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Zum ersten Mal nehmen Studierende der Universität Greifswald an einer deutsch-dänischen Sommerschule zur Geschichtsaufarbeitung teil. Während der siebentägigen Veranstaltung befassen sich die Studierenden mit der Frage, warum und wie sich trotz Besetzung Dänemarks durch Deutschland während des Zweiten Weltkrieges schon kurz nach Kriegsende wieder partnerschaftliche Beziehungen zwischen beiden Staaten entwickeln konnten. Die Sommerschule wurde vor drei Jahren von der Süddänischen Universität und der Universität Kiel gegründet. Sie findet vom 16. bis zum 22. August 2015 in Christianslyst, Nottfeld, statt und wird durch das dänische Parlament gefördert.
Ziel der Sommerschule ist, die gemeinsame deutsch-dänische Geschichte mit Studenten aus beiden Ländern aufzuarbeiten. Die Länder und Völker im westlichen Ostseeraum, zu dem Dänemark, Schweden, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern zählen, sind seit Jahrhunderten eng mit einander verbunden, in guten und in schlechten Phasen. Jahrhunderte lang war diese Region vor allem von dem dänisch-schwedischen Wettbewerb um die Kontrolle der Ostsee geprägt. Wesentliche Teile der heutigen deutschen Ostseeküste waren an die beiden nordischen Regionalgroßmächte gebunden. Erst im 19. Jahrhundert änderte sich die Lage durch den Aufstieg der neuen Mächte wie Preußen im Süden und Russland im Osten, was die sicherheitspolitischen Rahmenbedingungen dramatisch änderte. Der deutsch-dänischen Krieg 1864, in dessen Folge die Herzogtümer Schleswig, Holstein und Lauenburg von Dänemark abgetreten werden mussten, führte den Dänen vor Augen, dass das Land endgültig in die zweite – oder dritte – Liga in Europa abgestiegen war. Ab diesem Zeitpunkt stellte das neue Deutschland sich eindeutig als größte sicherheitspolitische Sorge aller dänischen Regierungen da. Weiterhin entstand mit der Abtretung auch eine dänische Minderheit in Deutschland, und nach einem Referendum 1920 über die Grenzrevision, sogar Minderheiten auf beiden Seiten der Grenze.
Die diesjährige Sommerschule fokussiert auf zwei Jahrestage, die die jüngsten deutsch-dänischen Beziehungen definieren sollte: den 75. Jahrestag der fast kampflosen Besatzung Dänemarks durch Hitler-Deutschland und den 60. Jahrestag der sogenannten Bonn-Kopenhagener Erklärungen 1955.
Mit dem Einmarsch der Wehrmacht 1940 wurde das absolute Tief der Beziehungen zwischen beiden Staaten erreicht, denn es passierte genau das, was seit 1864 gefürchtet wurde. Die deutsche Übermacht und der Mangel an Bündnispartnern hatte in den 1930er Jahren dazu geführt, dass das dänische Militär abgebaut wurde. „Was nutzt das überhaupt?“, war das Axiom der damaligen Zeit. Das Ergebnis war der überraschende Überfall auf Dänemark am 9. April 1940. Regierung und König Christian X. ergaben sich nach wenigen Stunden und nur im Grenzraum gab es vereinzelte Kämpfe.
Es folgten fünf Jahre Besatzung, die aus heutiger historischer Sicht weniger brutal waren, als in vielen anderen Ländern. Die Versorgung war relativ gut; die Regierung blieb bis 1943 im Amt; die Armee und weithin eigene Gerichtsbarkeit blieben erhalten; es gab sogar Parlamentswahlen, von denen nur Kommunisten ausgeschlossen waren; die dänischen Juden blieben teilweise vom Holocaust verschont. Dennoch war die Besatzung für die Bevölkerung sehr traumatisch, und die Öffentlichkeit forderte nach dem Krieg „Nie mehr 9. April“ (Tag des Einmarsches).
Vor diesem dramatischen Hintergrund der Kriege von 1864 und 1940 – 1945 ist die Entwicklung nach 1945 umso erstaunlicher. Die Beziehungen zu Deutschland, vor allem zur Bundesrepublik, verbesserten sich. Die ersten Kontakte entstanden schon unmittelbar nach dem Krieg zwischen der Organisation Gehlen (später BND) und der Führung des aus der antifaschistischen Widerstandsbewegung hervorgegangen dänischen Nachrichtendienstes. Die Bundesrepublik war zeitweilig Dänemarks engster Partner in der NATO. Durch das 1961 gegründete gemeinsame NATO-Kommando BALTAP (Baltic Approaches) entstand auch das erste multinationale Korps der Bundeswehr, bestehend aus der dänischen Jütländischen Division und der 6. Panzergrenadierdivision, die den möglichen ersten Schlag der im Raum Schwerin-Wismar stationierten 94. Sowjetischen Gardedivison und der darauf folgenden polnischen Streitkräfte auffangen sollte. Zur See standen Bundesmarine und dänische Seestreitkräfte gegen die Volksmarine der DDR sowie polnische und sowjetische Seestreitkräfte. Auf einer friedlicheren Schiene entwickelte sich in derselben Zeit Deutschland zum wichtigsten Handelspartner und Befürworter des Eintritts Dänemarks in die EG (Europäische Gemeinschaft) 1973.
Ein entscheidender Schritt in Richtung Partnerschaft war auch die Entschärfung der Grenzkonflikte, die es seit 1920 gab. Die Bonner und Kopenhagener Erklärungen von 1955 machten deutlich, dass der Wille zu friedlichem Miteinander existierte und dass beide Staaten die nationalen Minderheiten anerkennen und unterstützen werden. Damit endeten etwa einhundert Jahre voller Konflikte über die Zugehörigkeit von Schleswig. Es wurde die Grundlage geschaffen, um in den deutsch- und dänischsprachigen Regionen vertrauensvoll miteinander leben zu können.
Während des Sommerkurses werden sich die Teilnehmer mit den historischen Wurzeln beschäftigen und die deutsch-dänischen Beziehungen bis in der Gegenwart nachzeichnen.
Weitere Informationen
Flyer http://tinyurl.com/o9p9ct5
Lehrstuhl für Nordische Geschichte http://www.phil.uni-greifswald.de/bereich2/histin/ls/ng.html
Ansprechpartner an der Universität Greifswald
Prof. Dr. Jens E. Olesen
Lehrstuhl für Nordische Geschichte
Bahnhofstraße 51, 17489 Greifswald
Telefon 03834 86-3331
olesen@uni-greifswald.de
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Studierende, Wissenschaftler
Geschichte / Archäologie
überregional
Buntes aus der Wissenschaft
Deutsch
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