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Warum die Komplexität und Fitness von Lebewesen nichts mit der Genomgröße zu tun hat.
Warum verändern sich Genomgrößen, Chromosomenzahlen sowie die Anzahl der Gene unabhängig voneinander während der Evolution von Lebensformen? Warum unterscheiden sich verschiedene Arten hinsichtlich dieser Merkmale z.T. erheblich, ohne dass das mit Verweis auf die Komplexität der jeweiligen Lebensformen erklärbar wäre? Die Lösung dieses Rätsels lag bisher im Dunkeln. Gaterslebener Forscher stellen in der renommierten Fachzeitschrift Trends in Plant Science nun eine Erklärung für dieses Phänomen vor.
Der größte Teil der genetischen Information eines Lebewesens, das Genom, wird mit Ausnahme der Bakterien im Zellkern jeder Körperzelle in Form von Chromosomen gespeichert. Von Generation zu Generation muss diese Information, die in doppelsträngigen DNA-Molekülen codiert ist, einerseits möglichst unverändert weitergegeben werden. Andererseits ist es aber auch notwendig, dass das Genom in Grenzen veränderbar ist, damit sich Lebewesen an die sich über Generationen hinweg ändernden Umweltbedingungen anpassen und damit ihre Überlebensfähigkeit sichern bzw. verbessern können. Solche Veränderungen geschehen häufig durch fehlerhafte Reparatur von Brüchen in der DNA und können über Zellteilungen an Tochterzellen und Nachkommen weitergegeben werden.
Über Generationen hinweg kann sich im Laufe der Evolution so die Genomgröße, die Chromosomenzahl und auch die Anzahl der Gene verändern. Überraschenderweise konnte allerdings kein Zusammenhang zwischen der Größe eines Genoms, der Anzahl seiner Chromosomen und der darin enthaltenen Gene beobachtet werden. Während die Anzahl von Genen zwischen verschiedenen Arten sich um das Zweifache unterscheiden kann, können sich die Anzahl von Chromosomen um das 100-fache und Genomgrößen sogar um das 2500-fache unterscheiden. Darüber hinaus scheint sich Genomgröße auch nicht mit der steigenden Komplexität von Organismen erklären zu lassen. Über die Ursachen für diesen Befund konnten Wissenschaftler bisher nur spekulieren.
Professor Dr. Ingo Schubert und seine Kollegin Dr. Giang Thi Ha Vu stellen nun eine Hypothese zur Evolution von Genomgrößen und Chromosomenanzahlen vor. Dieser entsprechend hängen Genomgröße und Chromosomenzahl mit den jeweils in der Population bevorzugten Reparaturmechanismen für das Beheben von Doppelstrangbrüchen in der DNA zusammen.
„Wir vermuten, dass es in der Natur drei Strategien für diesen Reparaturmechanismus gibt“, erläutert Ingo Schubert „mit der sich die evolutive Entwicklung der Genomgröße und der Anzahl der Chromosomen erklären ließe: Abhängig von der enzymatischen Ausstattung, unterscheiden sich Arten hinsichtlich der Neigung, Fehler bei der DNA-Doppelstrangbruchreparatur zu beheben. Entweder wird häufiger ein Stück des DNA-Strangs entfernt, oder dieser um ein Stück erweitert, oder aber es besteht ein Gleichgewicht zwischen Entfernen und Erweitern von genetischem Material beim Reparieren von DNA-Strangbrüchen.“
Im ersten Fall wird die zunehmende Verkleinerung des Genoms, welche die Überlebensfähigkeit einer Population langfristig verringern könnte, durch (wiederholte) Verdopplung der Chromosomenzahl kompensiert. Auf diese Weise wird das Risiko reduziert, dass genetische Informationen während der Weitergabe an die nächste Generation verloren gehen. Doppelstrangbruch-bedingte Chromosomen-Umstrukturierungen, die mehrere Chromosomen in eines kombinieren und besonders in Lebewesen mit sehr kleinen Genomen auftreten, verhindern, dass die Chromosomenanzahl ins Unermessliche anwächst.
Im zweiten Fall wird das Genom immer weiter vergrößert, jedoch die Chromosomenzahl variiert kaum. Das ist z. B. für Nadelbäume typisch.
Bei etlichen Gruppen höherer Lebewesen, meist von mittlerer Genomgröße, wie z. B. Säugetieren und Vögeln, scheinen die Reparatur von Brüchen des DNA-Strangs gleichgewichtig sowohl durch Erweiterung als auch Verkürzung vorgenommen werden zu können, wodurch sich sowohl die Genomgröße kaum verändert und die Anzahl der Chromosomen in der Regel keine bestimmte Tendenz der Veränderung erkennen lässt.
„Wir sehen nun, durch unsere eigenen Versuchsergebnisse erhärtet, die Evolution von Genomgröße, Chromosomenzahl und DNA-Doppelstrangbruchreparatur im Zusammenhang. Das erklärt die teils entgegengesetzten Evolutionsverläufe dieser Parameter und bietet eine neue Interpretation für die fehlende Korrelation von Genomgröße und genetischer Komplexität“, freut sich Ingo Schubert.
Publikation:
Ingo Schubert, Giang T.H. Vu (2016): Genome Stability and Evolution: Attempting a Holistic View. Trends in Plant Science, doi:10.1016/j.tplants.2016.06.003.
Weitere Informationen:
Das Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK) in Gatersleben ist eine außeruniversitäre, mit Bundes- und Ländermitteln geförderte Forschungseinrichtung und Mitglied der Leibniz-Gemeinschaft. Am IPK forschen und arbeiten mehr als 500 Mitarbeiter/-innen aus über 30 Nationen. Zentrales Anliegen der wissenschaftlichen Arbeiten am IPK ist die Untersuchung der genetischen Vielfalt von Kultur- und verwandten Wildpflanzen und der Prozesse, die zu ihrem Entstehen geführt haben. Daraus abgeleitet erfolgt die Aufklärung der molekularen Mechanismen, die zur Ausprägung und Variation pflanzlicher Merkmale beitragen. Hieraus erwachsende Erkenntnisse ermöglichen die Entwicklung und Anwendung von Strategien zu einer vertieften Charakterisierung und darauf aufbauend zu einer wissensbasierten Nutzbarmachung der in der Genbank vorgehaltenen pflanzengenetischen Ressourcen. www.ipk-gatersleben.de
Ansprechpartnerin für die Medien:
Dr. Sabine Odparlik, Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK), Leiterin der Geschäftsstelle des Direktoriums, Corrensstraße 3, 06466 Seeland OT Gatersleben, Tel.: +49 (0)39482 5837 - Fax: +49 (0)39482 5500 – Email: odparlik@ipk-gatersleben.de
Fachlicher Ansprechpartner:
Professor Dr. Ingo Schubert, Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK), Corrensstraße 3, 06466 Seeland OT Gatersleben - Tel.: +49 (0)39482 5239 – Email: schubert@ipk-gatersleben.de
Drei Strategien der Genomgrößenevolution.
Ingo Schubert, Katrin Lipfert/ IPK
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Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Studierende, Wissenschaftler
Biologie, Tier / Land / Forst, Umwelt / Ökologie
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch
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