idw – Informationsdienst Wissenschaft

Nachrichten, Termine, Experten

Grafik: idw-Logo
Grafik: idw-Logo

idw - Informationsdienst
Wissenschaft

Science Video Project
idw-Abo

idw-News App:

AppStore

Google Play Store



Instanz:
Teilen: 
08.03.2016 21:00

Fünfhunderttausend Mal unwahrscheinlicher als ein Lottogewinn

Dagmar Baroke Abteilung Kommunikation
Paul Scherrer Institut (PSI)

    Seltenheit eines Teilchenzerfalls vermessen

    Die moderne Physik hat eine grosse Zahl theoretischer Ansätze entwickelt, mit denen sich die Welt der Elementarteilchen beschreiben liesse. Nun müssen Experimente aussortieren, welche Theorien der Realität standhalten. Eines davon ist das sogenannte MEG-Experiment am Paul Scherrer Institut PSI. Dabei beziffern Forschende die Unwahrscheinlichkeit eines bestimmten Myonen-Zerfalls. Ihre neueste Zahl lautet: Höchstens eines von 2,4 Billionen Myonen zerfällt nach dem MEG-Muster. Damit ist ein solcher Zerfall rund fünfhunderttausend Mal unwahrscheinlicher als ein Sechser im Schweizer Lotto.

    Es sind exotische Elementarteilchen, die auch noch sehr kurzlebig sind: Myonen zerfallen praktisch direkt nach ihrer Entstehung in andere, stabilere Teilchen. Sie können dabei jedoch unterschiedliche Zerfallspfade einschlagen, das heisst: Entweder resultiert aus dem Zerfall diese oder aber jene Gruppe von Teilchen. Ein ganz besonderer dieser Zerfallspfade ist zwar noch nie beobachtet worden, ist aber für Physiker von grossem Interesse: Der Zerfall eines Myons in ein Elektron und ein Lichtteilchen. Dieser wird auch kurz MEG-Zerfall genannt, für Myon-Elektron-Gamma, wobei Gamma das Lichtteilchen bezeichnet.

    Klar ist bislang, dass ein MEG-Zerfall extrem selten ist. Wie selten genau, das wollen Forschende am Paul Scherrer Institut mit dem MEG-Experiment beziffern. Sie erhoffen sich dabei die Entdeckung einer sogenannten neuen Physik – und damit eine Tür zu bisher ungeklärten Phänomenen im Universum. Aufgrund der neuesten Messungen der Forschenden, die wieder keinen einzigen MEG-Zerfall zutage brachten, lässt sich nun sagen: Die Wahrscheinlichkeit für diesen Zerfall ist kleiner als 1 zu 2,4 Billionen und damit rund fünfhunderttausend Mal unwahrscheinlicher als sechs Richtige im Schweizer Lotto.

    Das MEG-Experiment kann Theorien zum Universum überprüfen

    Diese experimentell ermittelte Zahl ist ein relevanter Parameter für theoretische Physiker, die mathematische Modelle entwickeln, mit denen sich nichts weniger als unser gesamtes Universum beschreiben lässt. Manche dieser Theorien – darunter das derzeit gebräuchliche Standard-Modell der Teilchenphysik – besagen, dass der MEG-Zerfall so gut wie nie vorkommt und damit unmöglich zu beobachten ist. Das Standard-Modell ist ein umfassendes Konzept, das sehr vieles von dem erklärt, was die Menschheit bisher beobachten konnte – aber leider nicht ganz alles. Unter anderem verschweigt das Standard-Modell die Existenz der sogenannten Dunklen Materie und der Dunklen Energie: Jener mysteriösen Stoffe, die zusammen rund 95 Prozent des Universums bilden sollen.

    Darum suchen Wissenschaftler weltweit nach einer neuen Physik. Diese würde dargestellt durch eine Theorie, die die Vorhersagen des Standard-Modells beinhaltet, jedoch auch darüber hinausgeht – und damit unser Universum umfassender beschreibt. Eine vielversprechende Gruppe von Theorien ist Susy, kurz für Supersymmetrie. Viele der theoretischen Modelle aus der Susy-Familie sagen eine Wahrscheinlichkeit für den MEG-Zerfall voraus, die so hoch liegt, dass sich dieses Ereignis am PSI früher oder später beobachten lassen sollte. Mit jeder noch genaueren Messung, bei der der Zerfall nicht gefunden wird, lässt sich daher eine Reihe alternativer Theorien verwerfen.

    Fünf Jahre lange Messung – an der weltweit leistungsstärksten Myonenquelle

    Die neu bezifferte Unwahrscheinlichkeit des MEG-Zerfalls erhielten die Forschenden durch die Auswertung von Daten, die sie am PSI zwischen 2009 und 2013 beinahe kontinuierlich sammelten. Nicht nur die lange Messzeit war erforderlich, um das nun vorliegende Ergebnis zu erhalten – auch die Versuchsdurchführung am PSI war entscheidend: Hier befindet sich die weltweit leistungsstärkste Myonenanlage, an der sich pro Sekunde rund 30 Millionen Myonenzerfälle beobachten lassen. Nur dank dieses hohen Durchsatzes konnten die Forschenden in den fünf Jahren ganze 2,4 Billionen Myonen und ihre Zerfälle vermessen. Der entscheidende MEG-Zerfall war nicht dabei – und so kommen sie auf die neue Obergrenze der Wahrscheinlichkeit für diesen Zerfall.

    Kein Fund – und doch ein bedeutendes Ergebnis

    Obgleich also der MEG-Zerfall nicht gefunden wurde, sehen die beteiligten Forschenden ihr Experiment als Erfolg an. „Dadurch, dass wir den Zerfall bisher nicht gesehen haben, können wir die gedankliche Linie verschieben, hinter der nach einer neuen Physik gesucht werden muss“, erklärt Angela Papa, Teilchenphysikerin am PSI und Koautorin der neuen Studie. „Und sollten wir eines Tages doch einen MEG-Zerfall beobachten, wäre das ein starker Hinweis auf neue Physik.“

    Das bedeutet bislang nicht, dass ein gesamter theoretischer Ansatz wie beispielsweise die Supersymmetrie verworfen werden muss, sondern lediglich individuelle Modelle innerhalb solcher Theorie-Familien.

    Ihr MEG-Experiment und damit die Suche nach dem Zerfall werden die PSI-Forschenden auch in Zukunft verfeinern und fortsetzen. Ob der Zerfall eines Tages nun beobachtet wird oder nicht – die Messergebnisse werden in jedem Fall wesentlich zu unserem Wissen um die fundamentalen Strukturen der Materie beitragen.

    Text: Paul Scherrer Institut/Laura Hennemann

    -----------------------------------------------------------------------------------------------------------

    Über das PSI
    Das Paul Scherrer Institut PSI entwickelt, baut und betreibt grosse und komplexe Forschungsanlagen und stellt sie der nationalen und internationalen Forschungsgemeinde zur Verfügung. Eigene Forschungsschwerpunkte sind Materie und Material, Energie und Umwelt sowie Mensch und Gesundheit. Die Ausbildung von jungen Menschen ist ein zentrales Anliegen des PSI. Deshalb sind etwa ein Viertel unserer Mitarbeitenden Postdoktorierende, Doktorierende oder Lernende. Insgesamt beschäftigt das PSI 1900 Mitarbeitende, das damit das grösste Forschungsinstitut der Schweiz ist. Das Jahresbudget beträgt rund CHF 380 Mio. Das PSI ist Teil des ETH-Bereichs, dem auch die ETH Zürich und die ETH Lausanne angehören sowie die Forschungsinstitute Eawag, Empa und WSL.

    -----------------------------------------------------------------------------------------------------------

    Kontakt/Ansprechpartner
    Dr. Angela Papa, Labor für Teilchenphysik, Paul Scherrer Institut
    Telefon: +41 56 310 55 39, E-Mail: angela.papa@psi.ch [Englisch, Italienisch]

    Dr. Stefan Ritt, Labor für Teilchenphysik, Paul Scherrer Institut
    Telefon: +41 56 310 37 28, E-Mail: stefan.ritt@psi.ch [Deutsch, Englisch]


    Weitere Informationen:

    http://psi.ch/xX8E - Darstellung der Meldung auf der PSI-Webseite mit weiteren Abbildungen
    http://psi.ch/UxpB – Hintergrundtext: Erkenntnis aus dem Nichts
    http://psi.ch/UWvM – Hintergrundtext: Ein entscheidender Zerfall
    http://psi.ch/6ZDr – Hintergrundtext: Die Vermessung der Gleichzeitigkeit


    Bilder

    Angela Papa ist Teilchenphysikerin am PSI und am MEG-Experiment beteiligt. Das Experiment trägt wesentlich zu unserem Wissen um die fundamentalen Strukturen der Materie bei.
    Angela Papa ist Teilchenphysikerin am PSI und am MEG-Experiment beteiligt. Das Experiment trägt wese ...
    Foto: Paul Scherrer Institut/Markus Fischer
    None

    Angela Papa und Stefan Ritt sind zwei Autoren der neuen MEG-Studie. Ihr Experiment und damit die Suche nach dem einen Zerfall werden die Forschenden auch in Zukunft weiter verfeinern und fortsetzen.
    Angela Papa und Stefan Ritt sind zwei Autoren der neuen MEG-Studie. Ihr Experiment und damit die Suc ...
    Foto: Paul Scherrer Institut/Markus Fischer
    None


    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, Lehrer/Schüler, Studierende, Wissenschaftler
    Physik / Astronomie
    überregional
    Forschungsergebnisse, Forschungsprojekte
    Deutsch


     

    Hilfe

    Die Suche / Erweiterte Suche im idw-Archiv
    Verknüpfungen

    Sie können Suchbegriffe mit und, oder und / oder nicht verknüpfen, z. B. Philo nicht logie.

    Klammern

    Verknüpfungen können Sie mit Klammern voneinander trennen, z. B. (Philo nicht logie) oder (Psycho und logie).

    Wortgruppen

    Zusammenhängende Worte werden als Wortgruppe gesucht, wenn Sie sie in Anführungsstriche setzen, z. B. „Bundesrepublik Deutschland“.

    Auswahlkriterien

    Die Erweiterte Suche können Sie auch nutzen, ohne Suchbegriffe einzugeben. Sie orientiert sich dann an den Kriterien, die Sie ausgewählt haben (z. B. nach dem Land oder dem Sachgebiet).

    Haben Sie in einer Kategorie kein Kriterium ausgewählt, wird die gesamte Kategorie durchsucht (z.B. alle Sachgebiete oder alle Länder).