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Wissenschaft
Über „Hybride Ereignisse“ haben 35 Expertinnen und Experten aus fünf Ländern an der TU Dortmund diskutiert. Eingeladen hatte das Institut für Soziologie der TU Dortmund in Zusammenarbeit mit der Sektion Wissenssoziologie der Deutschen Gesellschaft für Soziologie (DGS).
Schnippeldiskos, BarCamps, Kopfhörerpartys, Star-Wars-Gottesdienste: Die vergangenen Jahre haben eine Vielzahl neuer Eventformen hervorgebracht. Der Wettbewerb um Aufmerksamkeit, unvorhergesehene gesellschaftliche Ereignisse wie Terroranschläge oder der sozio-technologische Wandel erfordern es, dass Organisierende von Events regelmäßig neue Akzente und Anreize setzen. Merkmal solcher neuen Ereignisformate ist oftmals eine gezielte Kombination und Durchmischung von Ereignissen verschiedener kultureller Bereiche (beispielsweise Ernst und Spaß, Information und Unterhaltung, Action und Comedy, Wissenschaft und Sport). Mit solchen „hybriden“ Events befassten sich 35 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf einer Tagung am Institut für Soziologie der Technischen Universität Dortmund.
„Über die Definition von hybriden Events herrscht kein Konsens“, fasst Gregor Betz, Mitinitiator der Tagung, zusammen. „Diese Doppeldeutigkeit, also Ambiguität, bot eine ideale Basis für einen intensiven wissenschaftlichen Diskurs. Dies verdeutlichen die unterschiedlichen Beiträge der Referierenden.“ Meike Haken und Michael Wetzels von der Technischen Universität Berlin analysierten unter anderem mediatisierte Großveranstaltungen, in denen die zwei kulturellen Bereiche Sport und Religion aufeinander treffen. Die Wissenschaftler widmeten sich unter anderem dem ökumenischen Gottesdienst zum Saisonauftakt von Borussia Dortmund. Die Hybridität des Ereignisses äußert sich dort nicht nur durch die Kleidung der Teilnehmer, die teils im Trikot, teils in Alltagskleidung erschienen, sondern auch in der Liturgie und beispielsweise der Gestaltung des Gesangsheftes, welches das BVB-Emblem zierte. Religiöse Semantiken wurden dort hinsichtlich des Fußballs umgedeutet und nutzbar gemacht – auch wenn die Durchmischung Grenzen aufweist: „Ein Teilnehmer wurde mit Unmutsäußerungen abgestraft, da er einen Fußballschal wie in einem Stadion hochhielt“, so Wetzels. „Bestimmte Grenzen dürfen auch bei einer hybriden Veranstaltung nicht überschritten werden“.
Einen Einblick in die Sphären der Popkultur gewährten drei Wissenschaftler der TU Dortmund: Paul Eisewicht, Julia Wustmann und Christin Scheurer analysierten den „Soundclash“, bei dem sich die Deutschrapper Sido und Haftbefehl im Dezember des letzten Jahres ein musikalisches Duell in der Essener Grugahalle lieferten. Das Event präsentierte sich in seiner Form als ein Hybrid aus einem Event vor Ort mit Zuschauern in der Halle und einem Medienevent, das Interessierte über einen Livestream von Zuhause verfolgen konnten.
Die Soziologen betonten die Wichtigkeit der in Frage stehenden Perspektiven bei der Untersuchung eines hybriden Events: „Denn von wem ein Phänomen als Hybrid wahrgenommen wird“, so ihr Fazit, „hängt ab von der Rekonstruktion spezifischer Standpunkte.“ Die Veranstaltung, im Vorfeld bereits wahlweise als „Show“, „Konzert“ oder „Battle“ beworben, bedingte potenziell verschiedene Erwartungen bei den Rezipienten. Für Zuschauer, die das Geschehen am Bildschirm über einen Livestream verfolgten, löste sich das Werbeversprechen einer abwechslungsreichen, in sich geschlossenen Show vollends ein. Szeneaffine Zuschauer, die das Duell vor Ort verfolgten, vernahmen die Konzertbeiträge und Duell-Runden hingegen als fragmentiert: Die zahlreichen Showmoderationen waren zwar präzise auf den Livestream abgestimmt, in der Halle aber kaum hörbar.
Dass sich Hybridität indes nicht nur bei unterhaltsamen Veranstaltungen, sondern durchaus auch bei Gewalt- und Terrorereignissen finden lässt, zeigte Manfred Prisching, Professor für Soziologie an der Universität Graz. Mit der „Rituellen Bewältigung schrecklicher Ereignisse“ griff er eine Thematik auf, die nicht zuletzt angesichts der jüngsten Terroranschläge in Brüssel einen großen Aktualitätsbezug bot. Prisching wählte das Beispiel einer Amokfahrt in der Grazer Innenstadt am 20. Juni des vergangenen Jahres, bei der ein Österreicher bosnischer Herkunft mehrere Menschen tötete und zahlreiche schwer verletzte. Unter anderem analysierte Prisching die kollektiven Rituale, mit deren Hilfe das Ereignis bewältigt wurde. Für diese nachkatastrophalen Trauerbewältigungs- und Erinnerungsprozesse konstatierte Prisching Hybridität, denn der Rückgriff auf religiöse Dimensionen, etwa mit einem Gedenkgottesdienst, reicht nicht mehr aus und wird ergänzt durch neue Formen und Ritualinnovationen. So beobachtete Prisching auch nach der Grazer Amokfahrt eine Gedenkkultur, die zwar säkular gerahmt, aber dennoch mit religiösen Elementen durchzogen sei. Als Beispiel diente hier eine Ansammlung von brennenden Kerzen in der Grazer Innenstadt: „Eine säkulare emotionelle Bekundung in religiösen Formaten“, so Prisching.
http://www.tu-dortmund.de/uni/Uni/aktuelles/meldungen/2016-02/16-02-25_3-fragen-...
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Gesellschaft, Kulturwissenschaften
überregional
Buntes aus der Wissenschaft, Wissenschaftliche Tagungen
Deutsch
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