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Wenn bei einer Reaktorkatastrophe radioaktives Jod freigesetzt worden ist, bieten Jodtabletten einen gewissen Schutz. Denn hochdosiertes Jod in Form von Kaliumjodid-Tabletten blockiert die Schilddrüse und reduziert damit das Risiko für Schilddrüsenkrebs. Dosierung und Zeitpunkt der Einnahme müssen aber exakt nach Vorgaben der Behörden erfolgen. Die Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie (DGE) rät anlässlich der Jodtabletten-Debatte in Nordrhein-Westfalen von einer „vorsorglichen“ Eigenmedikation dringend ab.
Zu hohe Joddosen schadeten der Gesundheit. Die handelsüblichen Jodtabletten seien andererseits zu gering dosiert und reichten nicht zur „Jodblockade“, so die Hormonexperten. Die Bevölkerung solle sich auf die behördlichen Angaben zu Anlass, Zeitpunkt und Dosierung verlassen.
Ende Mai berichteten zahlreiche Medien, dass Nordrhein-Westfalen vorsorglich Jodtabletten für alle Schwangeren und Minderjährigen im Land kaufen werde. Sie sollen bei einem Reaktorunfall an diese zum Schutz vor Strahlenschäden der Schilddrüse verteilt werden. Hintergrund der Maßnahme sind die grenznah gelegenen belgischen Atomkraftwerken Tihange und Doel, die als störanfällig gelten. Professor Dr. med. Dr. h. c. Helmut Schatz von der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie (DGE) bekräftigt, dass die Einnahme von Kaliumjodid-Tabletten das vermehrte Auftreten von Schilddrüsenkrebs verhindert: „Nach dem Reaktorunglück im ukrainischen Tschernobyl vor 30 Jahren gaben die Behörden in Polen sofort Jodtabletten an Kinder aus. Im Unterschied zur Ukraine und zu Weißrussland stieg dort die Zahl der Schilddrüsenkarzinome bei Kindern und Jugendlichen nicht an.“
Radioaktives Jod wird bei einem Reaktorunfall freigesetzt. Es hat die gleichen chemischen und biologischen Eigenschaften wie das in der Nahrung vorkommende natürliche Jod und wird daher wie normales Jod in der Schilddrüse gespeichert. „Diese konzentrierte Speicherung in der Schilddrüse unterscheidet Jod von anderen Stoffen“, so Professor Schatz. „Durch die Einnahme von extrem hochdosierten Jodtabletten wird die Aufnahme des freigesetzten radioaktiven Jods in der Schilddrüse blockiert.“
Die WHO empfiehlt 130 Milligramm als Einmalgabe ein bis zwei Tage vor Eintreffen der radioaktiven Wolke. Drei Stunden später sind die Tabletten nur noch zu 50 Prozent wirksam, zehn Stunden später gar nicht mehr. Noch später kann die Einnahme sogar schaden, da dann das durch die Atmung schon aufgenommene radioaktive Jod langsamer ausgeschieden wird.
Jodpräparate, die als Schilddrüsensupplemente für Schilddrüsenerkrankungen oder für Schwangere angeboten werden, sind für den Einsatz nach einem Störfall völlig ungeeignet, da sie um einige Zehnerpotenzen niedriger dosiert sind: Sie enthalten 100 bis 200 Mikrogramm und haben auch nicht die unten aufgeführten Nebenwirkungen. Der Höchstwert für die Jodzufuhr betrage in Deutschland 500 Mikrogramm pro Tag, so der Endokrinologe Schatz.
Professor Dr. med. Matthias Weber, DGE-Mediensprecher von der Johannes Gutenberg-Universität Mainz warnt vor den Folgen eines unbedachten Umgangs mit den hochdosierten Kaliumjodid-Tabletten: „Jod in diesen extrem hohen Dosen kann zu Störungen der Schilddrüsenfunktion wie zum Beispiel einer Überfunktion der Schilddrüse, einer Hyperthyreose, mit Herzrasen, Schweißausbrüchen, Gewichtsverlust und Bluthochdruck führen.“ Auch ein Morbus Basedow oder eine chronische Schilddrüsenentzündung (Hashimoto-Thyreoiditis) könnten die Folge sein. DGE-Mediensprecher Weber fasst den Appell der Fachgesellschaft zusammen: „Niemand sollte zum Schutz vor möglichen Reaktorunfällen eigenständig hochdosierte Jodpräparate einnehmen. Wenn eine Reaktorunfall eingetreten ist, werden die Behörden unverzüglich die entsprechenden Informationen und Empfehlungen zur Einnahme von Jodtabletten bekannt geben.“
Literatur:
Blog-Beitrag von Prof. Dr. med. Dr. h. c. Helmut Schatz vom 26. Mai 2016: http://blog.endokrinologie.net/jodtabletten-zum-schutz-bei-reaktorunfaellen-2555....
Verwendung von Jodtabletten zur Jodblockade der Schilddrüse bei einem kerntechnischen Unfall. Empfehlung der Strahlenschutzkommission. 24./25.02.2011: http://www.ssk.de/DE/Home/home_node.html
Endokrinologie ist die Lehre von den Hormonen, Stoffwechsel und den Erkrankungen auf diesem Gebiet. Hormone werden von endokrinen Drüsen, zum Beispiel Schilddrüse oder Hirnanhangdrüse, aber auch bestimmten Zellen in Hoden und Eierstöcken, „endokrin“ ausgeschüttet, das heißt nach „innen“ in das Blut abgegeben. Im Unterschied dazu geben „exokrine“ Drüsen, wie Speichel- oder Schweißdrüsen, ihre Sekrete nach „außen“ ab.
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