner "Agrikulturchemie" fiel Liebig zunächst eindeutig hinter den Erkenntnisstand zurück, den Carl Sprengel bereits erreicht hatte. Liebig bleibt das Verdienst, die Mineralstofftheorie auf einer europaweiten Bühne durchgesetzt zu haben.
"Justus Liebig - Der streitbare Gelehrte"
Die zweite Ausstellung steht unter dem Thema "Justus Liebig - Der streitbare Gelehrte", in ihr werden einige Facetten der vielschichtigen Persönlichkeit Liebigs näher beleuchtet. Insgesamt umfasst die Ausstellung sechs Abteilungen. Im Mittelpunkt steht das streitbare Temperament des berühmten Chemikers, der nicht nur zahlreiche wissenschaftliche Dispute ausfocht, sondern
auch in universitäts- und wissenschaftspolitischen Fragen nicht vor polemischen Auseinandersetzungen zurückschreckte. Weitere Aspekte sind Liebigs unterschiedliche Lebensstile an seinen beiden Wirkungsstätten in Gießen und München, seine internationale Wirkung - und hier vor allem seine insgesamt sieben Reisen nach Großbritannien, wo er besonders während seiner Reise im Jahr 1844 geradezu enthusiastisch gefeiert wurde; u.a. wurde er in diesem Jahr zum Ehrenbürger der Städte Glasgow und Edinburgh ernannt -, seine Rolle als Publizist und geschickter Verbreiter chemischer Erkenntnisse sowie seine zahlreichen Ehrungen.
Der besondere Reiz dieser Ausstellung liegt darin, dass eine Reihe wertvoller Originaldokumente gezeigt werden. Die Bandbreite reicht hier vom Brief Liebigs an seine Ehefrau Henriette, in der er seinen Besuch bei Queen Victoria auf Schloss Balmoral schildert, bis hin zur Verleihungsurkunde des Ordens "Pour le Mérite" mit der Unterschrift Alexander von Humboldts. Darunter sind einige Objekte, die bislang noch nicht in der Öffentlichkeit gezeigt worden sind, zum Beispiel eine silberne Vase aus dem Ehrengeschenk, das Liebig im Jahr 1854 von seinen englischen Schülern und Freunden überreicht wurde, oder ein Lithografiestein, mit dem Liebigs Visitenkarten gedruckt wurden
"Justus Liebig - Die Chemischen Briefe"
Die dritte Ausstellung steht unter dem Thema "Justus Liebig - Die Chemischen Briefe". In ihr geht es um Liebigs Bedeutung als Autor und Herausgeber zahlreicher Publikationen. Den Schwerpunkt bilden die "Chemischen Briefe", die zunächst - ab 1841 - in lockerer Folge in der Augsburger Allgemeinen Zeitung veröffentlicht wurden und später auch als Buch erschienen - und zwar zuerst in englischer Sprache im Jahr 1843. Ein Jahr später erschien die erste Auflage der "Chemischen Briefe" auch in deutscher Sprache. In der Ausstellung werden die Verbreitung der "Chemischen Briefe" in Europa und in Übersee beleuchtet, die Übersetzer und die Verlage vorgestellt, kurz: es wird ein Stück Publikationsgeschichte des 19. Jahrhunderts nachgezeichnet. Dabei wird erneut deutlich, wie geschickt Liebig die modernen Medien zu nutzen wusste und wie überaus erfolgreich er war, wenn es darum ging, chemische Erkenntnisse zu popularisieren.
Die Öffnungszeiten der Ausstellung "Justus Liebig: Seine Zeit und unsere Zeit - Chemie, Landwirtschaft, Ernährung" sind täglich von 9.30 Uhr bis 18 Uhr (Eintritt: 3 Euro, ermäßigt: 2 Euro, Gruppenführungen für Klassen: 25 Euro; Anmeldung bei der Tourist-Information (Tel.: 0641/19433, Berliner Platz 2). Die Ausstellung "Justus Liebig als Akademiker und streitbarer Gelehrter" im Rektorzimmer (Hauptgebäude der Universität, Ludwigstraße 23) ist montags bis freitags von 9.30 bis 17 Uhr geöffnet. "Die 'Chemischen Briefe' Justus Liebigs", eine Ausstellung in der nahe gelegenen Universitätsbibliothek ist täglich von 8.30 bis 21 Uhr zu sehen. Der Eintritt zu diesen beiden Ausstellungen ist frei.
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Biologie, Chemie, Ernährung / Gesundheit / Pflege, Geschichte / Archäologie, Gesellschaft, Medizin, Tier / Land / Forst
überregional
Buntes aus der Wissenschaft
Deutsch
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