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26.02.2016 09:15

Wissenschaftler der Uni Erfurt melden „kleine Sensation“

Carmen Voigt Pressestelle
Universität Erfurt

    Wissenschaftler der Universität Erfurt melden eine „kleine Sensation“: Die von einem „Wolfram“ in den Erfurter Dom gestiftete lebensgroße Bronzestatue des Hochmittelalters hat eine jüdische Vorgeschichte. Das ist das erste Ergebnis einer Arbeitsgruppe des Max-Weber-Kollegs, die mit dem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Forschungszentrum „Dynamik religiöser Praktiken des Judentums in religiös pluralen Kontexten“ an der Universität Erfurt über Beziehungen zwischen Juden und Christen im Mittelalter forscht.

    Der sogenannte „Wolfram“ im Erfurter Mariendom ist ein Unikat: Eine vergleichbare lebensgroße Darstellung eines Menschen als freistehende Bronzefigur fehlt im hochmittelalterlichen Europa. Wer wurde hier dargestellt? Da sich kein mittelalterlicher bürgerlicher Stifter als Bronzestatue hätte darstellen lassen können, war Fachleuten lange klar. Für diese Frage half also die Stifterinschrift, die einen Wolfram und seine Frau Hildburg nennt, nicht weiter. Ein namenloser Kerzenträger wiederum wäre nicht mit solchem einmaligem Aufwand hergestellt worden. Warum aber hat man vergessen, wen diese Figur darstellte, wenn sie schon immer im Dom präsent war? Die Forscher am Max-Weber-Kolleg sind dieser Frage nachgegangen und haben in jüdischen Handschriften eine Antwort gefunden. In einer in Erfurt kurz vor 1300 entstandenen Handschrift wird Aaron in gleicher Körperhaltung dargestellt. Das sei möglicherweise ein Reflex einer Figur, die tatsächlich in der Alten Synagoge stand.

    Nach dieser Hypothese wurde Aaron von der jüdischen Gemeinde oder in Absprache mit ihr von einem Stifter in Auftrag gegeben und von Handwerkern angefertigt, die vermutlich zu diesem Zweck zeitweilig eine Gießwerkstatt in Erfurt betrieben, in der vielleicht auch die Erfurter Sabbatampel gegossen wurde – Handwerker, die mit hoher Wahrscheinlichkeit selbst keine Juden waren. Diese Figur diente in der Synagoge als Träger der riesigen Thorarollen, die ebenfalls für die Erfurter Gemeinde einzigartig sind und heute in der Berliner Staatsbibliothek aufbewahrt werden. Im Alltag könnte die Figur neben einer Menorah gestanden haben.

    Während des Pogroms vom 21. März 1349 wurde die Figur entfernt und gelangte später, jedenfalls vor 1425, in den Erfurter Mariendom. Für diese Aufstellung wurde sie mit einer Inschrift versehen, die auf ein kirchliches Nachtgebet Bezug nimmt, das in dieser Form sich erst seit dem 13. Jahrhundert ausbreitete. Vermutlich wurde sie dabei mit Kerzenhalterungen versehen, die es nicht mehr möglich machten, Stäbe durch die Fäuste zu führen. Wie die Kerzenstiftung der Juristischen Fakultät von 1425 ausweist, diente die Figur nun als Leuchter im Chor für ein universitäres Nachtgebet. Im zwanzigsten Jahrhundert schließlich wurde sie aufgrund einer legendären Zuweisung zu einer Büßerstiftung gesondert aufgestellt und als Lichtfigur gedeutet; auch ihre zweite Funktion hatte sie spätestens mit der Schließung der Universität im Jahr 1816 verloren.

    Die ausführliche Begründung ihrer Hypothese wird in einem Aufsatz erfolgen, der im Mai in der Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte erscheinen wird.


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, Wissenschaftler, jedermann
    Geschichte / Archäologie, Gesellschaft, Kulturwissenschaften, Religion
    überregional
    Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

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