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Wissenschaft
Wissenschaftler aus Jena und Ulm untersuchten den Zusammenhang zwischen den Genen von Sepsispatienten und der Schwere des Krankheitsverlaufes.
Sepsis ist ein lebensbedrohlicher Zustand, zu dem es kommt, wenn die Reaktion des Körpers auf eine Infektion das eigene Gewebe schädigt. Eine Sepsis kann im Zusammenhang mit jeder Infektion auftreten. Wird sie nicht schnell erkannt und behandelt, endet sie oft tödlich. Zahlreiche Komponenten haben einen Einfluss auf den Verlauf der Erkrankung, und es ist schon seit längerem bekannt, dass auch die genetische Grundausstattung des Patienten eine wesentliche Rolle spielt.
Unter Federführung von Forschern des Center for Sepsis Control and Care (CSCC) am Universitätsklinikum Jena, dem Leibniz-Institut für Alternsforschung (FLI) in Jena, der Uni Ulm und des Universitätsklinikums Leipzig erschienen nun im Online-Journal EBioMedicine zwei Studien zu diesem Thema. Darin analysierten die Forscher in einer interdisziplinären Kooperation mit Wissenschaftlern aus Gießen, Kiel, Berlin, Cambridge und Athen sowohl seltene als auch häufige genetische Varianten des menschlichen Genoms. Ziel beider Arbeiten war die Suche nach genetischen Varianten, anhand derer unterschiedliche klinische Verläufe nach dem Auftreten einer Sepsis prognostiziert werden können.
Extrem unterschiedliche Verläufe
Die erste Studie (Taudien et al.) untersuchte Sepsisfälle, die durch extrem unterschiedliche Verläufe auffielen. Zum einen waren dies Patienten, die trotz offenbar ungünstiger Voraussetzungen, wie hohes Alter, mehrerer Vorerkrankungen, Behandlung mit nicht geeigneten Antibiotika, die Sepsis überlebten; zum anderen Patienten, die eher jünger waren und zeitnah eine adäquate Therapie erhielten, bei denen die Sepsis aber trotzdem sehr schwer verlief. Aus mehr als 4000 Patienten wurden diese beiden Extremgruppen zusammengestellt. Bei der Genanalyse der ausgewählten 74 Patienten konzentrierten sich die Wissenschaftler auf seltene, proteinverändernde Genvarianten. „Entgegen unserer Erwartung fanden wir im Vergleich der beiden Extremgruppen, dass sich bei den Patienten mit günstigen Sepsisverläufen mehr solche Genvarianten fanden“, so PD Dr. Matthias Platzer vom Jenaer Leibniz-Institut für Alternsforschung.
Die in diesen Gensequenzen verschlüsselten Proteine sind an Signalprozessen in der Zelle, bei der Erkennung des Krankheitserregers und des angeborenen Immunsystems beteiligt. „Diese konnten wir durch eine neu entwickelte semantische Informationsfusion identifizieren“ ergänzt Professor Hans Kestler, früherer Arbeitsgruppenleiter am FLI und jetzt Professor an der Universität Ulm. Studienleiter Matthias Platzer: „Wir nehmen an, dass die veränderten Proteine die sonst im Fall einer Sepsis zu beobachtende Überreaktion des Körpers auf die Infektion abmildern. Wahrscheinlich ist zudem, dass dieser eher protektive Effekt erst aufgrund der Kombination mehrerer Varianten entsteht.“ Zudem könne nicht ausgeschlossen werden, dass die Wirkung der Varianten unter anderen Umständen schädlich ist.
Genomweite Analyse rückt drei Regionen in den Fokus
Die zweite Studie (Scherag et al.) sah sich nicht nur die Stellen im Genom an, die für Proteine kodieren, sondern häufige genetische Varianten des gesamten menschlichen Genoms. Sie analysierte die Daten von 740 Sepsispatienten in einer genomweiten Assoziationsstudie. „Dabei identifizierten wir 14 Genregionen, die mit einer erhöhten Sterblichkeit nach Sepsis zusammenhingen. Eine Validierung anhand der Daten von weiteren 3.470 Patienten rückte speziell drei Genregionen in den Fokus“, nennt Studienautor Professor André Scherag vom Center for Sepsis Control and Care (CSCC) am Universitätsklinikum Jena das Ergebnis. Darunter sind auch Abschnitte des Gens CRISPLD2, die keine Eiweiße verschlüsseln. Für dieses Gen konnte in anderen Studien ein Zusammenhang mit Procalcitonin nachgewiesen werden, einer Hormonvorstufe, die als einer der validesten Biomarker bei der Verlaufskontrolle von Sepsisverläufen gilt. „Wir sind noch weit davon entfernt, Markergene für einen schweren Sepsisverlauf zu kennen“, ordnet der CSCC-Studienleiter André Scherag kritisch die Ergebnisse für die Praxis ein. „Aber diese Arbeiten liefern neue komplementäre Einsichten in biologische Prozesse, die entscheidend für den Verlauf einer Sepsis sein könnten.“
Beide Studien konzentrieren nun den Blick der Forscher auf Bereiche des menschlichen Genoms, deren weitere Untersuchung das Verständnis molekularer Prozesse bei Sepsis verbessern und damit den Weg zu neuen Behandlungsmöglichkeiten aufzeigen könnte.
Originalpublikationen:
Taudien, Stefan, et al. Genetic factors of the disease course after sepsis: a genome-wide study for 28 day mortality, 2016, EBioMedicine, DOI: 10.1016/j.ebiom.2016.08.037.
Scherag, André, et al. Genetic factors of the disease course after sepsis: Rare deleterious variants are predictive, 2016, EBioMedicine, DOI:10.1016/j.ebiom.2016.08.043.
Kontakt:
Prof. Dr. André Scherag
Center for Sepsis Control and Care (CSCC), Universitätsklinikum Jena
E-Mail: andre.scherag@med.uni-jena.de
Tel.: +49 3641 9-396692
PD Dr. Matthias Platzer
Leibniz-Institut für Alternsforschung – Fritz-Lipmann-Institut (FLI)
E-Mail: matthias.platzer@leibniz-fli.de
Tel.: +49 3641 65-6241
Prof. Dr. Hans A. Kestler
Institut für Medizinische Systembiologie, Universität Ulm
E-Mail: hans.kestler@uni-ulm.de
Tel.: +49 731 50-24500
CSCC: Das Integrierte Forschungs- und Behandlungszentrum Sepsis und Sepsisfolgen (Center for Sepsis Control & Care, CSCC) ist eines von acht integrierten Forschungs- und Behandlungszentren, die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert werden. Das 2010 eingerichtete CSCC ist am Universitätsklinikum Jena angesiedelt und widmet sich der Erforschung von Sepsis und deren Folgeerkrankungen. Die über 100 Forscherinnen und Forscher des CSCC betrachten dabei alle Aspekte der Erkrankung, von der Risikobewertung und Prävention über die Akutbehandlung bis hin zur Nachsorge. http://www.cscc.uniklinikum-jena.de
FLI: Das Leibniz-Institut für Alternsforschung – Fritz-Lipmann-Institut (FLI) in Jena widmet sich seit 2004 der biomedizinischen Alternsforschung. Über 330 Mitarbeiter aus 30 Nationen forschen zu molekularen Mechanismen von Alternsprozessen und alternsbedingten Krankheiten. Näheres unter http://www.leibniz-fli.de.
Universität Ulm: Die Universität Ulm, jüngste in Baden-Württemberg, wurde 1967 als Medizinisch-Naturwissenschaftliche Hochschule gegründet. Seither ist das Fächerspektrum deutlich erweitert worden. Die zurzeit rund 10 000 Studentinnen und Studenten verteilen sich auf vier Fakultäten („Medizin“, „Naturwissenschaften“, „Mathematik und Wirtschaftswissenschaften“ sowie „Ingenieurwissenschaften, Informatik und Psychologie“).
Die Universität Ulm ist Motor und Mittelpunkt der Wissenschaftsstadt, in der sich ein vielfältiges Forschungsumfeld aus Kliniken, Technologie-Unternehmen und weiteren Einrichtungen entwickelt hat. Als Forschungsschwerpunkte der Universität gelten Lebenswissenschaften und Medizin, Bio-, Nano- und Energiematerialien, Finanzdienstleistungen und ihre mathematischen Methoden sowie Informations-, Kommunikations- und Quanten-Technologien.
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Wissenschaftler
Medizin
überregional
Forschungsergebnisse
Deutsch
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