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14.08.2015 13:31

Kunstfälschungen und das Problem der rückblickenden Fehleinschätzung

Marietta Fuhrmann-Koch Kommunikation und Marketing
Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg

    Immer wieder erschüttern Fälschungsskandale Kunstmarkt und Kunstgeschichte. Eine Erklärungshypothese für die sich stetig wiederholenden Betrugsversuche besagt, dass Experten sich nach jedem aufgedeckten Fall in der falschen Sicherheit wiegen, ein solcher Betrug werde sich nicht mehr wiederholen – vor allem, weil sie sich im Rückblick sicher sind, dass die Fälschungen tatsächlich einfach zu enttarnen gewesen wären. Daher wähnen sie sich gewappnet für neue Betrugsversuche. Mit Hilfe eines Experiments haben nun Wissenschaftler der Universität Heidelberg gezeigt, dass dieses Phänomen der rückblickenden Selbstüberschätzung den wiederkehrenden Erfolg von Kunstfälschern erklären kann.

    Pressemitteilung

    Heidelberg, 14. August 2015

    Kunstfälschungen und das Problem der rückblickenden Fehleinschätzung
    Heidelberger Wissenschaftler untersuchen Gründe für stetige Wiederkehr von Betrugs- und Täuschungsversuchen

    Immer wieder erschüttern Fälschungsskandale wie der Fall Wolfgang Beltracchi Kunstmarkt und Kunstgeschichte. Eine Erklärungshypothese für die sich stetig wiederholenden Betrugs- und Täuschungsversuche besagt, dass Experten sich nach jedem aufgedeckten Fall in der falschen Sicherheit wiegen, ein solcher Betrug werde sich nicht mehr wiederholen – vor allem, weil sie sich im Rückblick sicher sind, dass die Fälschungen tatsächlich einfach zu enttarnen gewesen wären. Daher wähnen sie sich gewappnet für neue Betrugsversuche. Mit Hilfe eines Experiments haben nun Nachwuchswissenschaftler des Instituts für Europäische Kunstgeschichte und des Instituts für Psychologie der Universität Heidelberg unter der Leitung des Kunsthistorikers Prof. Dr. Henry Keazor gezeigt, dass dieses Phänomen der rückblickenden Selbstüberschätzung den wiederkehrenden Erfolg von Kunstfälschern erklären kann.

    „In der Psychologie wird das ‚Ich habe es doch schon immer gewusst‘-Gefühl bereits seit den 1970er Jahren unter dem Namen ‚hindsight bias‘ oder auch ‚Rückschaufehler‘ intensiv erforscht“, erklärt der Diplom-Psychologe Max Vetter, der die Untersuchung zusammen mit der angehenden Kunsthistorikerin Lena Marschall durchführte. Der Rückschaufehler beruht unter anderem auf der Tatsache, dass es Menschen schwerfällt, sich korrekt an frühere Wahrnehmungen zu erinnern und sich in diese gedanklich zurückzuversetzen. Daher neigen sie dazu, die Vorhersehbarkeit eines Ereignisses im Rückblick zu überschätzen, und glauben, etwas gewusst zu haben, was ihnen nachweislich nicht bekannt war. Im Fall von Kunstfälschungen würde dies bedeuten, dass der Glaube an das Erkennen der Fälschungen überschätzt wird.

    Um herauszufinden, ob diese rückblickende Fehleinschätzung tatsächlich auch eine Erklärung für den stetig wiederkehrenden Erfolg von Kunstfälschern ist, legten die drei Heidelberger Wissenschaftler rund 150 angehenden und ausgebildeten Kunsthistorikerinnen und Kunsthistorikern eine Reihe von Fälschungen und Originalen vor. Die Werke stammten zum Teil aus Privatbesitz und zum Teil aus der Asservatenkammer des Landeskriminalamts in Stuttgart. Eine Hälfte der Probanden wurde um eine Einschätzung zur Echtheit der Werke gebeten. Die andere Hälfte wurde darüber informiert, welche Kunstwerke gefälscht waren, anschließend sollten die Befragten einschätzen, ob sie Fälschung oder Original als solche erkannt hätten.

    Die Ergebnisse stützen die Hypothesen des interdisziplinären Forscherteams: Wer die Werke mit der Information zur Echtheit oder Fälschung betrachtete, war sich anschließend deutlich sicherer, dass er oder sie diese auch ohne entsprechendes Wissen korrekt hätte identifizieren können. Dieser Effekt ist nach Angaben der Wissenschaftler umso größer, je besser die Probanden ihre eigenen Fähigkeiten einschätzten. Eine allzu selbstbewusste Überzeugung von der eigenen Expertise geht also mit einem verstärkten Rückschaufehler einher. Dies birgt die Gefahr einer Überschätzung des eigenen Urteilsvermögens bei einer gleichzeitigen Unterschätzung der zu beurteilenden Sachlage. „Dieser Effekt der Selbstüberschätzung sollte, wie der Fall Beltracchi gezeigt hat, gerade bei kunstwissenschaftlichen Expertisen zu verstärkter Vorsicht den eigenen Fähigkeiten gegenüber mahnen“, erklärt Henry Keazor.

    Ein Erklärungsmodell aus der Psychologie für ein Phänomen aus der Kunstgeschichte zu nutzen, ist nach den Worten der beteiligten Wissenschaftler deshalb sinnvoll, weil Wahrnehmung und deren mögliche Verzerrungen gleichermaßen Gegenstand von kunsthistorischer wie psychologischer Forschung sind, die sich in diesem Punkt berühren. Gut gesicherte Erkenntnisse zum menschlichen Urteilen und Entscheiden aus der Psychologie können somit auch in anderen Fächern getestet werden und zum Verständnis eines Phänomens wie dem der Geschichte der Kunstfälschung beitragen. Diese wiederum kann dafür sensibilisieren, wie stark Fragen der Kunst und ihrer Wahrnehmung generell mit Aspekten der Psychologie verbunden sind.

    Kontakt:
    Prof. Dr. Henry Keazor
    Institut für Europäische Kunstgeschichte
    Telefon (06221) 54-2353
    h.keazor@zegk.uni-heidelberg.de

    Max Vetter
    Centrum für soziale Investitionen und Innovationen (CSI)
    max.vetter@psychologie.uni-heidelberg.de

    Kommunikation und Marketing
    Pressestelle
    Telefon (06221) 54-2311
    presse@rektorat.uni-heidelberg.de


    Weitere Informationen:

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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, jedermann
    Kunst / Design, Psychologie
    überregional
    Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

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