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Wissenschaft
Chancen für eine bessere psychotherapeutische Versorgung durch wachsende Zahl von Lehrstühlen an deutschen Universitäten
Die Deutsche Gesellschaft für Psychologie im Gespräch mit Tina In-Albon, Professorin für Klinische Psychologie und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters an der Universität Koblenz-Landau, über psychische Störungen bei Kindern und Jugendlichen, die Chancen von Psychotherapie und die wachsende Zahl von Lehrstühlen für Klinische Kinder- und Jugendpsychologie an deutschen Universitäten.
Frage: Frau Prof. In-Albon, wie häufig sind psychische Störungen bei Kindern und Jugendlichen?
Prof. In-Albon: Psychische Störungen im Kindes- und Jugendalter sind keine Seltenheit. Etwa jedes 5. Kind bzw. jeder 5. Jugendliche leidet an einer behandlungsbedürftigen psychischen Störung. Studien zeigen, dass die meisten psychischen Störungen im Kindes- und Jugendalter beginnen. Erwachsene mit psychischen Auffälligkeiten berichten sehr häufig, dass die Problematik schon im Kindes- oder Jugendalter begonnen hat. Die häufigsten psychischen Störungen bei Kindern und Jugendlichen sind die Angststörungen. Sie machen etwa 10% aus. Erst mit Abstand folgen dann die Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) sowie aggressive Störungen. Es gibt darüber hinaus aber auch noch eine weitere Symptomatik, die mit den häufigsten Störungen im Jugendalter genannt werden sollte. Dabei handelt es sich um wiederholtes selbstverletzendes Verhalten ohne suizidale Absicht, wie zum Beispiel das sogenannte „ritzen“ oder „schneiden“. Diese nichtsuizidalen Selbstverletzungen betreffen 5-6% der Jugendlichen. Genau wie bei Erwachsenen ist es auch bei Kindern und Jugendlichen so, dass in der Regel mehrere Störungen gemeinsam vorliegen. Psychische Störungen im Kindesalter sollten ernstgenommen werden, da sich diese mehrheitlich nicht von alleine „auswachsen“. Im Gegenteil, es hat sich mehrfach gezeigt, dass psychische Störungen im Kindesalter eine Schrittmacherfunktion für die Entwicklung weiterer psychischer Störungen im Jugend- und Erwachsenenalter darstellen. Psychotherapie ist bei vielen Kindern und bei verschiedenen Störungen wirksam. Dabei hat sich insbesondere die Verhaltenstherapie in vielen Studien als wirksam erwiesen, zum Beispiel bei Angststörungen.
Frage: Wie helfen Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten den Betroffenen? Was genau passiert bei einer Verhaltenstherapie?
In-Albon: Das Ziel ist es den Kindern zu helfen, zu Experten ihrer Störung zu werden, veränderte Erlebens- und Verhaltensweisen aufzubauen und ihren Selbstwert zu steigern, damit die weitere Entwicklung positiv verläuft. Zunächst geht es darum, die Betroffenen über die Störung zu informieren. Bei Angststörungen wird zum Beispiel darüber gesprochen, was das „zu–viel“ an Angst ausmacht, welche körperlichen Symptome auftreten können, und welche Gedanken („Ich könnte ausgelacht werden“) und Verhaltensweisen (Vermeidungsverhalten, Rückversicherung) mit der Angst zusammenhängen. In der Therapie werden auch die angstauslösenden Gedanken bearbeitet. Hier geht es insbesondere darum, die Selbstwirksamkeit des Kindes zu steigern, indem zum Beispiel Mut-machende Gedanken erarbeitet und festgehalten werden.
Der Hauptfokus in der Therapie liegt darauf, das Vermeidungsverhalten aufgrund der Ängste anzugehen, man könnte auch sagen, zu lernen, der Angst ins Auge zu schauen. Nach einer ausführlichen Vorbereitung und Besprechung des Vorgehens werden mit dem Kind verschiedene Konfrontationsübungen durchgeführt (z.B. Hund anschauen, die Leine des Hundes halten, Hund streicheln). Die Methoden sind dabei natürlich an das Alter der Kinder angepasst.
Frage: Eine steigende Zahl von Universitäten baut an psychologischen Einrichtungen Institute für klinische Kinder- und Jugendpsychologie und angeschlossene Ambulanzen auf. Was ist das Besondere an diesen Ambulanzen?
Prof. In-Albon: Die Ambulanzen sind häufig mit Forschung, Lehre und weiterführender Ausbildung verzahnt. Das Besondere an den Forschungsambulanzen ist, dass Therapien im Rahmen von Forschungsprojekten durchgeführt werden können, die strengen Qualitätsanforderungen unterliegen. Die Bandbreite der behandelbaren Störungen ist sehr groß und reicht von Angststörungen über AHDS, Depressionen, Ticstörungen bis zu Zwangsstörungen. Forschungsprojekte, die im Rahmen der Ambulanz häufig durchgeführt werden, sind Psychotherapiestudien, in denen es darum geht, die Wirksamkeit und Wirkfaktoren einer Therapie zu untersuchen. In Landau führen wir zum Beispiel gerade eine Therapiestudie für Jugendliche mit Angst- und depressiven Störungen durch, da Angst- und depressive Störungen häufig gemeinsam auftreten.
Frage: Wer kann die Kinder- und Jugendlichen-Ambulanzen aufsuchen?
Prof. In-Albon: Die Ambulanzen sind für Kinder und Jugendliche bis 21 Jahren offen. Nach der Anmeldung und dem Erstgespräch mit dem Kind und den Eltern findet die Diagnostikphase statt. Diese beinhaltet Gespräche, Interviews und das Ausfüllen von Fragebögen und dient dem Kennenlernen, dem Aufbau einer Beziehung zwischen Kind und Therapeut, und der Planung einer möglichen weiteren Behandlung. Hier zeigt sich die zunächst wichtige Frage, ob und welche psychische Störung bzw. Störungen vorliegen und welche ausgeschlossen werden können. Mit diesen Informationen wird dann eine Behandlung geplant. Für die Behandlungskosten wird durch die Ambulanz bei der jeweiligen Krankenkasse des Patienten ein Antrag auf Kostenübernahme gestellt. Die Behandlung selbst kann im Einzel- oder Gruppensetting erfolgen. Je nach Alter des Kindes und der Symptomatik können Gespräche mit Eltern, Lehrpersonen oder anderen wichtigen Personen im Umfeld des Kindes die Therapie ergänzen.
Kontakt bei Rückfragen:
Prof. Dr. Tina In-Albon
Klinische Psychologie und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters
Universität Koblenz-Landau
Ostbahnstraße 12
D-76829 Landau
E-Mail: in-albon@uni-landau.de
Tel.: 06341 28035639
Das Interview führte:
Dr. Anne Klostermann
DGPs-Pressestelle
Tel: 030 28047718
E-Mail: pressestelle@dgps.de
Über die DGPs:
Die Deutsche Gesellschaft für Psychologie (DGPs e.V.) ist eine Vereinigung der in Forschung und Lehre tätigen Psychologinnen und Psychologen. Die über 3700 Mitglieder erforschen das Erleben und Verhalten des Menschen. Sie publizieren, lehren und beziehen Stellung in der Welt der Universitäten, in der Forschung, der Politik und im Alltag.
Die Pressestelle der DGPs informiert die Öffentlichkeit über Beiträge der Psychologie zu gesellschaftlich relevanten Themen. Darüber hinaus stellt die DGPs Journalisten eine Datenbank von Experten für unterschiedliche Fachgebiete zur Verfügung, die Auskunft zu spezifischen Fragestellungen geben können.
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http://Weitere Informationen zu Lehrstühlen und Ambulanzen für Klinische Kinder- und Jugendpsychologie an deutschen Hochschulen finden Sie hier:
http://www.dgps.de/index.php?id=143&tx_ttnews[tt_news]=1655&cHash=0c78e2...
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Studierende, Wissenschaftler, jedermann
Medizin, Psychologie
überregional
Buntes aus der Wissenschaft, Forschungs- / Wissenstransfer
Deutsch
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